Kachelmann und die Medien – eine zwiespältige Beziehung. Der einstige Wettermoderator stand zumindest seit dem vielbeachteten Vergewaltigungsprozess oft mit anderen Persönlichkeiten oder Medien auf Kriegsfuß. Im Buch „Recht und Gerechtigkeit“ von ihm und seiner Frau gibt es nun eine erstaunliche Liste zu sehen. Darin enthalten: Hinweise auf alle einstweiligen Verfügungen, die seine Kanzlei bzw. sein Anwalt Höcker für ihn erwirkt haben – sämtlich gegen ihm unliebsame Medienberichte. Das hat das BILDblog gestern mit weiteren Informationen berichtet.
Doch was bedeuten diese einstweiligen Verfügungen? Welchen juristischen Wert haben sie und welche Schlüsse kann man aus ihnen ziehen?
Einstweilige Rechtsschutzmöglichkeiten finden sich in vielen Rechtsbereichen, nicht nur im Zivilrecht. Der Gedanke dahinter: Gerichtsverfahren können lange dauern. Fristen, mündliche Verhandlungen, Beweisaufnahmen – vieles kann einen Prozess in die Länge ziehen. Hier hilft der einstweilige Rechtsschutz. Faustformel: „Wenn es ernsthaft schnell gehen muss”. Dabei handelt es sich lediglich um ein summarisches Verfahren. Der Gläubiger kann beispielsweise Ansprüche vorläufig sichern lassen, die andernfalls wegen Zeitablaufs nicht durchgesetzt werden könnten. Ihm wird damit im Sinne effektiven Rechtsschutzes in bestimmten Fällen ein wichtiges Instrument an die Hand gegeben, das neben das „normale” Hauptverfahren tritt.
Dieses Instrument ist vor allem im Presserecht sehr beliebt – etwa wenn es gilt, sich vor falschen Tatsachenbehauptungen zu schützen. Sind diese einmal im Umlauf, können sie sich rasant verbreiten und bei Lesern, Hörern oder Zuschauern zu einem falschen Bild führen, das sich unter Umständen festsetzt und kaum noch aus der Welt zu kriegen ist. Deshalb muss es schnell gehen. Normalerweise erfolgt vor einer einstweiligen Verfügung zunächst eine Abmahnung. Der Verbreiter einer Äußerung wird also aufgefordert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Geschieht dies nicht, müsste man grundsätzlich auf Unterlassung klagen. Weil es lange dauern kann, bis ein Gericht endgültig über den Anspruch entscheidet, kann man sich nun parallel mit einer einstweiligen Verfügung behelfen.
Der Vorteil: Eine mündliche Verhandlung ist nicht zwingend notwendig. Man muss meist auch keinen vollen Beweis führen – es kann genügen, seine Fakten glaubhaft darzulegen. Dazu reicht bereits eine „Versicherung an Eides statt”. Der Nachteil: Gewichtige Argumente des Gegners werden möglicherweise gar nicht beachtet. Erst wenn dann eine einstweilige Verfügung in der Welt ist, kann der Gegner unter anderem widersprechen – denn das Gericht entscheidet, ob es dem Antragsgegner vorher rechtliches Gehör gewährt. Besonders im Presserecht macht das den Presseorganen das Leben schwer: Wie vertrauensvoll ist eine Quelle, wie glaubhaft eine Aussage? Einerseits darf die Presse nicht jegliches Gerücht für bare Münze nehmen, nur um die Auflage zu steigern. Andererseits kommt sie einem verfassungsrechtlichen Auftrag nach: Als „vierte Gewalt” trägt sie Verantwortung dafür, über aktuelle Entwicklungen zu berichten – auch und gerade auf der Basis möglicherweise „wackeliger“ Informationen.
Im „Fall Kachelmann” zeigt sich nun scheinbar, dass die bare Münze Vorrang vor gewissenhaften Abwägungsentscheidungen der verantwortlichen Redakteure hatte. Es ergingen 91 einstweilige Verfügungen – im allergrößten Teil zugunsten Kachelmanns. 88 Verfahren aus 2010 und 2011 im einstweiligen Rechtsschutz – das bedeutet etwa ein neues Verfahren alle acht Tage. Daneben hätten betroffene Medien „hunderte Unterlassungserklärungen“ abgegeben und Klagen seien gar nicht erst in die Liste eingearbeitet, so Rechtsanwalt Höcker.
Schaut man sich die Liste einmal genauer an, interessierten die Medien immer wieder die selben Themen: sexuelle Praktiken, intime Details aus Ermittlungsakten, ausschweifende Polygamiegerüchte und die Aussagen angeblicher Zeuginnen. In den allermeisten Fällen steht nun fest: Es handelte sich um Falschmeldungen. Die Berichte waren ungerechtfertigt. Sie haben Jörg Kachelmann in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Das muss man zumindest daraus folgern, wenn die betroffenen Medien „die erwirkte Verfügung nun auch als endgültige Regelung anerkannt“ haben. Oder Gerichte die Verletzungen über verschiedene Instanzen bestätigen.
Andererseits wird klar: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Denn in einigen Fällen verzichtete Kachelmann „auf einen Teil der Verfügung später“. Das könnte ein Indiz sein, dass er zunächst mehr begehrte, als ihm zustand – muss es aber nicht. Auch FR-online.de schien sich unter anderem durchgesetzt zu haben:
FR-online.de berichtete aus Anlass eines „Bild“-Artikels über verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Berichterstattung über intime Details in der Boulevard-Presse. Im Rahmen dieses Artikels wurden die Schilderungen der „Bild“ wiederholt. Hiergegen erwirkten wir eine einstweilige Verfügung. Der Verfügungantrag wurde jedoch später zurückgenommen.
Eine Rücknahme erscheint aber wohl nur dann sinnvoll, wenn sich der Unterlassungsanspruch als falsch herausstellt. Das zeigt: Das Gericht sprach zunächst eine einstweilige Verfügung aus, die sich später (wenn auch erst im Berufungsverfahren) als falsch erwies.
Es laufen auch noch Berufungsverfahren und Nichtzulassungsbeschwerden in einzelnen Verfahren. In einem Fall sind sogar Verfassungsbeschwerden gegen Kachelmann begünstigende Urteile anhängig. Im Übrigen weiss man aus der Liste nicht: Gab es Prozesse, die eventuell zum Nachteil Kachelmanns ausgingen? Und nicht zu vergessen: Der Bild-Reporter, der erfolgreich gegen die „Wie du mir, so ich dir“-Taktik Kachelmanns vorging. Eine Google-Recherche belegt, dass nur das erstinstanzliche Urteil zulasten des Fotografen sich in der allgemeinen Wahrnehmung gefestigt hat.
Das letzte Wort ist jedenfalls trotz der immensen Anzahl einstweiliger Verfügungen nicht durchweg gesprochen.
Um zu wissen, wie dieses letzte Wort lautet, müsste man aber die gesamten Vorgänge vollends kennen. So weit gehen hoffentlich weder Kachelmann noch die Presse. Mit welchem Ziel auch? Denn wann ist eine Situation eskaliert, wenn nicht diese? Der Mediator, der Licht in den letzten Winkel des Gebahrens von Kachelmann und Presse bringt, muss erst noch gefunden werden.
Letztlich zeigt sich lediglich auf ein Neues, wie schwierig es ist, Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Nun dürfte es an der Zeit sein, dass beide Seiten ihre Lehren aus der Geschichte und einen dicken Schlussstrich unter die Sache ziehen. Was sowieso bleibt, ist ein Stück Rechtsgeschichte. Wie sie damit umgehen, müssen die Parteien selber wissen – hoffentlich aber ohne einstweiligen Rechtsschutz.
Die Meldung beim BILDblog.
Telemedicus zu einem Streit zwischen Kachelmann und Kool Savas.