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Selbsthilfe bei Computerprogrammen und Schranken: Was ändert sich durch die Reform des Urheberrechts?

Der neue Referentenentwurf des BMJV zur Umsetzung der DSM-Richtlinie ändert in Teilen auch das Recht über den Schutz von Computerprogrammen (§§ 69a ff. UrhG). Wenig diskutiert wurde bislang, ob sich auch das Selbsthilferecht zur Durchsetzung urheberrechtlicher Schrankenbestimmungen an Computerprogrammen ändert – die Frage also, inwieweit Software geknackt werden und ob die geknackte Software überhaupt verwendet werden darf. Unser Gastautor Marvin Gülker geht dieser Frage nach.

I. Worum geht es?

Das Bundesjustizministerium hat am 13. Oktober 2020 einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts vorgelegt, nachdem zwei Diskussionsentwürfe zu jeweils unterschiedlichen Aspekten vorausgegangen waren. Ziel ist u.a. die Umsetzung der DSM-Richtlinie, die im europäischen Rechtssetzungsverfahren bekanntlich eine erhebliche Kontroverse um die sog. Upload-Filter ausgelöst hat und die auch im Rahmen der Umsetzung noch nicht abgeschlossen ist. Neben diesem Streitthema enthält der Referentenentwurf aber auch noch andere Aspekte, darunter Änderungen am Schutz von Computerprogrammen in §§ 69a ff. UrhG, die hier Thema sein sollen. So soll u.a. aus § 69a Abs. 5 UrhG der Verweis auf die §§ 95a bis 95d gestrichen und § 69f Abs. 2 UrhG um einen neuen Satz 2 zur Selbsthilfe ergänzt werden.

Was hat es damit auf sich? Der bisher eher unscheinbare § 69f UrhG enthält in seiner gegenwärtigen Form in Abs. 1 einen Vernichtungsanspruch des Rechteinhabers in Bezug auf rechtswidrige Vervielfältigungsstücke und – hier von größerem Interesse – in Abs. 2 folgende Bestimmung:

(2) Absatz 1 ist entsprechend auf Mittel anzuwenden, die allein dazu bestimmt sind, die unerlaubte Beseitigung oder Umgehung technischer Programmschutzmechanismen zu erleichtern.

Gemeint sind vor allem sog. „Knackprogramme“, die den Kopierschutz an einem Computerprogramm aushebeln und eine kopierschutzfreie Version herstellen. Problematisch war bislang an dieser Norm, dass unklar ist, was man sich unter einer solchen „entsprechend[en]“ Anwendung vorstellen soll. Der Streit kreist darum, ob man diese Norm so verstehen soll, dass schon die Umgehung des Kopierschutzes ein Vervielfältigungsstück illegal werden lässt oder nicht. Bejaht man das, müsste man auch ein auf diese Weise hergestelltes Vervielfältigungsstück vernichten, das sich eigentlich im Rahmen der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen hält, von denen die Sicherungskopie (§ 69d Abs. 2 UrhG) wohl die praktisch relevanteste, aber keinesfalls die einzige ist: Weitere Schrankenbestimmungen enthalten z.B. der § 69a Abs. 1 UrhG (Fehlerkorrektur) und § 69e UrhG (Dekompilierung).

Man käme also zu einem Selbsthilfeverbot. Die Gegenmeinung würde nur die Vernichtung des „Knackprogramms“ verlangen – Selbsthilfe zur Durchsetzung von Schrankenbestimmungen wäre damit zulässig.

II. Zum jetzigen Stand

Die Norm gibt es schon heute von ihrem Wortlaut nicht her, eine Selbsthilfe zu untersagen. Die Rede ist nur davon, mit den „Mitteln“ der Umgehung so zu verfahren wie mit rechtswidrigen Vervielfältigungsstücken (also sie zu vernichten, § 69f Abs. 1 UrhG). Vom Schicksal des erstellten Vervielfältigungsstücks weiß die Norm nichts, was systematisch angesichts der bereits in Abs. 1 normierten Vernichtung rechtswidriger Vervielfältigungsstücke auch besser passt. Für eine Art „Infizierung“ des im Wege der Selbsthilfe auf dem Boden der Schrankenbestimmungen erstellten Vervielfältigungsstücks gibt sie nichts her.

Ausschlaggebend ist aber ein anderes Argument. Es gibt in den §§ 95a ff. UrhG ausführliche Regelungen zum Umgang mit Kopierschutz an anderen Schutzgegenständen als Computerprogrammen, die ein ausdrückliches Umgehungsverbot enthalten und die Umgehung selbst sanktionieren. Ausgeglichen wird das durch Ansprüche zur Durchsetzung von Schrankenbestimmungen in § 95b UrhG. Die §§ 95a ff. UrhG sind aber gem. § 69a Abs. 5 UrhG ausdrücklich nicht auf Computerprogramme anwendbar, und man würde sie – wollte man Selbsthilfe verbieten – in § 69f Abs. 2 UrhG hineininterpretieren. Das verstößt gegen die gesetzliche Systematik.

Dieses Ergebnis ist auch europarechtlich gewollt: Erwägungsgrund 50 der InfoSoc-Richtlinie erklärt nämlich mit Bezug auf die Kopierschutzregelungen das Computerurheberrecht regelnde Computerprogramm-Richtlinie (CPRL) für nicht nur abschließend, sondern geht sogar so weit, die Entwicklung von Umgehungsmaßnahmen ausdrücklich zu begrüßen (Erwägungsgrund 50 Satz 3 InfoSoc-RL).

Das mag auf den ersten Blick ein überraschender Befund sein, hat aber Hand und Fuß. Denn anders als bei der InfoSoc-RL lässt sich das Hauptregelungsfeld der CPRL nicht einfach auf das bipolare Verhältnis zwischen Rechteinhaber und Nutzer reduzieren. Vielmehr hat die CPRL, wie man ihren Erwägungsgründen 10 und 15 entnehmen kann, ausdrücklich noch eine dritte Partei mit im Blick, nämlich die Entwickler interoperabler Computerprogramme. Interoperabilität heißt, dass zwei technische Komponenten (hier: Computerprogramme) potentiell unterschiedlicher Hersteller über eine gemeinsame Schnittstelle Daten austauschen können (entsprechend auch Erwägungsgrund 10 CPRL). Für diese Personen ist es von entscheidender Wichtigkeit, die (für Nichtprogrammierer eher wenig nützlichen) Schrankenbestimmungen der §§ 69d Abs. 3, 69e UrhG durchzusetzen, die die Untersuchung von Programmen und ihre Dekompilation regeln, denn sonst könnten sie die für die Herstellung von Interoperabilität notwendigen Informationen nicht ermitteln.  Kopierschutzmaßnahmen stehen aber beidem im Weg.

III. Zu den geplanten Änderungen

In diesen Streitstand hinein will Art. 1 Nr. 27 des Referentenentwurfs den Ausschluss der §§ 95a ff. aus § 69a Abs. 5 UrhG streichen. Damit wird dem oben wohl entscheidenden Argument der Boden entzogen und man könnte auf den Gedanken verfallen, dass damit auch ein ausdrückliches Umgehungsverbot Einzug in das Computerurheberrecht hält. Man könnte die Änderung als Bestätigung der – hier abgelehnten – Meinung sehen, dass der § 69f Abs. 2 UrhG schon immer ein Umgehungsverbot enthielt. Tatsächlich soll gem. Art. 1 Nr. 29 lit. c des Referentenentwurfs § 69f Abs. 2 noch um folgenden Satz 2 ergänzen:

„Satz 1 gilt nicht für Mittel, die Kulturerbe-Einrichtungen einsetzen, um von der gesetzlichen Nutzungserlaubnis in § 61d, auch in Verbindung mit § 69d Absatz 7, Gebrauch zu machen.“

Die Gesetzesbegründung will das so verstanden wissen, dass z.B. Computerspielemuseen den Kopierschutz von in ihrem Besitz befindlichen Computerspielen entfernen dürften (Referentenentwurf, S. 116 f. zu Art. 1 Nr. 29 Buchst. b). Das aber passt nicht zu dem gewählten Wortlaut, der weiterhin nur von den Mitteln, aber nicht von ihrem Einsatz als unzulässig spricht. Die Norm kann man auch so verstehen, dass Kulturerbe-Einrichtungen anders als anderen Personen auch der Besitz von „Knackprogrammen“ erlaubt ist.

Die DSM-Richtlinie hat allerdings das europarechtliche Gefüge zwischen InfoSoc-RL und CPRL überhaupt nicht verändert. Ein Verständnis, wie die Entwurfsbegründung es an den Tag legt, ist nach wie vor mit den von der CPRL geschützten Interessen der Entwickler interoperabler Computerprogramme nicht vereinbar. Schaut man genau hin, verwickelt sich die Entwurfsbegründung in dieser Beziehung denn auch in einen Widerspruch. Die systematische Abgrenzung soll ihretwegen durch die Änderung in § 69a Abs. 5 UrhG nicht aufgehoben, sondern bloß nach § 69f verschoben werden (Referentenentwurf, S. 114 und 117). Damit ist zwar klargestellt, dass die §§ 95a ff. UrhG weiterhin keine Anwendung finden (sehr deutlich denn auch § 69f Abs. 3 UrhG-E: „nur“ § 95b UrhG ist „entsprechend“ anzuwenden, der Rest also nicht), aber gleichzeitig den materiellen Gehalt dieser Normen in § 69f Abs. 2 UrhG verorten zu wollen, überzeugt nicht. Sollte das tatsächlich gewollt sein, müsste man, um eine Europarechtswidrigkeit zu vermeiden, den § 95b UrhG auch für alle anderen für Computerprogramme geltenden Schrankenregelungen für „entsprechend anwendbar“ erklären.

Die Entwurfsbegründung legt auch an anderer Stelle ein Defizit an den Tag. Das gewählte Beispiel der Computerspiele-Museen als Profiteure des neuen § 69f Abs. 2 Satz 2 UrhG-E verkennt, dass der EuGH die CPRL und damit die §§ 69a ff. UrhG gar nicht für auf Computerspiele anwendbar hält. Als „komplexe Werke“ richtet sich nach Meinung des EuGH deren Rechtsschutz ausschließlich nach der InfoSocRL (EuGH, ECLI:EU:C:2014:25, Rz. 22 f. — Nintendo/PC Box ua.). Das macht die Norm allerdings nicht gegenstandslos. So könnte beispielsweise ein Museum für IT-Sicherheit die bedeutendsten Sicherheitslücken der vergangenen Jahrzehnte aufzeigen wollen.

IV. Fazit

Selbsthilfe zur Durchsetzung von Schrankenbestimmungen zum Urheberrecht an Computerprogrammen ist und bleibt zulässig. Das systematische Verhältnis der §§ 95a ff. zu den §§ 69a ff. UrhG bleibt auch mit der Änderung unberührt; die maßgebliche Norm hierfür ist jetzt nur in § 69f Abs. 3 UrhG-E zu finden. Da der Wortlaut des strittigen § 69f Abs. 2 UrhG nicht verändert wird und das Europarecht in Erwägungsgrund 50 InfoSoc-RL eine Durchsetzbarkeit der Schrankenbestimmungen namentlich für Zwecke der Interoperabilität fordert, muss die Norm weiterhin so verstanden werden, dass die Umgehung nicht zu einer „Infektion“ der entstandenen Vervielfältigungsstücke führt. Immerhin aber privilegiert die Änderung Kulturerbe-Einrichtungen insoweit, als dass sie anders als andere Personen „Knacksoftware“ nicht nur benutzen, sondern auch dauerhaft besitzen dürfen.

Der Autor ist Dipl.-Jur. (Ruhr-Universität Bochum) und bloggt unter https://mg.guelker.eu/. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht (Prof. Dr. Kai von Lewinski) an der Universität Passau.

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Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

, Telemedicus v. 30.11.2020, https://tlmd.in/-8770

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