„Wohin gehst du, Jugendmedienschutz,” fragten das ZDF, die ARD und die evangelische und katholische Kirche vergangene Woche in Mainz. Eingeladen hatten sie zur JuMeta, einer Tagung zur Weiterentwicklung des Jugendmedienschutzes in Deutschland. Ich war dort, um nach der Antwort zu suchen. Gefunden habe ich aber nicht einmal die richtigen Fragen.
Die JuMeta war eine Fernsehveranstaltung. Das galt nicht nur für den Veranstalter – man hatte auch als Zuschauer manchmal den Eindruck, schlicht der Aufzeichnung einer Fernsehshow beizuwohnen. Da fuhren mehrere große Fernsehkameras durch den Raum, ZDF-Moderatoren führten im Plauderton durch die Veranstaltung. Referenten gingen vor ihrem Auftritt in die „Maske“, einer kam deshalb sogar zu spät auf das Podium. Es fiel als Zuschauer teils schwer, der Veranstaltung zu folgen, weil die Bühne sehr grell beleuchtet war. So ergab sich, dass viele Zuschauer in den hinteren Reihen gar nicht mehr auf die Bühne schauten, sondern zur Decke: Dort hingen große Fernseher, auf denen die Show „live” zu sehen war.
Auch die Zusammensetzung des Publikums entsprach viel eher einer Fernseh- als einer Internetveranstaltung. Gefühlte 95 % der Besucher waren älter als 40 und beruflich in einer der vielen Institutionen beschäftigt, die dem Jugendschutz dienen sollen: Selbstkontrolleinrichtungen, Jugendschutzbehörden, Landesmedienanstalten, diverse Kommissionen und Gremien. Die einzigen im Raum anwesenden Jugendlichen waren demgegenüber junge Hilfskräfte des ZDF, die damit beauftragt waren, den Konferenzteilnehmern ihre Jacken abzunehmen und ihnen die Mikrofone zu reichen. Sie hätten gerne mitdiskutiert, ich habe nachgefragt. Es gab auch noch einige Teenager, die offenbar Artikel für die „Junge Presse”, produzierten, sich aber nicht selbst zu Wort meldeten (dafür wurden sie aber ständig gefilmt).
Von der Absicht, Mauern zu errichten
Und dann war noch der junge Erwachsene, der für sich in Anspruch nahm, für die „Jugend” zu sprechen – um dann im nächsten Satz zu fragen, wieso die anwesenden Politiker keine „Mauer” um den „testosterongesteuerten Vierzehnjährigen” errichten würden, um diesen „vor seinen eigenen Entscheidungen zu schützen”. Diese Frage wurde dann übrigens dahingehend beantwortet, man tue das ja rein gesetzlich bereits, es gebe aber ein Vollzugsproblem.
Grundsätzlich in Frage gestellt wurde der Jugendmedienschutz auf der JuMeta selten. Fast jeder Vortragende betonte, man wolle an dem bereits Erreichten festhalten, insbesondere an der erfolgreichen Arbeit der jeweils eigenen Institution. Murat Erdemir war immerhin eingeladen worden, um seine „Punkte für einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz im Netz” vorzustellen, aber eine Diskussion schloss sich nicht an. Immerhin: Den letzten JMStV-Entwurf verteidigte hier niemand mehr. Hier zeigte sich eine deutliche Diskrepanz zu der Verbissenheit, mit der viele der Anwesenden den Vertrag noch während der Ratifikationsphase verteidigt hatten. Es dominierten nun die Stimmen, die einen Neuanfang, einen besseren Dialog und Verständnis für die Besonderheiten des Internets forderten. Aber, wie sollte er aussehen, der Neuanfang? Und wo war er, der Dialog mit der „Netz-Community”?
Wer den Dialog sucht, sollte das Gespräch nicht meiden
Der einzige, der aus dem Lager der Internet-Nutzer auf dem Podium saß, war Mr. Topf alias Christian Scholz. Dieser wurde allerdings mit seiner Kritik, man könne als einzelner Blogger kaum selbst einschätzen, welche Altersstufe zutreffend sei, von Sabine Frank (Ex-FSM, bald Google) abgekanzelt: Man könne ihm das Denken eben nicht abnehmen. Als Scholz dann später von seinem Projekt „We rate it” berichtete, das diese Bewertungsentscheidung testweise „crowdsourced”, beschied ihm Verena Weigand von der KJM, ein solches Tool könne keinesfalls die Entscheidungsqualität erreichen, die von expertenhaften Entscheidungsgremien gewährleistet werde.
Es wäre falsch zu sagen, die Veranstalter hätten gar nicht erst versucht, die JMStV-Kritiker einzuladen. Aber dieser Versuch krankte am selben Problem, an dem auch der JMStV-Entwurf gescheitert ist: Man hat es einfach noch nicht so richtig verstanden mit der Netzpolitik. Es gibt eben keine gesichtlose Masse von „Netz-Aktivisten“, denen man nur eine „Blogger-Bar“ vor den Konferenzraum stellt, dann kommen sie schon und sind wieder brav.
An der Blogger-Bar wurde übrigens hauptsächlich getwittert. Angeblich gab es irgendwo auch eine Twitter-Wall, aber ich habe sie nicht gesehen – ebensowenig wie andere Blogger (außer Mr. Topf und Marko Dörre). Wer die Netz-Community einbinden will, der muss sie nicht nur verstehen, sondern eben auch dort mit ihr kommunizieren, wo er sie findet: nämlich im Netz. Man hätte vielleicht auch den ein oder anderen Blogger einladen können, der eloquent genug ist, um die Kritik am bestehenden Jugendmedienschutz auch Fernsehshow-tauglich vorzutragen. Es gibt Internet-Publizisten, die das können – aber um sie einzuladen, muss man sie zuerst einmal kennen. So blieb die undankbare Aufgabe, den anwesenden Berufsjugendschützern zu sagen, sie hätten in der Vergangenheit vielleicht nicht alles richtig gemacht, einigen Hochschulprofessoren überlassen.
Unbeantwortete Grundsatzfragen
So blieb die drängende Frage „Quo Vadis, Jugendmedienschutz“ in Mainz jedenfalls nach meiner Einschätzung unbeantwortet. Teilweise wurde sie nicht einmal richtig gestellt: Keine Jugendgeneration hatte jemals so einfachen Zugang zu expliziten sexuellen und Gewaltdarstellungen. Keine Generation zuvor ist so früh – auch ungewollt – mit dieser Art von Inhalten in Kontakt gekommen. Und dennoch verroht die Jugend nicht, ganz im Gegenteil. Das Internet ist ein globaler Raum, und Regulierungsinstrumente, die an Staatsgrenzen ihre Wirkung verlieren, versagen hier größtenteils. Wie soll man damit umgehen?
Eine andere wichtige Frage wurde immerhin angesprochen: Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass „medienkompetente“ Kinder und Jugendliche den Kontakt mit (angeblich) jugendgefährdenden Medien nicht vermeiden, sondern gezielt suchen. Die Kontakte, die daraufhin stattfinden, beschreiben sie auch nicht als unangenehm. Was ist daraus abzuleiten? Eventuell, dass restriktive Ansätze nicht nur fruchtlos, sondern sogar kontraproduktiv sind?
Es ist letztlich kein Wunder, dass die konservative Jugendschützer-Szene, die die JuMeta 2011 dominierte, dieser Frage nicht wirklich nachgehen wollte. Das Problem konsequent anzugehen hätte bedeutet, die Sinnhaftigkeit des eigenen Wirkens in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Frage zu stellen. Und das in sehr grundsätzlicher Art und Weise.
Um es mit Schumpeter zu sagen: Es waren eben nicht die Postkutschenunternehmer, die die Eisenbahnen gebaut haben.
Murat Erdemir: 10 Punkte für einen zeitgemäßen Jugendschutz im Netz.
Telemedicus / Simon Möller: Perspektiven für ein neues Jugendmedienschutzrecht.