Das Informationsrecht wird derzeit geprägt von politischen Versuchen, „Netzwerke“ und „Plattformen“ regulatorisch zu erfassen (ausführlich dazu der Telemedicus Soko-Tagungsband 2016 – Die Macht der Plattformen). Viele dieser Vorschläge – zuletzt der Gesetzesentwurf zum „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ – konzentrieren sich einseitig auf bestimmte Aspekte von „Plattformen“, verlieren dabei aber das Gesamtbild aus den Augen.
Aus diesem Grund veröffentliche ich nachfolgend, gekürzt und auf Telemedicus angepasst, einen Auszug aus den Kapiteln 6.2, 6.3 und 13.1 meiner Doktorarbeit „Must Carry: Übertragungspflichten auf Digitalen Plattformen“ (PDF-Download). Die Doktorarbeit befasst sich mit der medienrechtlichen Plattformregulierung, die in den §§ 52 ff. des Rundfunkstaatsvertrags niedergelegt ist. Die nachfolgenden Abschnitte betreffen aber die Intermediärsregulierung allgemein.
Plattformen im rundfunkrechtlichen Sinn sind Aggregatoren von Medieninhalten, die für den demokratischen, gesellschaftlichen Diskurs und die kommunikative Grundversorgung eine wichtige Rolle einnehmen. Sie sind damit Teil des Diskurses, sie sind selbst „Medien“.
Rundfunkplattformen nehmen eine Mittler-Rolle ein, wie sie für Medien typisch ist: Genauso wie Fernsehsender und Zeitungsverlage produzieren sie ihre Inhalte nicht selbst, sondern erwerben sie auf verschiedenen Wegen, bündeln sie und vermarkten sie gekoppelt mit eigenen, zusätzlichen Wertschöpfungselementen. Rundfunkplattformen bewegen sich gleichwohl auf einer höheren Aggregationsebene als die Programmveranstalter: Sie aggregieren Medieninhalte, die bereits zu festen Programmen bzw. Telemedien verbunden sind. Auf dieser höheren Aggregationsebene stehen sie auf einer Stufe mit Aggregatoren bzw. Intermediären für alle anderen Medienformen.
Dies wären beispielsweise:
Demnach ist die rundfunkrechtliche Plattformregulierung einzuordnen in einen größeren Rahmen: der Regulierung von „Intermediären“, von Content-Aggregatoren, verschiedener Art. Einige davon sind sehr stark reguliert, z.B. die Programmveranstalter. Andere sind etwas schwächer reguliert, z.B. die Rundfunkplattformen. Und wieder andere sind weitgehend unreguliert oder genießen sogar noch zivilrechtliche Haftungsprivilegien, wie z.B. die Zugangsanbieter des Telemediengesetzes. Diese unterschiedlichen Aggregationsformen in ein schlüssiges und einheitliches Aufsichtsmodell einzuordnen, gehört zu den zentralen Aufgaben der Medienregulierung der Zukunft (Kogler K&R 2011, 621; Hain AfP 2012, 313; Wagner, in: Gerth/Scheuer, Digitale Satellitenplattformen, 41; Kempermann, Content-Regulierung in konvergierenden Medien; Schulz/Jürgens, Die Regulierung von Inhaltediensten in Zeiten der Konvergenz).
Ein Begriff, der in der Debatte über die Regulierung von Intermediären immer wieder auftaucht, ist der der Neutralität. „Neutral“ in diesem Sinne verhält sich ein Vermittler dann, wenn er auf die vermittelten Inhalte wenig Einfluss nimmt. Er soll diese Inhalte also möglichst unverändert weiterleiten, sie nicht neu arrangieren oder bestimmte Inhalte privilegieren oder diskriminieren. Allgemein soll er weder auf die Sende- noch auf die Empfangssituation zu viel Einfluss nehmen, eben „neutral“ sein.
Dieses Regelungsziel wird primär mit der sog. Netzneutralität assoziiert, die derzeit insbesondere in § 41a TKG verankert ist. [Mittlerweile ist die EU-TSM-Verordnung hinzugekommen.] Aber auch das Pressegrosso-System wird wegen seiner Neutralität als besonders vielfaltsrelevant gelobt (BVerfGE 77, 346, 355; Guggenberger/Ulmer AfP 2013, 183; [zuletzt BGH v. 06.10.2015 – KZR 17/14]). Anderen Vermittlern, z.B. Presseverlagen, gesteht die Rechtsordnung demgegenüber zu, sich gerade nicht neutral zu verhalten. Solchen Unternehmen wird sogar explizit ein Recht zugewiesen, bei der Vermittlung von Informationen auf Inhalt und Zusammenstellung Einfluss zu nehmen (sog. Tendenzschutz; BVerfGE 52, 283, 296 ff. – Tendenzbetrieb).
Für die Regulierung von Rundfunkplattformen hat der Leitbegriff der Neutralität eine ambivalente Bedeutung. Die Plattformregulierung lässt sich weder dem Tendenz- noch dem Neutralitätsschutz einseitig zuordnen. Einerseits verfolgen Plattformanbieter durch ihr Wirken keine primär kommunikativen Ziele, sie haben kein „Verlegerethos“. Die Vermittlung von Medieninhalten ist für Rundfunkplattformbetreiber nur Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck. Ihnen einen „Tendenzschutz“ zuzugestehen, wirkt deshalb auf den ersten Blick fernliegend.
Auf der anderen Seite sind Plattformbetreiber aber per definitionem keine reinen Telekommunikationsdiensteanbieter, die den von ihnen transportierten Inhalten „neutral“ gegenüberstehen. Sie sind auch nicht, wie das Pressegrosso-System, einem Branchenkompromiss zuzuordnen, der gezielt kommunikative Chancengleichheit sicherstellen soll. Der „Tendenzschutz“ ist den §§ 52 ff. RStV eingegeben, indem er den Plattformanbietern gezielt einen Belegungsspielraum lässt, innerhalb dessen keine Vielfaltsvorgaben zu beachten sind (Schumacher, Kabelregulierung als Instrument der Vielfaltssicherung, 48).
Die „Neutralität“ eines Plattformbetreibers zu gewährleisten, ist vor diesem Hintergrund zwar ein legitimes Regelungsziel, das sich auch mit der kommunikativen Chancengerechtigkeit in Verbindung bringen lässt. Andererseits ist durchaus auch denkbar, das „Recht auf Tendenz“ der Plattformbetreiber weiter bestehen zu lassen oder sogar auszuweiten. Innerhalb der Grenzen des Ausgestaltungsauftrags und bis zur Grenze der Unverhältnismäßigkeit ist es den Gesetzgebern freigestellt, eher die „Neutralität“ oder eher den „Tendenzschutz“ zu betonen. Beides ist legitim. Aktuell suchen die §§ 52 ff. RStV einen Mittelweg.
Die Plattformregulierung steht in einem Spannungsfeld zwischen zwei unterschiedlichen Ordnungsmodellen für den Medienbereich: Der Inhaltsregulierung einerseits und der Offenheitsregulierung andererseits. Der Konflikt kreist um die Frage, auf welche Weise der Staat auf den öffentlichen Diskurs Einfluss nehmen soll.
Die wohl h.M. [für das Rundfunkrecht] befürwortet einen weitreichenden proaktiven Ansatz der staatlichen Aufsicht: Der Staat soll nicht nur die Voraussetzungen des Diskurses schaffen, er soll auch selbst in ihn eingreifen und ihn durch gezielte Einflussnahme zum Positiven beeinflussen („gewährleisten“). In dieser Tradition bewegt sich die Rechtsprechung des BVerfG zur Rundfunkfreiheit, die insofern als „dienende Freiheit“ bezeichnet wird.
Eine andere Ansicht betont für die Medienordnung das Ziel der Offenheitsregulierung. Die staatliche Aufsicht soll demnach eher einem laissez-faire-Ansatz folgen, sich möglichst zurückhalten und dem wirtschaftlichen Wettbewerb die Aufgabe überlassen, den öffentlichen Diskurs zu regulieren. Die Aufgabe des Staates soll sich darauf beschränken, den (Meinungs-)Wettbewerb vor Einschränkungen und Störungen zu schützen, nicht jedoch in ihn einzugreifen, um ihn zu „gewährleisten“.
Die beiden Ansichten stehen sich nicht in Form eines echten Meinungsstreits gegenüber. Häufig werden Gewährleistungs- und Offenheitsregulierung nebeneinander gefordert, durchaus auch von denselben Personen. Die Unterschiede zwischen den beiden Denkschulen ergeben sich erst bei konkreten Fragen: Soll ein bestimmter Medien- oder Regelungsbereich eher der Gewährleistungs- oder eher der Offenheitsregulierung überantwortet werden? Hier trennen sich dann jeweils die Ansätze. Ein Anhänger der Offenheitsregulierung würde eine staatliche Handlung im konkreten Zusammenhang eher als Eingriff in den Meinungswettbewerb einordnen, während ein Anhänger der Gewährleistungsregulierung sie eher als Erfüllung der Ausgestaltungs- und Gewährleistungspflicht des Staates ansehen würde. Insofern liegen hier nicht zwei Thesen im Streit, sondern eher unterschiedliche Prämissen über die Schutzbedürftigkeit bestimmter Aspekte der Medienordnung und der Selbststeuerungsfähigkeit des öffentlichen Diskurses.
Die Plattformregulierung lässt sich keiner der beiden Traditionen einseitig zuordnen. Beide Tendenzen sind spürbar.
Die Plattformregulierung befindet sich insofern in einem Spannungsfeld zwischen Inhalts- und Offenheitsregulierung, zwischen der Priorisierung einzelner Medienangebote und der Gewährleistung von „Neutralität“.
Die Plattformregulierung gehört wohl zu den ambitioniertesten, gleichzeitig aber auch schwierigsten Regelungsvorhaben, die die Landesgesetzgeber in den letzten Jahren unternommen haben. Die Gesetzgeber haben mit der Plattformregulierung auf gleich mehrere Trends reagiert: Einerseits auf die zunehmende Medienkonvergenz, d.h. die Vermischung von technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Kategorien; andererseits auf die damit einhergehende zunehmende Einflussnahme von Intermediären auf die verfassungsrechtlich zu schützende Meinungsvielfalt.
Die Plattformregulierung ist insofern ein zukunftsträchtiges und wichtiges Feld der Medienregulierung, dem die Gesetzgeber auch weiterhin viel Aufmerksamkeit zukommen lassen sollten. Dass dabei immer wieder auch Fehlsteuerungen korrigiert werden müssen, ergibt sich sowohl aus dem schnellen Wandel in Wirtschaft und Technik, als auch aus Lernprozessen, die die Gesetzgeber und Regulierer durchlaufen.
Bei einer Novelle der Plattformregulierung sind nicht nur komplexe wirtschaftliche und technische Materien zu durchdringen. Die Plattformregulierung bewegt sich auch in einem komplexen Geflecht aus verfassungs-, bundes- und europarechtlichen Rahmenbedingungen. Diesen Vorgaben muss auch eine Weiterentwicklung der Plattformregulierung Rechnung tragen.
Die Marktentwicklung im Bereich der Rundfunkplattformen weist zwei wesentliche Tendenzen auf: Einerseits kommt es zu vermehrten Markteintritten und damit auch zu mehr Wettbewerb. Dadurch verschieben sich Kräfteverhältnisse, es kommt zu Bewegung im Markt. Andererseits sind aber weiterhin, in einigen Bereichen sogar verstärkt, Konzentrations- und Vermachtungstendenzen erkennbar.
Das technologische und wirtschaftliche Umfeld der Plattformregulierung ändert sich rasant. Die Medienkonvergenz, die Digitalisierung und ihre Folgen und die ständig fortschreitende Vernetzung und Technisierung aller Lebensbereiche führen dazu, dass normative Kategorien schnell ihre Anknüpfungspunkte verlieren. Die Gesetzgeber können die Plattformregulierung deshalb nicht über längere Zeit „unbearbeitet“ lassen.
Wie in allen Bereichen, in denen Recht flexibel und innovativ sein muss, sollten die Gesetzgeber sich aber auf die Regelungsmethoden konzentrieren, die eine flexible Normanwendung möglich machen: Offen formulierte Tatbestände, die eher das normativ gewollte Ergebnis bestimmen, als bestimmte (technische oder sonstige) Vorfragen zu klären. Einen optimalen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit für die Normadressaten und Flexibilität für die Normanwender bietet insbesondere die Regelbeispielstechnik.
Auch alternative Regulierungskonzepte, z.B. die Anreizregulierung oder die regulierte Selbstregulierung können in Teilbereichen eine aussichtsreiche Alternative sein.
Der Begriff des Plattformanbieters gem. § 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV betrifft die Aggregation von Medieninhalten. Die Kategorie des Plattformanbieters ist damit eine von vielen „Intermediärs“-Kategorien, die sowohl der Bund- als auch die Landesgesetzgeber im Lauf der Jahre eingeführt haben.
Hier seien nur die wichtigsten genannt: Telekommunikationsdienste (§ 3 Nr. 24 TKG), die telekommunikationsgestützten Dienste (§ 3 Nr. 25 TKG), die elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste (§ 1 Abs. 1 Satz 1 TMG), die Telemedien (§ 1 Abs. 1 Satz 1 TMG, § 2 Abs. 1 Satz 3 RStV), einschließlich diverser Untergruppen wie „vergleichbaren Telemedien“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 13 RStV) und „audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf“ (§ 2 Satz 1 Nr. 6 TMG) und der Rundfunk (§ 2 Abs. 1, Abs. 3 RStV).
An der Abgrenzung dieser verschiedenen Kategorien arbeiten Gesetzgeber und juristische Literatur sich schon länger ab. Größere Erfolge waren dabei bisher nicht zu verbuchen. Ganz im Gegenteil sind die Grenzen der jeweiligen Kategorien bisher nur unscharf erkennbar. Das Problem ist, dass sich durch die Konvergenz alle Medienformen vermischen – technische Sachverhalte taugen kaum noch als Anknüpfung für normative Aussagen. Wollen die Gesetzgeber auf die neuen Entwicklungen reagieren, können sie deshalb nicht mehr an die etablierten Kategorien anzuknüpfen: Begriffe wie „Fernsehen“, „Programm“ oder „Kabelnetz“ verblassen im Ergebnis der Medienkonvergenz.
Die Landesgesetzgeber haben auf diese Problematik reagiert, indem sie bei der Legaldefinition des Plattformanbieters so weit als möglich auf technische Begrifflichkeiten verzichtet haben. Die nunmehr verwendete Definition beschreibt die Tätigkeit eines Plattformanbieters sehr abstrakt. Dies führt zwar in einigen Aspekten zu Rechtsunsicherheit, erlaubt aber eine dynamische Anpassung der Plattformregulierung an Entwicklungen der Medienkonvergenz. Das Ziel, mit der Plattformregulierung „technologieneutral“ all diejenigen Anbieter zu regulieren, die durch ihre Machtposition beim Zusammenfassen von Rundfunkprogrammen „meinungsbildungsrelevant“ werden, ist im Kern richtig und sollte weiterverfolgt werden.
Andererseits muss dieser Ansatz aber auch bei den anderen „Intermediärs“-Kategorien weiterentwickelt werden. Statt den Plattformbegriff ins Uferlose auszudehnen, sollten die Gesetzgeber prüfen, inwieweit sie alternative Intermediärskategorien bilden oder anpassen können, um aus diesen gemeinsam ein in sich schlüssiges Regulierungskonzept zu entwickeln.
Um einerseits für alle Betroffenen ein „Level Playing Field“ zu ermöglichen, andererseits aber auch das notwendige Regulierungsniveau beizubehalten, sollten die Gesetzgeber hierbei genau untersuchen, welche unterschiedlichen Intermediäre existieren und wie diese nach bestimmten, abstrakt zu formulierenden Kriterien einzuordnen sind (Ricke MMR 2011, 642, 648).
Solche Kriterien könnten z.B. sein (vgl. auch Schmidt/Kitz ZUM 2009, 739, 744):
Diese Kriterien sollten wiederum getrennt voneinander betrachtet werden, soweit es einerseits um mögliche Handlungen der Aggregatoren geht (abstrakte Gefahr), andererseits um ihr tatsächliches Verhalten (konkrete Gefahr). Die Medienregulierung kann auch abstrakte Gefahren bekämpfen – in diesem Fall verlangt allerdings das Verhältnismäßigkeitsprinzip, dass besonders schwerwiegende Rechtsgutsverletzungen drohen müssen.
Die Doktorarbeit „Must Carry: Übertragungspflichten auf digitalen Plattformen“ im Buchhandel.
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Zum Tagungsband „Soko16: Die Macht der Plattformen”.