Die Deutsche Bahn AG hat den Blogger Markus Beckedahl von Netzpolitik.org abgemahnt. Die Abmahnung wirkt, zumindest in der Form, in der sie zitiert wird, etwas seltsam: Die DB AG beschäftigt sich zwar ausführlich mit der Herleitung des Unterlassungsanspruchs (§ 823, § 826 i.V.m. § 1004 BGB), benennt den eigentlichen Grund des Anspruchs aber nur am Rande: Die behauptete Verletzung eines angeblich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses.
Die fragliche Stelle in der Abmahnung:
Wie wir festgestellt haben, veröffentlichen Sie (…) einen Vermerk des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit über ein Gespräch mit der Deutschen Bahn AG (…).
Damit verstoßen Sie gegen §17 Abs. 2 Nr. 2 UWG bzw. §§ 823 Abs. 1 und 826 BGB. Gemäß §§ 1004, 823 Abs. 1, Ans. 2 BGB sind Sie zur Beseitigung bzw. Unterlassung verpflichtet.
In dieser Knappheit kommen schon Zweifel auf, ob die Abmahnung überhaupt wirksam ist (vgl. OLG Frankfurt Az. 11 U 28/05). Jedenfalls aber wird man – nach derzeitigem Sachstand – davon ausgehen können, dass sie unberechtigt ist.
Konkret macht die DB AG Beckedahl drei Vorwürfe:
I. Die unerlaubte Geheimnisverwertung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG,
II. Die Verletzung eines nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsguts,
III. Die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB.
Diesen Vorwürfen wird im folgenden auf den Grund gegangen.
I. Die Geheimnisverwertung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG
Gegen § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG verstößt, wer…
…zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das er durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Mitteilungen oder durch eine eigene oder fremde Handlung nach Nummer 1 erlangt oder sich sonst unbefugt verschafft oder gesichert hat, unbefugt verwertet oder jemandem mitteilt.
Der Tatbestand erfordert also aufgeschlüsselt: (1.) ein Betriebs- oder Geschäftgeheimnis, (2.) das auf eine bestimmte rechtswidrige Art und Weise erlangt wurde, (3.) eine unbefugte Verwertung oder Mitteilung. Zusätzlich muss (4.) subjektiv „Eigennutz“, Schädigungsabsicht oder ein anderes der genannten subjektiven Merkmale hinzukommen. Ein „Wettbewerbsverhältnis“, wie es viele andere Normen im UWG erfordern, ist bei § 17 UWG nicht notwendig. Dennoch ist bei allen vier Tatbestandsmerkmalen fraglich, ob sie erfüllt sind.
1. Ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis ist nach der gängigen Definition:
Jede im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehende nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis bekannte Tatsache, an deren Geheimhaltung der Unternehmensinhaber ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse hat und die nach seinem bekundeten oder doch erkennbaren Willen auch geheim bleiben soll.
(Zitiert nach Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, § 17 Rn. 4 m.w.N.)
Hier ist insbesondere problematisch, dass das betreffende Memo schon vorher an viele Journalisten durchgesickert war, gerüchteweise hatte sogar die Bahn selbst das Dokument herausgegeben. Man könnte also davon ausgehen, dass die betreffenen Informationen bereits „offenkundig“ gewesen sind. Ebenso ist fraglich, ob das Interesse der Bahn „berechtigt“ gewesen ist – hier kommen wir zum ersten Mal zu der Frage nach den dahinterliegenden grundrechtlichen Wertungen. Dazu später mehr.
2. Das Memo müsste auch auf eine rechtswidrige Art erlangt worden sein. Dazu reicht nicht jedes Erlangen, sondern es muss entweder „durch eine in Absatz 1 bezeichnete Mitteilung“ zu Markus Beckedahl gelangt sein, oder durch Betriebsspionage nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG. Die Betriebsspionage ist abwegig; zumal die DB AG hier nachweispflichtig wäre. In Frage kommt somit nur § 17 Abs. 1 UWG:
Wer als eine bei einem Unternehmen beschäftigte Person ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, das ihr im Rahmen des Dienstverhältnisses anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses unbefugt an jemand zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen, mitteilt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Es reicht also nicht aus, wenn Markus Beckedahl irgendwie an das Memo gekommen ist: Er muss es (neben einigen anderen Voraussetzungen) direkt von einem Bahn-Mitarbeiter bekommen haben. Wir haben zu dem Vorgang keine genaueren Informationen, denn Markus Beckedahl schützt verständlicherweise seinen Informanten; wahrscheinlich ist aber, dass er das Dokument von einem der beteiligten Journalisten bekommen hat, nicht direkt von einem Bahn-Mitarbeiter. Möglich wäre auch noch, dass ein Mitarbeiter des Berliner Datenschutzbeauftragten das Dokument weitergegeben hat.
Jedenfalls trifft die Beweispflicht diesbezüglich nicht Markus Beckedahl, sondern die DB AG: Sie muss nachweisen, dass § 17 Abs. 1 UWG erfüllt ist. Das wird ihr aber kaum gelingen. Insofern scheitert § 17 Abs. 2 UWG auch am 2. Tatbestandsmerkmal.
3. Die Mitteilung an Dritte müsste auch unbefugt gewesen sein. Bei dem Wort „unbefugt“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in Bezug auf die objektive Wertordnung der Grundrechte auszulegen ist. Hier kommt also wieder die Frage auf, die letztlich streitentscheidend ist: Ob sich Markus Beckedahl auf Grundrechte berufen kann, und ob diese ihn hier auch schützen. Die erste Frage – ob Blogger von der Presse- oder der Rundfunkfreiheit geschützt werden – ist gerichtlich bisher nicht geklärt. Die h.M. tendiert dazu, Man wird wohl davon ausgehen können, bei Blogs nur solche als geschützt anzusehen, die„ journalistisch-redaktionell“ sind (vgl. Seitz in Hoeren/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 8.2 Rn. 33 ff.; zudem einfachgesetzlich die §§ 55 ff. RStV). Ob dabei die Rundfunk- oder die Pressefreiheit einschlägig ist wird dabei überwiegend offengelassen und muss auch hier nicht entschieden werden: Jedenfalls eine der beiden Freiheiten schützt Netzpolitik.org. Denn an der Frage, ob das Blog „journalistisch-redaktionell“ ist, kann angesichts der hohen Reichweite, der vielen Prämierungen und der professionellen Gestaltung kein echter Zweifel aufkommen.
Fraglich ist aber der zweite Punkt: Ob die Grundrechte von Netzpolitik.org auch zulassen, das Dokument im Internet zu veröffentlichen. Diese Frage ergibt sich aus einer Abwägung zwischen einerseits dem Geheimhaltungsinteresse der DB AG (geschützt über Art. 12; Art. 14 GG) und andererseits der Presse-, bzw. Rundfunkfreiheit von Netzpolitik.org und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Diese Frage wurde vom BVerfG in einer Grundsatzentscheidung erörtert. In BVerfGE 66, 116 ff. – Wallraff sagt das Gericht im zweiten Leitsatz folgendes:
Die Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter oder erlangter Informationen wird vom Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) umfaßt. Auch insoweit kommt es jedoch auf die Schranken des Grundrechts an.
In Fällen, in denen der Publizierende sich die Informationen widerrechtlich durch Täuschung in der Absicht verschafft hat, sie gegen den Getäuschten zu verwerten, hat die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Bedeutung der Informationen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung einseitig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und für die Rechtsordnung nach sich ziehen.
Nach diesem Maßstab ist hier also zu fragen, ob das veröffentlichte Dokument von hoher Bedeutung für die Öffentlichkeit ist. Das ist hier wohl zu bejahen: Der Datenschutzskandal bei der DB AG wird aktuell in allen Medien breit diskutiert. Selbst die höchste Politik hat sich eingemischt, es gibt Rücktrittsforderungen gegen den Vorstandsvorsitzenden der DB AG, Hartmut Mehdorn. Die Informationen, die die Medien, Politiker und auch die Öffentlichkeit dabei verwerten, stammen (zumindest indirekt) zum Großteil aus dem Dokument, das Netzpolitik.org veröffentlicht hat. Insofern ist wohl davon auszugehen, dass hier ein entsprechendes Informationsinteresse besteht.
Kritisch ist allerdings, dass teilweise einzelne Bahnmitarbeiter in dem Dokument namentlich benannt werden. Diese Veröffentlichung persönlicher Verhältnisse der Bahnmitarbeiter geht wohl zu weit, hier wäre eine Anonymisierung angebracht. Zu beachten ist allerdings, dass der diesbezügliche Unterlassungsanspruch nicht der DB AG zusteht, sondern den einzelnen Mitarbeitern. Die DB hat diesen Anspruch auch in der Abmahnung nicht geltend gemacht.
Aus den Wertungen des Grundgesetzes folgt (nach der hier vertretenen Ansicht) somit, dass eine Veröffentlichung des Dokuments zumindest gegenüber der Bahn nicht rechtswidrig ist. Eine „unbefugte“ Mitteilung des (vermeintlichen) Geschäftsgeheimnisses liegt nicht vor.
4. Zuletzt ist auch fraglich, ob die subjektiven Merkmale des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG erfüllt sind. Hier kommen drei Merkmale in Frage: „Eigennutz“, „zu Gunsten eines Dritten“ oder „Schädigungsabsicht“. Die Rechtsprechung legt all diese Tatbestandsmerkmale recht weit aus. So z.B. die Definition aus BGHSt 11, 97 für „Eigennutz“:
Aus Eigennutz handelt, wer sich (auch) von einem Streben nach einem materiellen oder immateriellen Vorteil leiten lässt.
Ähnlich weit die Definition für „zu Gunsten eines Dritten“ (Ohly in Piper/Ohly, UWG, § 17 R. 22):
Wer zugunsten eines Dritten handelt, verfolgt die Absicht, einem Dritten die soeben genannten Vorteile zukommen zu lassen.
Diese beiden Merkmale sind hier wohl erfüllt. Markus Beckedahl handelte wohl in der Absicht, sich einen (publizistischen) Vorteil zukommen zu lassen; er wollte auch die Öffentlichkeit, also Dritte, besser stellen, indem er sie informiert. Ich würde also, anders als RA Stadler in „Internet-Law“, die besonderen subjektiven Merkmale hier als erfüllt ansehen.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass nach der hier vertretenen Ansicht kein einziges Tatbestandsmerkmal aus dem objektiven Tatbestand des § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG erfüllt ist.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Markus Beckedahl nicht gegen § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG verstoßen hat, als er das Dokument veröffentlichte.
II. Die Verletzung eines nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsguts
Die Rechtsprechung hat zu § 823 Abs. 1 BGB das „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ als geschütztes Rechtsgut anerkannt. Daneben wird auch über ein „Recht am Geheimnis“ diskutiert, das aus § 203 StGB, § 17 UWG hergeleitet wird (Ann, GRUR 2007, 43). Allerdings muss bei beiden Rechtsgütern der Eingriff in dieses Rechtsgut auch „widerrechtlich“ gewesen sein – auch hier entscheidet sich die Frage anhand der Grundrechte.
Hier gilt nichts anderes als das oben bei I. 3. gesagte: Aus den verfassungsrechtlichen Wertungen folgt, dass eine Veröffentlichung hier zulässig war. Sie kann somit nicht widerrechtlich i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB sein. Auch aus § 823 Abs. 1 BGB ergibt sich somit kein Unterlassungsanspruch.
III. Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB
§ 826 BGB erfordert insbesondere eine Schädigung, die „sittenwidrig“ gewesen ist. Auch hier kommt es wieder maßgeblich auf die Wertungen des GG an; und auch hier kann nichts anderes gelten als das oben gesagte. Daher war die Veröffentlichung auch nicht sittenwidrig, ein Anspruch aus § 826 BGB scheidet aus.
IV. Ergebnis
Im Ergebnis gilt: Es gibt keine rechtliche Verpflichtung von Markus Beckedahl, das betreffende Dokument aus dem Internet zu nehmen. Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG i.V.m. § 1004 BGB scheitert gleich aus mehreren Gründen; die Ansprüche aus § 823 Abs. 1 oder § 826 BGB i.V.m. § 1004 BGB scheitern jedenfalls daran, dass eine Veröffentlichung des Dokuments aus Gründen der Presse- oder Rundfunkfreiheit zulässig ist.
Weitere Meinungen zu dem Fall in Jurablogs:
RA Thomas Stadler bei Internet-Law.
RA Dr. Carsten Ulbricht bei Web2.0&Recht.
Jens Ferner bei Datenschutzbeauftragter Online.
Hinweis: Ich schreibe selbst bei Netzpolitik.org Blogeinträge und stand auch in dieser Sache mit Markus Beckedahl in Kontakt. Dieser Text ist keine Rechtsberatung, sondern versteht sich als Beitrag zu dem allgemeinen Diskussionsprozess, der in der Zwischenzeit um diesen Fall stattfindet. Markus Beckedahl ist in der Zwischenzeit in dieser Rechtsfrage rechtlich vertreten.