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Privates Fernsehen in der Kritik – DSDS und Dschungelcamp

Schelte für private Fernsehsender hat momentan Hochkonjunktur. Seit Wochen wird über die Programmqualität des privaten Fernsehens diskutiert, wobei insbesondere die RTL-Gruppe im Zentrum der Kritik steht: Von „medialer Massenverrohung“ ist die Rede. Die Kritiker fordern ein Umdenken der Sender. Aber ist das angesichts der medienpolitischen Realitäten eine realistische Forderung?
So hat der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, RTL aufgefordert, bei Deutschland sucht den Superstar (DSDS) ein Mindestmaß an Anstand walten zu lassen. Christian Höppner, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kulturrates und Mitglied des Programmbeirates von RTL, erhebt schwere Vorwürfe: Was bei DSDS an Menschen verachtender Häme produziert werde, sei durch keinen Quotenzwang mehr zu rechtfertigen. Die gezielte Erniedrigung durch eine entsprechende Regie offenbare ein Maß an medialer Brutalität und gesellschaftspolitischer Verantwortungslosigkeit, die er nicht mehr akzeptieren könne:

Die Lust an Erniedrigung und grenzenlosem Voyeurismus breitet sich in den unterschiedlichsten medialen Plattfomen wie ein Krebsgeschwür aus. Wir müssen uns stärker als bisher bewusst werden, dass diese Form medialer Massenverrohung nicht ohne Folgen auf unsere Gesellschaft bleiben kann. Leider zeigt sich RTL gerade in diesem Punkt als beratungsresistent.

Erst unlängst hatte auch der Direktor der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien (LfM) Norbert Schneider die beiden RTL-Formate „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ und „Deutschland sucht den Superstar“ kritisiert. Der Reichweitengewinn und der entstandene Flurschaden für das Image des Senders stünden in keinem Verhältnis zueinander:

Gerade in einer Zeit, in der verstärkt über die Qualität des Privatfernsehens gesprochen wird, tut sich RTL als größtes deutsches Privatprogramm mit diesen Sendungen sicher keinen Gefallen.

DSDS auf dem Prüfstand

Hatte Norbert Schneider aber noch im selben Atemzug verkündigt, die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) könne in den Formaten „auf den ersten Blick“ keine medienrechtlichen Verstöße erkennen, hat ein zweiter Blick (vermutlich in die BILD-Zeitung) jetzt ein Prüfverfahren gegen DSDS ausgelöst.

Nach dem Zusammenbruch eines 17jährigen vor laufenden Kameras, will die KJM sich die Show wieder einmal näher anschauen. Nach Auffassung der KJM stellt die hämische Inszenierung untalentierter Kandidaten im Rahmen eines offenen Castings Menschen bloß. Ziel des Fernsehens aber müsse es sein, Kinder in ihrer Entwicklung zu gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten nicht zu stören. Die Jury stelle mit der brutalen Selektion ihre Auswahlkriterien als gesellschaftlich erwünscht und als Erfolgsrezept dar. Die KJM prüft jetzt, in der nunmehr 5. Staffel, welche Wirkung die Ausstrahlung der Casting-Zusammenfassungen auf Kinder und Jugendliche hat. Besonderes Augenmerk werde die KJM auf die Wiederholungen der Show im Nachmittagsprogramm legen. Insbesondere zu dieser Zeit säßen Kinder vor dem Fernseher, deren Entwicklung durch die gezeigten Szenen beeinträchtigt werden könnte.

Bereits in der vergangenen Staffel hatte RTL Auseinandersetzungen mit den Landesmedienanstalten auszufechten (Telemedicus berichtete). Nach Ansicht der KJM hatte RTL seinerzeit insbesondere mit der Ausstrahlung von DSDS-Wiederholungen zur Nachmittagszeit gegen Jugendschutzbestimmungen verstoßen. Die beleidigende Kommentare der Jury sowie die redaktionelle Aufbereitung und Inszenierung der Auftritte einiger Kandidaten seien geeignet gewesen, die Entwicklung von Kindern unter 12 Jahren zu beeinträchtigen. Menschen seien „herabgesetzt, verspottet und lächerlich gemacht“, „antisoziales Verhalten als Normalität dargestellt“ worden. Damals habe der Sender laut DWDL angekündigt, dass er sich mit Jugendschützern im Vorfeld besser abstimmen wolle. Nach Ansicht von Ring habe sich da aber nicht viel geändert. Anders RTL:

Ein Ergebnis ist, dass wir bei der jetzigen Staffel die Tageswiederholungen von Anfang an bearbeitet zeigen und damit den Vorgaben des Jugendschutzes folgen.

so RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer auf DWDL.de-Nachfrage. So sollen laut „sat und kabel“ bestimmte Beschimpfungen tagsüber mit einem Piepton überlagert worden sein. Zudem wurde nach RTL-Auskünften die redaktionelle Bearbeitung von Kandidatenauftritten durch special effects deutlich reduziert.

Die Kasse muss stimmen

Allen Anfeindungen und Appellen zum Trotz, ist für die privaten Sender vor allem der Erfolg in der werberelevanten Zielgruppe der 14-49jährigen von Bedeutung (dazu hier, im zweiten Teil des Artikels, ausführlich). Dieser entscheidet über Wohl und Wehe des wirtschaftlichen Erfolgs der Sender und spricht für sich: Bei der Werbe-Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen lag die Dschungelshow unlängst mit 36 Prozent Marktanteil klar vor Wetten, dass…? (24,4 Prozent). Angesichts dessen scheint Besserung nicht in Sicht. Im Gegenteil, so Jo Groebel in der BILD:

Wir haben es mit einer Spirale zu tun: Erst ist man schockiert, aber nach der Gewöhnung muss ein noch stärkerer Reiz kommen.

Der Spiegel sieht die Angelegenheit nüchtern:

In rund zehn Jahren wird die Riege der letzten echten Fernsehstars in der Jauchschmidtgottschalk-Kategorie allmählich (…) ersetzt von einem Heer verhaltensgestörter Kurzzeit-Freaks, Zielgruppen-Ikönchen und Nischen-Berühmtheiten. Ab Mittwoch dieser Woche wird das Reservoir weiter gefüllt werden, denn dann beginnt die neue Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“. RTL verspricht sich auch davon viel. Aber ganz sicher keinen Star.

Schon eher Werbe- und Merchandisingeinnahmen… Obschon, hinsichtlich des wirtschaftlichen Potentials bestehen noch Spielräume, so Spiegel-Online-Redakteur Christoph Cadenbach, der den Faden weiterspinnt:

Wie könnte die Zukunft der RTL-Inhouse-Verwertungskette aussehen? „DSDS“ beschafft das Frischfleisch, klar. Dann geht es weiter in die Penetranzformate mit den großen Es – „Explosiv“, „Exklusiv“ und „Extra“. Sony BMG, das ebenso wie RTL zu Bertelsmann gehört, vermarktet nebenher die Musik. Und was nach einem Jahr noch vom Superstar oder den Fast-Superstaren übrig ist, wird im Dschungelcamp recycelt. Ist man pleite, lässt man sich von RTL-Schuldnerberater Peter Zwegat bei der Hand nehmen. Hassen einen die eigenen Kinder, ruft man Super-Nanny Saalfrank an, schmeißt die Frau einen raus, Sozialarbeiter Thomas Sonnenburg. Ganz Verstörte können auch Inneneinrichtungsderwisch Tine Wittler ins Haus holen und sich die Wände im knatschigen „DSDS“-Studioblau pinseln lassen. Zur Erinnerung an bessere Zeiten oder so. Ein perfekter Kreislauf.

„Verlogen und scheinheilig“

Dieter Bohlen derweil hat kein Verständnis für die Vorwürfe und gibt den schwarzen Peter weiter. Die Verantwortung für den Zwischenfall, bei dem ein Siebzehnjähriger nach harscher Kritik zusammenbrach, läge bei den Eltern:

Ich frage mich, warum ihn der Vater zu DSDS geschickt hat? Jeder hat gemerkt, dass er nicht singen kann. Wieso hat ihm das niemand vorher gesagt?,

so Bohlen gegenüber BILD. Dem widerspricht Ring: Den Eltern die Schuld an etwaigen Zusammenbrüchen der Kandidaten zu geben „verlogen und scheinheilig“, schließlich suche RTL die Kandidaten für die Castings aus. Nach Auffassung von Stefan Niggemeier (FAZ vom 02.02.08) seien aber auch Rings Äußerungen scheinheilig, habe RTL doch unmittelbar nach der damaligen Beanstandung in einer Pressemitteilung deutlich gemacht, „wie gleichgültig“ dem Sender das Urteil sei:

RTL betonte, dass es keine Beanstandung der Ausstrahlung um 20.15 Uhr gab, und nahm das als Beleg, dass „einige der jetzt diskutierten Fragen wohl eher Geschmackssache und weniger ein nachhaltiges Problem des Jugendschutzes“ seien, wie Unterhaltungschef Tom Sänger damals erklärte. (…) Dass der Sender am erfolgreichen Konzept der Sendung, das in den ersten Folgen fast ausschließlich darauf beruht, tatsächlich unfähige und teilweise ernsthaft debil wirkende Kandidaten mit der größtmöglichen Brutalität bloßzustellen, grundsätzlich etwas ändern würde, war nicht zu erwarten.

Allerdings habe Tom Sänger schon vor einem Jahr das Rennen um die größte Scheinheiligkeit mit dem Satz eröffnet:

Wir sind sehr darauf bedacht, die Akteure nicht zu beschädigen.

Fazit

Egal wie die Diskussion auch weitergehen mag, ist anzunehmen, dass RTL mit der aktuellen Kritik gut leben kann. Medienwissenschaftler Professor Jo Groebel in der BILD: Die Aufregung sei Teil des Sendekonzeptes.

Hinsichtlich des anstehenden Prüfverfahrens zeigt sich der Sender daher erwartungsgemäß gelassen. Anke Eickmeyer, RTL-Sprecherin dazu bei DWDL: „Wir warten das Prüfergebnis ab und sind jederzeit zu konstruktiven Gesprächen bereit“. Sollte die KJM nun einen erneuten Verstoß feststellen, droht RTL diesmal ein Bußgeld in Höhe von bis zu 500.000 Euro. Das sich der Kölner Privatsender auch jetzt keiner Schuld bewusst ist, machte RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer aber bereits vor einigen Wochen in der BILD klar:

Die Menschenwürde wird sicher an zu vielen Orten dieser Welt verletzt, aber ganz bestimmt nicht beim Casting von ,DSDS“ oder im australischen Dschungel. Alle Teilnehmer, die ,DSDS“-Kandidaten und ihre Eltern ebenso wie die Prominenten im Dschungel haben inzwischen mehrere Staffeln beider Sendungen gesehen und sich selbst beworben um dabei zu sein.

Unabhängig vom Ausgang der derzeitigen Debatte, muss sich die KJM aber doch langsam einmal die Frage gefallen lassen, wieso in der Regel erst Berichte diverser Medien notwendig sind, bevor altbekannte Fernsehformate plötzlich als jugendgefährdend eingestuft werden. Für regelmäßige Fernsehzuschauer sind die Geschehnisse bei DSDS jedenfalls nicht gerade neu.

Zum 2. Teil der Serie: Der Streit um die Informationsformate und die verfassungsrechtlichen Hintergründe der Auseinandersetzung – Warum gesetzliche Programmvorgaben kaum realisierbar sind

, Telemedicus v. 07.02.2008, https://tlmd.in/a/641

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