Dieser Artikel ist Teil der Reihe „Telemedicus: Rezensionen zum Wintersemester”.
„Big Data” ist ein Thema, das aktuell in Wirtschaft und Informatik schwer gefragt ist. Auch für das Informationsrecht ist die Frage interessant, welche Chancen und Risiken mit wachsenden Datenmengen und ihrer Verwertung verbunden sind.
Das vorliegende Werk verschafft einen ersten Überblick über die Materie. Wenngleich es sich nicht um juristische Fachliteratur handelt, gibt es auch einen Eindruck über den Bedarf der juristischen Aufarbeitung. Verfasst wurde „Big Data“ von einem Juristen (Viktor Mayer-Schönberger) und einem Angehörigen der Berufsgruppe der „Daten-Editoren” (Kenneth Cukier).
Big Data ist ein unscharfer Begriff – ein Schlagwort, über dessen genaue Bedeutung man sich trefflich streiten kann. Mayer-Schönberger und Cukier holen zunächst weit aus und definieren Big Data als „das, was man im großem, aber nicht in kleinem Maßstab tun kann, um neue Erkenntnisse zu gewinnen oder neue Werte zu schaffen, so dass sich Märkte, Organisationen, die Beziehungen zwischen Bürger und Staat und vieles mehr verändern“ (S. 13). Dafür, was das konkret bedeuten kann, bietet das Buch zahlreiche Beispiele: Es wird erzählt, wie Google anhand der Analyse von Suchanfragen Grippeepedemien „voraussagen“ kann, wie das ReCaptcha-System Datenwertschöpfung betreibt und wie der US-amerikanische Marineoffizier Maury bereits im 19. Jahrhundert durch die Auswertung alter Logbücher eine effiziente Big Data-Anwendung schuf.
Im Vordergrund der Ausführungen stehen zunächst die Chancen von Big Data und der Paradigmenwechsel, den dieses Konzept gegenüber bisherigen Methoden der Auswertung von Daten bedeuten könnte: Bei Big Data-Analysen würden gegenüber herkömmlichen Untersuchungsmethoden Unschärfen in Kauf genommen, die aber durch die schiere Masse der zugrunde gelegten Daten nicht auf Kosten des Ergebnisses gingen. Kurz gesagt: „Mehr ist besser als besser“ (S. 54). Einen wichtigen Unterschied zu herkömmlichen Untersuchungsmethoden machen die Autoren auch daran fest, dass die Big Data-Analyse nicht auf die Feststellung von Kausalitäten, sondern von Korrelationen ziele: Das „Was“ sei wichtiger als das „Warum“ (S. 67 ff.).
Mit den Möglichkeiten der Big Data-Analyse, die Mayer-Schönberger und Cukier illustrieren, lässt sich auch der Wert von Daten in der heutigen Wirtschaft einschätzen. Der auch in juristischen Werken viel bemühte Vergleich, Daten seien das Öl des 21. Jahrhunderts, wird im 6. Kapitel von „Big Data“ mit Leben gefüllt: Die Autoren liefern Beispiele, wie Datenmengen für Preisvorhersagen, Digitalisierungsprojekte oder die Entwicklung von Rechtschreibprüfungen nutzbar gemacht werden und kommen zu dem Schluss, dass „im Big-Data-Zeitalter alle Daten als wertvoll betrachtet werden, und zwar aus sich selbst heraus“ (S. 127).
Die Ausführungen schieben die Diskussion um die juristische Einordnung von (personenbezogenen) Daten als Immaterialgut an. Diese Diskussion wird seit über zehn Jahren geführt und ist bedeutender denn je. Mayer-Schöneberger und Cukier greifen den Gedanken der Regelung eines eigentumsähnlichen „Exklusivrechts“ auf Daten ausdrücklich auf, bezeichnen dies aber lediglich als „schwere Herausforderung“ (S. 230).
Mayer-Schönberg und Cukier widmen sich in den Kapiteln 8 und 9 ihres Werkes den Risiken und der Kontrolle von Big Data. So wird die Frage aufgeworfen: Bedroht Big Data die Privatsphäre in nie dagewesener Qualität (S. 192)? Konkret beschreiben die Autoren die Gefahr, dass die durch Big Data-Analysen gewonnenen Verhaltensvorhersagen die persönliche Freiheit bedrohen könnten – ein Minority Report-Szenario (S. 199 ff.); relevant allerdings nicht nur für das Strafrecht, sondern auch für alltägliches Profiling.
Mayer-Schönberg und Cukier schlagen Maßnahmen zur Kontrolle der Risiken vor. Weg von der rein formalen, routinemäßigen Einwilligung der Betroffenen, fordern sie eine größere Verantwortung der Datennutzer im Datenschutzrecht (S. 217). Für die Kontrolle von Big Data-Anwendungen schlagen Mayer-Schönberger und Cukier vor, dass spezialisierte Algorithmiker ähnlich wie Datenschutzbeauftragte zur Risikoabschätzung tätig werden sollen.
Für einige der Vorschläge der Autoren finden sich bereits Ansätze in der rechtlichen Realität – im deutschen Recht, aber auch in den Entwürfen der EU-Datenschutzgrundverodnung. Dort ist etwa der Schutz vor Profiling-Maßnahmen verankert, auch im Zusammenhang mit einer obligatorischen Folgenabschätzung für die Risiken der Datenverarbeitung. Schließlich steht auch ein Recht auf Datenportabilität zur Diskussion.
Für Experten in den Bereichen Datenschutz und Big Data wird das Werk kaum neue Informationen bieten. Dafür liefert „Big Data“ gleichzeitig eine unterhaltsame Lektüre und gibt Denkanstöße am Puls der Entwicklung der Informationswirtschaft. Ob Big Data-Anwendungen das Bewusstsein der gesamten Menschheit umwälzen werden, bleibt abzuwarten. Aber auch wenn es nicht so weit kommt, steckt in den aufgezeigten Szenarien ausreichend Stoff für eine breite juristische Auseinandersetzung: „Big Data” ist mit Impulsvorschlägen für Neuregelungen im Datenschutzrecht gespickt und daher aus juristischer Sicht – auch für Nichtjuristen – besonders interessant.
Mayer-Schönberger/Cukier, Big Data, Redline 2013, 24,99 EUR.