Rundfunkgebührenfestsetzung rechtswidrig – Ergänzung der KEF-Kriterien jedoch zulässig
Die Verfassungsbeschwerden der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios gegen die Festsetzung der Rundfunkgebühr für den Zeitraum 1. April 2005 bis 31. Dezember 2008 waren im Ergebnis erfolgreich. Die Gebührenfestsetzung, mit der der Gesetzgeber um 28 Cent unter der von der KEF empfohlenen Gebühr geblieben war (dies führt über den Zeitraum von vier Jahren voraussichtlich zu einer Verringerung der Erlöse der Rundfunkanstalten aus der Gebührenerhöhung um rund 440 Millionen Euro), verletze die Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer. Der Gesetzgeber habe die seine Abweichung rechtfertigenden Tatsachenannahmen nachvollziehbar zu benennen und seine daran anknüpfende Bewertung offen zu legen. Anderenfalls könnte es nicht gelingen, in Gebührenentscheidungen versteckte Eingriffe in die Programmautonomie abzuwehren.
Das Urteil liegt Telemedicus im Volltext vor.
Anforderungen an die Rundfunkordnung durch technischen Fortschritt nicht überholt
Gleich zu Beginn der Urteilsbegründung hält das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich fest, dass die von ihm aufgestellten Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung der Rundfunkordnung zur Sicherung der Rundfunkfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch durch die Entwicklung von Kommunikationstechnologie und Medienmärkten nicht überholt seien. Mehr noch:
Da das Programmangebot auch für neue Inhalte, Formate und Genres sowie für neue Verbreitungsformen offen bleiben muss, der Auftrag also dynamisch an die Funktion des Rundfunks gebunden ist darf der öffentlichrechtliche Rundfunk nicht auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht beschränkt werden.
Dies werden insbesondere die privaten Anbieter nicht gerne hören, während sich die öffentlich-rechtlichen Sender in dem Streit um die digitale Erweiterungsstrategie gestärkt sehen dürfen.
Die Erforderlichkeit ausgestaltender gesetzlicher Regelungen zur Sicherung der Rundfunkfreiheit habe sich im Grundsatz durch die technologischen Neuerungen der letzten Jahre und die dadurch ermöglichte Vermehrung der Übertragungskapazitäten sowie die Entwicklung der Medienmärkte nicht geändert. Durch die Vergrößerung und Ausdifferenzierung des Angebots und der Verbreitungsformen und -wege sowie neuartiger programmbezogene Dienstleistungen hätten die Wirkungsmöglichkeiten des Rundfunks zusätzliches Gewicht erhalten. Der ökonomische Wettbewerb führe nicht automatisch dazu, dass für die Unternehmen publizistische Ziele im Vordergrund stehen oder dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird.
Insbesondere die Werbefinanzierung stärke den Trend zur Massenattraktivität und zur Standardisierung des Angebots. Auch bestünden Risiken einseitiger publizistischer Betätigung und damit Einflussnahme. Gefährdungen des Vielfaltsziels enstünden zudem infolge der Entwicklung der Medienmärkte und insbesondere des erheblichen Konzentrationsdrucks im Bereich privatwirtschaftlichen Rundfunks.
Die duale Ordnung eines Nebeneinander von öffentlichrechtlichem und privatwirtschaftlichem Rundfunk trage zur Sicherung der Breite und Vielfalt des Programmangebots bei. Während der Gesetzgeber für den privatwirtschaftlichen Rundfunk im Wesentlichen auf Marktprozesse vertraue, unterliege der öffentlichrechtliche Rundfunk besonderen normativen Erwartungen an sein Programmangebot. Die gesetzlichen Regelungen sollen es dem öffentlichrechtlichen Rundfunk ermöglichen, seinen klassischen Funktionsauftrag zur Sicherung der Vielfalt des Angebots zu erfüllen, wobei die Entscheidung über die zur Erfüllung dieses Auftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms den Rundfunkanstalten zusteht. Damit der öffentlichrechtliche Rundfunk die ihm zukommende Funktion erfüllen könne, werde er vorrangig über öffentlichrechtliche Gebühren finanziert.
Abweichungsgründe genügen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen
Hinsichtlich der Gründe, auf die sich der Gesetzgeber für die Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF berufen habe, stellt das Gericht fest, dass diese teilweise bereits als solche vor der Rundfunkfreiheit keinen Bestand hätten. In anderen Teilen seien sie nicht hinreichend nachvollziehbar oder gehen sogar von offensichtlich falschen Annahmen aus. Die genannten Gründe für die Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF genügten daher nicht den Anforderungen an eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung.
Zwar sei der zuerst genannte Abweichungsgrund der Berücksichtigung der angespannten wirtschaftlichen Lage ein grundsätzlich zulässiger Abweichungsgesichtspunkt. Das Vorliegen einer unangemessenen Belastung für die Gebührenzahler müsse der Gesetzgeber jedoch mit hinreichend nachprüfbaren Tatsachen darlegen. Im konkreten Fall könne jedoch dahingestellt bleiben, ob das Vorliegen einer unangemessenen Belastung hinreichend nachvollziehbar dargelegt worden ist, denn der Gesetzgeber wollte nicht allein darauf die Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF stützen.
Die weiteren genannten Gründe genügten aber nicht den Anforderungen an eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung, so dass die Begründung für die Gebührenabweichung die Entscheidung der Landesgesetzgeber insgesamt nicht trage. Sowohl der Hinweis auf die im KEF-Bericht genannten, aber nicht hinreichend erschlossenen Einsparpotentiale als auch der Verweis des Gebührengesetzgebers auf Einsparpotentiale, die erst durch den Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag geschaffen wurden und die deshalb nicht Gegenstand der Bedarfsfeststellung der KEF seien, vermögen eine Abweichung nicht zu rechtfertigen.
Nicht tragfähig sei schließlich auch die Begründung, dass die aktuelle Gesamtentwicklung der Aufgaben im dualen Rundfunksystem und im Wettbewerb der Medien berücksichtigt werden müsse. Sofern der Gesetzgeber mit der Abweichung von dem Gebührenvorschlag das Ziel verfolgt, auf den Wettbewerb der privatwirtschaftlichen und der öffentlichrechtlichen Medien im dualen System einzuwirken, handelte es sich um eine – im Rahmen der Gebührenentscheidung unzulässige – medienpolitische Zwecksetzung.
Keine Nichtigkeit der Gebührenfestsetzung
Die verfassungsrechtlichen Mängel der Gebührenfestsetzung führen jedoch nicht zur Nichtigkeit, weil der dadurch herbeigeführte Zustand dem Grundgesetz noch ferner stünde als der bisherige. Bei einer Nichtigkeit entfiele die Rechtsgrundlage für die Höhe der Rundfunkgebühr. Da die neue Periode schon am 1. Januar 2009 beginnt, sei es jedoch verfassungsrechtlich hinnehmbar, bis dahin von einer Neufestsetzung der Gebühr abzusehen. Allerdings muss bei der neu festzusetzenden Gebühr gewährleistet werden, dass den Anstalten ein Ausgleich gewährt wird, falls ihnen auf der Grundlage der verfassungswidrigen Festsetzung der Gebühr für die laufende Periode Mittel – etwa für nötige Investitionen – entgangen sein sollten, deren Bezug nach ihren früheren Bedarfsanmeldungen und den Feststellungen der KEF bereits in dem verstrichenen Gebührenzeitraum erforderlich war, um die künftige Erfüllung des Rundfunkauftrags sicherzustellen.
Erfolglos waren dagegen die Verfassungsbeschwerden gegen die Ergänzung der Kriterien, nach denen die KEF die Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu prüfen hat (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag). Die neu eingefügten Kriterien der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Haushalte der öffentlichen Hand können verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass sie nicht als zusätzlicher Prüfungsgegenstand zu demjenigen der zutreffenden Ermittlung des Finanzbedarfs hinzutreten sollen, sondern als Hilfskriterien für dessen nähere Bestimmung zu verstehen sind.
Das Urteil bei Telemedicus im Volltext