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Pressemitteilungen und Urteilsgründe beim BGH

Ein Kommentar von Simon Möller.

Was war nicht alles geschrieben und spekuliert worden über das BGH-Urteil zur WLAN-Haftung. Das Problem: Niemand kannte das Urteil. Print- wie Onlinemedien, Jurablogs und Foreneinträge – alle stützten sich auf die Pressemitteilung. Dass sich ein Urteil anhand einer Pressemitteilung nicht richtig analysieren lässt, hielt dabei wenige auf. Wie auch: Wer im Konkurrenzkampf um die aktuellste Berichterstattung mithalten will, der muss berichten, sobald die Nachricht da ist. Und das ist eben das Urteil – nicht die Urteilsbegründung.
Das BVerfG verfolgt seit vielen Jahren die Politik, seine Entscheidung, die Pressemitteilung zum Urteil und die schriftlichen Urteilsgründe gleichzeitig bekannt zu geben. So erreicht das BVerfG eine umfangreiche, aber auch angemessene Berichterstattung: Je nachdem, welche Bedürfnisse die Informationssuchenden haben, können sie diese auf unterschiedlichen Kanälen verfolgen. Die Parteien des Verfahrens und die ganz eiligen können sich mündlich im Gerichtssaal informieren. Die Presse erhält die relevanten Informationen aus der Pressemitteilung, wo die Ergebnisse des Urteils so erklärt werden, dass sie auch für Nichtjuristen verständlich sind. Die juristischen Fachmedien und – vor allem – diejenigen, die die Medienberichterstattung durch Statements und Interviews um Fakten bereichern, können auf die vollständigen Urteilsgründe zurückgreifen.

Beim BGH ist das anders. Ist der Tag der Urteilsverkündung gekommen, dreht sich der Nachrichtenzirkus – und läuft, mangels belastbarer Informationen, schnell heiß. Nicht nur beim WLAN-Urteil war schnell der Punkt erreicht, bei dem auf die einzig verfügbare belastbare Quelle – die Pressemitteilung – juristische Auslegungsmethoden angewendet werden mussten: Welchen grammatikalischen Sinn hat ein bestimmter Satz? Entspricht er dem Dictum des restlichen Textes? Welchen Zweck verfolgt der BGH damit, ihn in die Pressemitteilung aufgenommen zu haben?

Nach dem Erlass des Urteils vergehen häufig noch viele Monate, bis der BGH die Urteilsbegründung veröffentlicht. Wenn die eigentlichen Urteilsgründe erscheinen, interessiert das meist keinen mehr – die eigentliche Nachricht ist ja schon erzählt worden. Dabei sind genau diese Ausführungen des BGH die eigentlich relevanten Inhalte.

Durch seine aktuelle Vorgehensweise mag der BGH dem üblichen Procedere im Zivilprozess entsprechen. Der öffentlichen Meinungsbildung tut er dabei aber nichts Gutes. Die Medien, aber auch die an der Berichterstattung beteiligten Fachjuristen, zwingt er dadurch dazu, hochspekulativ zu berichten – ausgerechnet über ein Dokument, an dessen Verlässlichkeit und Eindeutigkeit so hohe Anforderungen gestellt werden wie sonst wohl nirgends: Ein rechtskräftiges Urteil des höchsten deutschen Instanzgerichts.

, Telemedicus v. 03.06.2010, https://tlmd.in/a/1773

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