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Sat. 1: Landesmedienanstalten-Streit gewinnt an Schärfe

Stellungnahme der LMK veröffentlicht

Sat.1 erfüllt nach Ansicht der lizenzgebenden Landesmedienanstalt von Rheinland-Pfalz (LMK) nach wie vor die Kriterien eines Vollprogramms. Dies habe die juristische Prüfung der förmlichen Rüge ergeben, welche die Landesmedienanstalt des Saarlandes (LMS) eingebracht hatte (Telemedicus berichtete).

Beanstandet wurde darin, dass Sat.1 gegen § 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 RStV verstoße. Mit der Einstellung von drei Informationssendungen erfülle der Sender nicht mehr die Erfordernisse, die an ein Vollprogramm i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 RStV gestellt würden. Die seitens der LMK vorgenommene Auslegung der sich aus dem Charakter als Vollprogramm ergebenden Anforderungen an den Informationsgehalt eines Fernsehprogramms genüge nicht den rundfunk- und verfassungsrechtlichen Erfordernissen. Die LMK dazu in einer Pressemitteilung:

Im Kern gehe es um die Frage, welche konkreten Anforderungen dem Begriff „Information“ zu entnehmen sind, der konstitutiver Bestandteil der gesetzlichen Definition des Vollprogramms im Rundfunkstaatsvertrag ist. Die Prüfung der Argumente habe die juristische Wertung der LMK bestätigt, dass es für weit reichende und detaillierte Vorgaben an Inhalte und Ausstrahlungszeiten derzeit keine gesetzliche Grundlage gibt. Das Bundesverfassungsgericht habe eindeutig klargestellt, dass insoweit „die Entscheidung darüber nicht der Exekutive, etwa in Gestalt einer allgemeinen, die Befugnis zu Auflagen umfassenden Ermächtigung überlassen (werden darf), auch nicht in der Weise, dass dies zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach durch nicht hinreichend bestimmte Normierungen geschieht“ (BVerfGE Bd. 57,295,321).

Harte Worte gegen die LMS

In ihrer ausführlichen rechtlichen Stellungnahme spart die LMK nicht an Seitenhieben gegen die LMS. So wird der LMS vorgeworfen, sich nicht mit Herleitung und Begründung der öffentlich gemachten Entscheidung auseinandergesetzt zu haben. Durch den Verzicht auf eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der LMK werde der Eindruck erweckt, dass es der LMS nicht auf die Stichhaltigkeit der Herleitung und Begründung des Ergebnisses der LMK ankommt, sondern ausschließlich auf das Ergebnis selbst. Im übrigen müsste bei Anwendung der Maßstäbe der LMS sämtlichen in Deutschland zugelassenen Vollprogrammen dieser Status umgehend aberkannt werden.
Die LMS stütze ihre Auffassung allein auf die Interpretation eines einzigen Wortes: „Information“. Wie die LMK schreibt, wäre nach den Ausführungen der LMS ein privater Programmveranstalter dazu verpflichtet, täglich 2 ½ Stunden mit Nachrichtensendungen und Magazinsendungen mit Nachrichten zu bestücken. Bei einem ganztägig ausgestrahlten Programm mache dies mehr als 10% der täglichen Sendezeit aus, die mit lediglich zwei inhaltlich eng umrissenen Sendeformaten zu füllen wären. Nachrichten würden den Vorstellungen der LMS zufolge auch nur dann als solche anerkannt, wenn sie „zu mindestens 50 % der Sendezeit aktuelle Informationen aus den Bereichen Politik (Aktivitäten auf legislativer, exekutiver und judikativer und Parteien-Ebene), Volkswirtschaft (Entwicklungen im Wirtschafts- und Arbeitsleben), Bildung, Wissenschaft und Forschung, sowie Kultur i.e.S. (Literatur, Theater, Film, E-Musik) auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene enthalten“, sie innerhalb vorgegebener Zeitspannen mit Mindestquantitäten gesendet werden und ergänzt werden durch Magazinsendungen mit Nachrichten, die sich durch einen bestimmten Anteil von Inhalten der oben definierten Nachrichtenqualität auszeichnen und ihrerseits innerhalb bestimmter Zeitspannen bestimmte Quantitäten erfüllen müssen. Die LMS leite dies als geltendes Recht aus einer semantischen, systematischen und teleologischen Herleitung ab, die es „sinnvoll“ erscheinen ließe, diese gravierenden Auflagen zur Anwendung zu bringen.

Grundannahme der LMS falsch

Jedoch sei bereits die Grundannahme der LMS, dass hinsichtlich der Auslegung des Informationsbegriffs dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „zwar keine Maßstabsfunktion, wohl aber eine gewisse orientierende Bedeutung“ zukomme, deshalb falsch, weil sie sich von der Verfassungsrechtsprechung löse. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 73, 118, 157 f.; BVerfGE 74, 297, 324 f.), seien „an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Angesichts dieser klar unterschiedenen Anforderungen an öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk verbiete es sich, aus dem Kernbereich des Auftrags für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Schlussfolgerungen für entsprechende Anforderungen im privaten Rundfunk zu ziehen.

Die rechtstatsächlichen Grundlagen für diese Differenzierung habe das BVerfG frühzeitig und treffend prognostiziert (BVerfGE 83, 238, 311):

Ein von Werbeeinnahmen abhängiger Rundfunkveranstalter muss darauf Rücksicht nehmen und seine Programmplanung in starkem Maße an Einschaltquoten ausrichten. Damit sind aber gerade jene Anforderungen an die Programmgestaltung gefährdet, die sich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Grundeversorgungsaufgabe ergeben und dem System der Gebührenfinanzierung zugrunde liegen.

„Autorität des Medien(organisations)rechts“ als Eingriffsgrundlage nicht ausreichend

Aus ihrer Interpretation des Informationsbegriffs leite die LMS die „denkbar einschneidendsten“ Maßnahmen zu Lasten von Rundfunk- und Programmfreiheit her, nämlich kumulativ die Vorgabe von Inhalten und Sendezeiten. Ein noch weitergehender Eingriff in die Grundrechte des Senders sei schlechthin nicht vorstellbar. Obwohl die LMS der LMK den Vorwurf gemacht habe, dass ihre Entscheidung „rundfunk- und verfassungsrechtlichen Erfordernissen nicht“ genüge, übergehe die LMS die Frage, ob die von ihr behaupteten Ergebnisse der Interpretation verfassungsrechtlich überhaupt zulässig sind. Die LMS wolle für die von ihr befürworteten Grundrechtseingriffe die „Autorität des Medien(organisations)rechts“ ausreichen lassen. Das im Rundfunkbereich zentrale Grundrecht der Rundfunkfreiheit und die daraus hervorgehende Programmfreiheit tauche hingegen in der gesamten Abhandlung der LMS „nicht ein einziges Mal auch nur verbal“ auf. Tatsächlich jedoch bedürften derartige Vorgaben, selbst wenn sie als zulässige Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit angesehen werden könnten, einer gesetzlichen Grundlage. Die Rechtsprechung des BVerfG dazu sei unzweideutig.

Eindeutig auch die Schlussbemerkung des Gutachtens:

Die LMK hat darauf hingewiesen, dass sie die weitgehende Entfernung von Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Kultur etc. in Vollprogrammen der privaten Rundfunkveranstalter für problematisch ansieht. Hier ist sicher eine umfassende medienpolitische Diskussion sinnvoll. Die generell vorhandene Unzufriedenheit mit den geringen Nachrichteninhalten der privaten Vollprogramme darf allerdings nicht dazu führen, dass sich Landesmedienanstalten unter Berufung auf eine behauptete „Autorität des Medien(organisations)rechts“ zu Folgerungen hinreißen lassen, die Verfassungsrecht verletzen.

Zum Gutachten der LMK (PDF).

Zum vorangegangenen Gutachachten der LMS (PDF).

Telemedicus zur Auseinandersetzung um die Sat. 1 Nachrichten:

Sat.1 bleibt auch weiterhin Vollprogramm.

Streichung der Sat. 1 Nachrichten – Eine kritische Analyse.

, Telemedicus v. 22.08.2007, https://tlmd.in/a/361

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