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Projekt Zeitungszeugen: Der Freistaat Bayern als Zensor

Ein Kommentar von Simon Möller.

Die Art, auf die sich die deutsche Öffentlichkeit mit ihrer Vergangenheit beschäftigt, war schon immer von Schizophrenie geprägt. Einerseits hat sich die Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Gründung 1949 die eigene Entnazifizierung zur konsequenten Aufgabe gemacht, z.B. durch die hohen Strafandrohungen der §§ 84 ff. StGB („Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“). Andererseits ist diese Auseinandersetzung immer lückenhaft geblieben, in manchen Gebieten blieb sie ganz aus. Ein eher unbekanntes Beispiel: Die Gesetzessammlung, in der die meisten Juristen die §§ 84 ff. StGB nachlesen, ist nach Heinrich Schönfelder benannt, einem engagierten Nazi.

Dass der Freistaat Bayern, namentlich das bayerische Finanzministerium, nun die Publikation von historischen Zeitungen verbieten will, passt insofern ins Schema. Das ist nicht nur politisch bedenklich, sondern auch rechtlich: Denn der Freistaat Bayern bedient sich dabei nicht eines Instrumentes des Ordnungsrechts, z.B. dem JuSchG, sondern macht Urheberrechte geltend.
Diese Urheberrechte hatte der Freistaat nach Kriegsende erworben, als er in die Rechtsnachfolge des nazionalsozialistischen Eher-Verlags eintrat. Seitdem verweigert Bayern jede Lizenz für Texte, die in diesem Verlag erschienen sind – auch solche für den Druck kommentierter Ausgaben, die die Originalquellen wissenschaftlich aufbereiten und nach modernem Rechtsverständnis bewerten.

Der Freistaat Bayern würgt dadurch eine Auseinandersetzung mit der medialen Arbeitsweise der Nazis, die längst überfällig ist, einfach ab. Anders als teilweise kolportiert handelt es sich bei der „Edition Zeitungszeugen“ nämlich nicht um einen Versand für Nazi-Memorabilia oder ein rechtes Propaganda-Instrument. Schaut man sich die Webseite des Projektes an, wird schnell deutlich, worum es bei den „Zeitungszeugen“ geht:

Viele Menschen denken bei Zeitungen aus dem von uns ausgewählten Zeitraum sofort an Goebbel’sche Nazi-Propaganda. Damit liegen sie vielfach auch völlig richtig. Beim Durchblättern der Zeitungen wird Ihnen aber auffallen, dass das Leben innerhalb der NS-Diktatur nicht nur von Politik und Propaganda durchdrungen war.

Das „normale“ Leben ging weiter, auch, wenn der Einfluss der Nazis auf viele Bereiche des täglichen Lebens bald enorm sein sollte. Wenn man die Kleinanzeigen studiert, nachschlägt, wie die Aktien standen, welchen Film man sich im Kino hätte ansehen können oder was die „moderne Frau“ in Modefragen beschäftigte, erfährt man vieles aus dem Alltag der Menschen damals.

Der Eindruck, den man von dieser Zeit vermittelt bekommt, sagt weit mehr aus, als dies ein üblicher Text über ein Thema aus der Geschichte tun könnte. Gleichzeitig erläutern renommierte Historikerinnen und Historiker, Publizistinnen und Publizisten nicht nur die Hintergründe, sondern helfen dabei, zwischen den Zeilen zu lesen. Zeitungszeugen bietet Ihnen damit erstmals die Gelegenheit, selbst zu lesen und zu verstehen, was damals geschah.

Die Zeitungszeugen haben es sich also zum Ziel gesetzt, Transparenz in genau einem solchen Bereich herzustellen, der lange intransparent geblieben war: Dem Alltagsleben der Generation vor 1945. Hier erhalten Bürger die Möglichkeit, sich anhand von Originalquellen ein Bild zu machen, wie Nazideutschland funktionierte – für die staatsbürgerliche Bildung und die wehrhafte Demokratie eine unschätzbar wichtige Aufgabe. Hinzu kommt, dass das Projekt der Nähe zu rechtem Gedankengut gänzlich unverdächtig ist: Nicht nur der wissenschaftliche Beirat ist erlesen, auch das Projekt selbst bemüht sich um eine pluralistische Darstellung, druckt nicht nur NS-Presse nach, sondern auch kritische Blätter, jüdische Zeitungen und die deutsche Auslandspresse.

Dennoch ließ der Freistaat Bayern vergangene Woche die dritte Ausgabe, die ein Exemplar des „Völkischen Beobachters“ enthielt, beschlagnahmen – wegen eines Verstoßes gegen seine angeblichen Urheberrechte. Der Zeitungszeugen-Verlag verteidigt sich dagegen mit dem Einwand, es handele sich um ein zulässiges Großzitat nach § 51 Nr. 1 UrhG. Das mag richtig sein oder nicht, der wesentliche Punkt ist ein anderer: Der Freistaat Bayern versucht hier mit Mitteln des Urheberrechts ein Ziel zu erreichen, das er mit öffentlich-rechtlichen Mitteln nicht erreichen könnte. Das Bundesland schafft es nämlich auf diese Weise, bestimmte Werke – noch deutlich über die Grenzen, die die Verfassung zieht, hinaus – aus dem Verkehr zu ziehen.

Der Freistaat Bayern ist als Teil der öffentlichen Gewalt jedoch an Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG), insbesondere auch an die in Art. 5 Abs. 1 und 3 GG garantierte Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit. Ebenso gilt für Bayern auch das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. An diese Grundrechte ist der Freistaat auch dann gebunden, wenn er sich der Mittel des Zivilrechtes bedient – eine „Flucht ins Privatrecht“ ist ihm verboten. Auch bei der Wahrnehmung seiner Urheberrechte muss Bayern also Sorge tragen, dass eine öffentliche Auseinandersetzung mit diesem dunklen Teil der deutschen Vergangenheit stattfinden kann.
Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der deutschen Gesellschaft vor '45 kann aber nur geschehen, wenn auch Originalquellen gelesen und studiert werden dürfen, und diese Auseinandersetzung kann nur dann eine breite Öffentlichkeit erreichen, wenn sie sich dazu der Mittel der freien Presse bedient, d.h. des Nachdrucks in großen Auflagen und des Vertriebs über Zeitungskiosks. Eine echte Bedrohung, z.B. durch Wiederaufleben nationalsozialistischen Gedankenguts, besteht demgegenüber durch Projekte wie die Zeitungszeugen nicht – im Gegenteil. Hier gilt auch für den Freistaat Bayern der Gedanke dessen, was der Gesetzgeber in § 86 Abs. 3 StGB formuliert hat:

[Die Strafbarkeit wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen] gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.

Der BGH hat vor diesem Hintergrund in der Entscheidung BGHSt 29, 73 geurteilt, dass der antiquarische Vertrieb von Hitlers „Mein Kampf“ zulässig ist. Auch das BVerfG hat in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass die grundrechtlich geschützte Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit auch erlaubt, sich Originalmaterial oder Symbolen der Nazis zu bedienen, solange deren Zwecke dadurch nicht gefördert werden (BVerfG NJW 1990, 2541 f.; BVerfG NJW 2006, 3052 ff.).

Die Art, in der sich das bayerische Finanzministerium verhält, ist nicht nur politisch hoch bedenklich. Es ist nach der hier vertretenen Ansicht auch rechtlich schlicht falsch, hier Mittel des Urheberrechtes einzusetzen, um die Schranken des Grundgesetzes zu umgehen. Es bleibt zu hoffen, dass das Projekt Zeitungszeugen trotz des rechtlichen Sperrfeuers seine Arbeit fortsetzt – und dass die Verantwortlichen in Bayern sich für ihr Vorgehen noch rechtfertigen müssen.

Lesenswerte Darstellung zur Causa „Zeitungszeugen“ in der Süddeutschen Zeitung.

, Telemedicus v. 03.02.2009, https://tlmd.in/a/1143

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