Zum Ausschluss „presseähnlicher” Online-Dienste aus dem Internet-Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – Zugleich eine Anmerkung zum „Papier-Gutachten”
Ein Gastbeitrag von Professor Dr. Karl-Heinz Ladeur, Bremen/Hamburg
1. Vorbemerkung: Vom „Programmbezug“ der Online-Dienste zum selbstständigen „Telemedien-Angebot“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten
In der Kontroverse über Konzeption und Durchführung des Dreistufentests1 für die Bewertung der Telemediendienste der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Allgemeinen sowie die Reichweite des Ausschlusses „presseähnlicher“ Online-Dienste ist eine Grundfrage der Bestimmung der Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, d.h. die Legitimation neuer „Angebote“ in der Form von Telemedien in der dualen Rundfunkordnung in den Hintergrund getreten. Vor allem ist wenig beachtet worden, dass die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht nur quantitativ erweitert sondern auch qualitativ völlig neu bestimmt worden ist.2 Bis zum 12. Rundfunkstaatsvertrag (2008) waren die „Onlinedienste“ (jetzt Telemedien) nur durch den „Programmbezug“ bestimmt und begrenzt worden.3 Dieser „Programmbezug“ ist zunächst nur relativ locker („überwiegend“) definiert worden.4 Diese Erweiterung ist später weggefallen.
Diese frühere Konzeption des Angebots von Mediendiensten durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten war so zu verstehen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Rahmen der so genannten Bestands- und Entwicklungsgarantie5 auch die neuen Informationstechnologien nicht nur zur Verbreitung seiner Programme sondern auch in Ergänzung seines Programmangebots nutzen durfte und sollte.6 Wenn das Programm durch technologische Evolution (auf Grund der Digitalisierung) mehr und mehr zum „Informationscontainer“ werden kann, der Verknüpfungen mit zusätzlichen Informationen in anderen Diensten durch „Verlinkung“, Individualisierung (durch ergänzende Serviceleistungen) erlaubt und das klassische Programm zum Knoten in einem Netzwerk wird7, so muss diese Möglichkeit auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eröffnet werden. Nicht zuletzt dies ist Bestandteil der „Entwicklungsgarantie“ für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.8 Das BVerfG hat das einzige Urteil aus jüngster Zeit, das 2. Rundfunkgebührenurteil, vom 11.9.20079, nicht dazu genutzt, genauer zu den Veränderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung Stellung zu nehmen. Es ist sicher einzuräumen, dass erstens nach wie vor ein auf verfassungsrechtlich begründetes Interesse an der Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht, und zweitens, dass dessen Aufgabenbeschreibung unter den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen alles andere als einfach ist.
Im Angesicht des Wandels der elektronischen Medien10 bedarf es aus verfassungsrechtlichen Gründen einer „Nachbesserung“11 einer unter Ungewissheitsbedingungen erfolgten Rechtsetzung. In seinem grundlegenden vierten Rundfunkurteil zur „dualen Rundfunkordnung“ hat das BVerfG die Gewährleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Bedingung für die Zulassung privater Rundfunkveranstalter bezeichnet12. Ob dies heute noch richtig ist, kann dahingestellt bleiben, jedenfalls muss man hier eine deutliche Trennlinie zu den neuen Onlinediensten ziehen, wo dies offensichtlich auch nach Auffassung des Gesetzgebers anders ist.
2. Der Konflikt zwischen Individualisierung der Nutzung und der Vielfalt des „Programms“
Das Interesse der jüngeren Zuschauer gilt im übrigen gerade solchen interaktiven Angeboten (social media, Chats, Diskussionsgruppen, Arbeiten mit Suchmaschinen, Austausch und Nutzung von selbst erzeugten Inhalten etc.), die dem unmittelbaren Austausch in mehr oder weniger persönlichen Netzwerken dienen. Dies ist ein ganz anderes Interesse als das bisher durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfolgte „Programminteresse“. Dies schließt eine Expansion über die Grenzen des „Programmbezugs“ hinaus nicht von vornherein aus, aber es bedürfte doch einer genaueren, prozedural ausdifferenzierten Analyse des Wandels der Medien, um die Ausdehnung einer primär auf die „Integration“ der Gesellschaft angelegten Vielfalt der Programmkomponenten auf solche Dienste zu rechtfertigen, die in erster Linie individualisiert oder in neuen Formen von Netzwerken wahrgenommen werden.13 Die Legitimation für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestand in dessen Funktion als Massenmedium; der Übergang zu einem öffentlich-rechtlichen Netzwerk aus Nischenmedien14 bedarf aber einer neuen Begründung. Dieser Übergang hat nichts mit einer bloßen Anpassung an veränderte technologische Bedingungen zu tun.15
Dieses Begründungsproblem stellt sich schon vor der Frage, ob überhaupt von einem Mangel an Vielfalt im Internet ausgegangen werden kann. Erst in zweiter Linie stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung eines Angebots, das der Fragmentierung des Publikums folgt, obwohl dies im Gegensatz zur bisher zentralen Aufgabe der „Integration“ einer relativ einheitlichen Öffentlichkeit steht. Die besonderen Interessen, die im Prozess der Fragmentierung des Programms in einzelnen Netzwerken16 verfolgt werden, bedürfen zunächst einer genaueren Untersuchung. Es kann aber nicht von vornherein unterstellt werden, dass die Expansion in die neuen Nischen eine Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist. Ein großer Teil der interaktiven Medien, die heute von Jugendlichen präferiert werden, hat mit der Aufgabe des Rundfunks nichts zu tun. Auf diesem Hintergrund erweist sich die unreflektierte Expansion in das Internet als verfassungsrechtlich besonders problematisch.
3. Telemedien unterliegen einem anderen Regulierungsregime
Die Sonderstellung des Programmrundfunks ist zunächst mit dem Mangel an Sendefrequenzen, dann mit dem hohen finanziellen Aufwand (jedenfalls für ein Fernsehprogramm) und die besondere „Suggestivkraft“17 des Mediums Fernsehen begründet worden. Diese Kriterien gelten nicht für die Telemedien.18 Dies schlägt sich zu recht der presseähnlichen Minimalregulierung der Telemedien nieder. Diese Differenzierung zwischen unterschiedlichen Medien des Rundfunks im verfassungsrechtlichen Sinne ist nicht nur unbedenklich sondern verfassungsrechtlich geboten19 , weil der Gesetzgeber hier nicht nur davon ausgehen konnte, sondern von Verfassungs wegen unterstellen musste, dass die Ordnung dieser neuen Medien durch die Selbstorganisation der Produzenten, der Formate, Standards, Finanzierungsformen etc. erfolgen würde, wie dies auch im Bereich der Presse gilt.20
Angesichts dieser neuen Konstellation erscheint es verfassungsrechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebenfalls eine Rolle im Bereich der Telemedien zuzuweisen. Jedoch kann der Gesetzgeber dafür nicht mehr die Ausgestaltungsfreiheit in dem oben beschriebenen Sinne in Anspruch nehmen, da die Selbstorganisation des neuen Mediums dem Modell der klassischen „Abwehrrechte“ folgt, die auch und gerade im Mediensystem weniger der individuellen Handlungsfreiheit als einer transsubjektiven Funktion der dezentralen (also nicht staatlich gesteuerten) Selbstorganisation freiheitlich verfasster Handlungsbereiche dienen.21 Zu dieser transsubjektiven Funktion der klassischen Abwehrrechte gehört auch ein diese Funktion abstützender Bestand von Vermutungs-, Wissens- und Beweisregeln, die dem spontanen, durch gesellschaftliche Kräfte aggregierten Prozess der Selbstorganisation dadurch abstützen, dass der Staat nicht ohne weiteres im Angesicht von Ungewissheit ein höheres Wissen des Staates in Anspruch nehmen darf.22 Dies wird vor allem im Medienbereich dadurch abgestützt, dass (auch) die Möglichkeit der Finanzierung von Medienangeboten durch Private nicht nur eine faktische Chance ist23 – wie sonst bei wettbewerblichem Handeln auf Märkten – , sondern ihrerseits Verfassungsrang hat, wie das Bundesverfassungsgericht insbesondere für die Presse festgehalten hat.
Der Gesetzgeber ist aber im Bereich der Telemedien (wie der Presse) zunächst an die klassische Regel des Vorrangs privater Aktivitäten gebunden24 und unterliegt bei Durchbrechung dieser Regel einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Begründung einer Ausnahme, die unter Bedingungen von Ungewissheit eine prozedurale grundrechtliche Pflicht auslöst, das Handlungsfeld genauer zu beobachten. Die Telemedien lassen sich aber weder für die privaten Anbieter noch für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (die ebenfalls Anbieter von Telemedien sind) ohne nähere Begründung dem Regulierungsmodell des Programmrundfunks unterwerfen.
4. Die Besonderheit der Medienökonomie unter den Bedingungen des Internet
Angesichts des grundlegenden Wandels der Medienstruktur ist ein pauschaler Rekurs auf „Marktversagen“ auf Medienmärkten verfehlt.25 Charakteristisch für das Internet ist gerade die Fragmentierung des Publikums26 in eine Vielzahl von Foren, Netzwerken, Nischen und Gemeinschaften sowie der Aufstieg eines neuen Modus der Interaktivität, der nicht nur eine untergeordnete Funktion im Verhältnis zur „Sendung“ durch den zentralen Programmgestalter einnimmt, sondern die Medienkommunikation auf eine hybride Variante der Vernetzung von Kommunikationsteilnehmern umstellt, die sich vielfach nicht kennen und dennoch unmittelbar (zum Teil mithilfe von Pseudonymen: „Username“) kommunizieren. Daraus ergeben sich neue mögliche Verzerrungen, die bei inhaltsbasierten Diensten vor allem in der wachsenden Schwierigkeit besteht, finanzielle Mittel für professionelle Inhalte zu generieren. Dies verweist auf ein weiteres Problem, nämlich die Zerstreuung der Aufmerksamkeit. Es ist im Internet sehr viel schwieriger als in der Offline-Welt, überhaupt einen größeren Nutzerkreis zu erreichen. Dieses Problem würde sich auch den öffentlich-rechtlichen Anbietern stellen. So zeigt sich bei einem seit längerer Zeit existierenden Telemedien-Angebot des kanadischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass Informationsangebote im Internet nur von 12% der Kanadier in den letzten Jahren überhaupt einmal genutzt worden sind (in welchem Umfang auch immer).27
Es ist nicht zu bestreiten, dass wegen der gesunkenen Verbindungskosten und des steigenden Interesses an der Netzwerkkommunikation eine kaum überschaubare Vielfalt von Informationen, Formaten, Verknüpfungen im Internet zugänglich ist, die zunächst jeden Gedanken an einen generellen Mangel an Vielfalt ausschließen.28 Gerade deshalb ist die Generierung von Aufmerksamkeit jedoch ein gravierendes neues Problem der Medienökonomie.29 Während die klassische Medienökonomie des „Programms“ davon bestimmt war und ist, dass jeder (auch ein öffentlich-rechtlicher) Anbieter gezwungen ist, während eines eng begrenzten Zeitraums (prime time) ein möglichst großes Publikum zu aggregieren, ein Zwang, der paradoxerweise zu Konformität und Risikovermeidung trotz Steigerung der Zahl der Angebote beiträgt, ist für das Internet die umgekehrte Tendenz, die extreme Zersplitterung der Aufmerksamkeit charakteristisch.
In klassischen Rundfunkmedien besteht in medienökonomischer Beobachtung eine Tendenz gegen Innovation und gegen „Qualitätsinhalte“, die durch den starken Druck des Gesetzes der „prime time“ ausgeübt wird: Die Inhalte müssen sofort angenommen werden, sonst ist der Aufwand verloren.30 Diese Tendenz lässt sich so im Internet nicht beobachten, weil die Ökonomie des „Abrufs“ den Anpassungsdruck vermindert (allerdings auf Kosten der Fragmentierung).
5. Die neue Konkurrenz zwischen Presse und Rundfunk im Internet
Im folgenden soll es nicht um den Dreistufentest gehen, der dazu dienen soll, das unterentwickelte Moment eines spezifischen Medienwettbewerbsrechts innerhalb der „Dualen Rundfunkordnung“ auszugestalten, sondern um die Regulierung der im Zuge der Konvergenz der Medien ebenfalls möglich gewordene Konkurrenz zwischen (öffentlich-rechtlichem) Rundfunk und der Presse. Unabhängig von der begrifflichen Frage, ob und wie weit Internetdienste im allgemeinen durch die Rundfunkfreiheit oder die Pressefreiheit geschützt werden, ergibt sich aus der institutionell – in der neueren Terminologie des BVerfG „objektiv-rechtlich“ funktional – verstandenen Pressefreiheit, dass die ergänzende Nutzung des Internet zur Verbreitung von Presseinhalten (nicht nur derjenigen Inhalte, die auch in gedruckter Form zur Verfügung stehen) durch Presseunternehmen ebenfalls durch die Pressefreiheit geschützt wird. Die Presseunternehmen betreiben nicht etwas „ganz anderes“, wenn sie Onlinedienste nutzen. Diese Dienste stehen in einer Annexfunktion zur gedruckten Presse, sie haben insbesondere eine ergänzende, allerdings schwer zu realisierende Funktion der Kompensation finanzieller Verluste in der „Offline-Welt“. Aus dieser neuen Konstellation einer intermedialen Konkurrenz ergibt sich ein Gestaltungsauftrag für den Rundfunkgesetzgeber, der die Expansionsmöglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Internet nicht ungeregelt lassen darf.
6. Was ist ein „presseähnlicher“ Onlinedienst?
Der Rundfunkstaatsvertrag will in § 11 d Abs 2 Nr. 3 Hs. 3 diese Aufgabe im Hinblick auf die Presse durch die Untersagung des Angebots „presseähnlicher“ Dienste durch öffentlich-rechtliche Veranstalter erfüllen. Dass dies eine geeignete Grundlage zur Regulierung der neuen Konkurrenzsituation zwischen Rundfunk und Presse geeignet ist, muß nach den bisherigen Überlegungen zweifelhaft erscheinen: Der Gesetzgeber geht offenbar zunächst selbst davon aus, dass die Internetangebote jedenfalls der Presseunternehmen i. e. S. der „Presse“ und damit dem Schutz der Pressefreiheit zuzuordnen sind. Dann ist aber der abgrenzende Rekurs auf die „Ähnlichkeit“ von Internetangeboten zwischen Presse und Rundfunk wenig sinnvoll. Dies zeigt sich schon an der Überlegung, ob man zur Konkretisierung des Begriffs auf den mehr oder weniger hohen Textanteil zurückgreifen kann: „Viel Text“ ist dann „presseähnlich“ – dadurch wird allerdings die neue Frage aufgeworfen, was denn „viel“ ist.
Diese Frage ist kaum als sinnvoll anzusehen. Man mag deshalb die gewählte Form der Abgrenzung der Aufgaben von Presse und Rundfunk für ungeeignet und damit nach den Kriterien der Verfassungsmäßigkeit der „Ausgestaltungsgesetzgebung“31 für verfassungswidrig halten. Dafür spricht in der Tat einiges. Die einzige Möglichkeit einer verfassungskonformen Interpretation könnte darin gesehen werden, den Begriff „presseähnlich“ institutionell zu interpretieren und damit zur Abgrenzung der Funktionen von den Erscheinungsformen auszugehen, die die Presse im Internet zur Ergänzung der ihrer ursprünglichen medialen Verbreitung tatsächlich inzwischen gefunden hat. Dies könnte jedenfalls im Hinblick auf die Tagespresse (anders als bei Zeitschriften) zur Konturierung des Konzepts der „Presseähnlichkeit“ insofern beitragen, als sich vertreten ließe, insbesondere die aktuelle Tagesberichterstattung der Öffentlich-rechtlichen über die bloße Reproduktion etwa von „Tagesschau“, „heute“ u. ä. hinaus sei grundsätzlich unzulässig. Dies wäre ein durchaus sinnvolles Kriterium, das möglicherweise nicht alle Probleme bewältigen kann, aber doch das zentrale Problem der Konkurrenz mit der Tagespresse. Dies müßte auch zu Lasten der Öffentlich-Rechtlichen nicht zu eng verstanden werden: Man könnte hier an die Wiederaufnahme des früheren Kriteriums der „programmergänzenden“ Funktion denken und etwa die Einbeziehung der Wiedergabe von gesprochenen Texten in Schriftform zulassen. H. Gersdorf nimmt im Anschluß an die Definition in § 2 Abs. 2 Nr. 19 RfStV an, den Rundfunkanstalten sei die umfassende Wort- und Bildberichterstattung untersagt.32
7. Das „Papier-Gutachten“
Das für die Konferenz der Gremienvorsitzenden der ARD erstattete Gutachten von H. J. Papier, dem ehemaligen Präsidenten des BVerfG, kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, abzustellen sei auf das „Erscheinungsbild der Presse im klassischen Sinne“, d. h. ausgeschlossen seien nur Verbreitungsformen von Text und Bild „im klassischen Aussehen“ von Zeitungen (Hervorhebung im Original).33 Immerhin wird eingeräumt, dass der Begriff dann keinerlei Unterscheidungsfähigkeit mehr hat, „weil nach diesen Maßstäben wohl kaum ein Online-Angebot presse-ähnlich“ sei. Dies wird aber nicht für bedenklich gehalten, sondern als die allein „verfassungsrechtlich gebotene“ Auslegung angesehen. Das Gutachten lässt wenig (oder gar kein) Verständnis für den grundlegenden Wandel der Medien durch die Entwicklung des Internet als das „Netzwerk der Netze“ (E. Noam) erkennen.
Allein aus der überragenden „Bedeutung der ‚internetbasierten Meinungsbildung’ der Öffentlichkeit und des Einzelnen“ wird abgeleitet, dass ein „objektives und binnenplurales Angebot der öffentlich-rechtlichen Anbieter in diesem Bereich zum Kern der verfassungsrechtlich gebotenen Grundversorgung zu zählen ist“. „Daher wird man feststellen können, dass eine umfassende Internetberichterstattung zu den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestaufgaben (!) der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehört“.34 Dass dies notwendig ist, wird nicht etwa daraus abgeleitet, dass – wie dies für den privaten Rundfunk angenommen wird35 – im Internet nicht genug Vielfalt erzeugt werden kann, sondern es wird geradezu umgekehrt ein zu hohes Maß an Vielfalt als Belastung für den Bürger gesehen, der durch ein „konzentriertes“ vielfältiges Angebot der Öffentlichrechtlichen abzuhelfen sei.
Ein „objektiver und nicht tendentiöser Überblick über das Meinungsspektrum“ durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei notwendig, weil dem Bürger „nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht“ und er sich so die Informationen „nicht selbst zusammensuchen“ muss.36 Diese Interpretation offenbart ein eigenartiges Verständnis von Medien- und Kommunikationsfreiheit7, das zugleich zu erkennen gibt, warum sich sein Protagonist weder mit dem grundlegenden Wandel der Kommunikation auseinandersetzen muss, der mit dem Internet einhergeht, noch zu fragen braucht, wie es um die Vielfalt der Information im Internet bestellt ist.
Die Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten am Internet ist sicher legitim. Dass allerdings ohne genauere Analyse der „Online-Revolution“ so weitreichende, die Rolle der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht reflektierende rechtliche Annahmen formuliert werden, ist schwer nachvollziehbar: Das Internet ist ein „Meta-Medium jenseits aller bisher bekannten Medien“38 und verlangt deshalb auch Rechtsformen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, nicht „more of the same“.
Professor Dr. iur. Karl-Heinz Ladeur, geboren 1943, studierte Rechtswissenschaft in Köln und Bonn. Nach der Promotion 1976 folgte 1983 seine Habilitation an der Universität Bremen. Von 1983 bis 1994 hatte er dort auch eine Professur inne. Anschließend war er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2008 Professor für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Daneben war er von 1994 bis 1996 zeitweise als Professor für Rechtstheorie am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz tätig. An den Universitäten Paris, Amiens, Stanford und Harvard hatte er ebenfalls mehrere Forschungsaufenthalte. Heute ist er als „Distinguished Bremen Professor” an der Bremen International Graduate School of Social Sciences tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere im Bereich des Medienrechts.