In Bayreuth debattierten Juristen und Medienwissenschaftler kürzlich über „Jugendmedienschutz im Informationszeitalter“ und die Grundsatzfrage, wie der Staat auf Gefahren für Jugendliche reagieren soll. Auch die Bundesjustizministerin war dabei. Sie warnte vor Aktionismus im Jugendschutz, kritisierte „Tatort Internet“ und Porno-Sperren.
Bayreuth ist fein, aber klein. Das erfährt bereits, wer kurz vorher in Lichtenfels umsteigen muss – dort ist es um 19 Uhr schon totenstill, die Küche ist kalt, eine Handvoll Umsteiger hockt im Bahnhofsrestaurant zwischen hochgestellten Stühlen und knabbert Bifi. Einer der Dozenten kann sich auch während der Jugendschutz-Tagung lange nicht vom Eindruck seiner Anreise lösen: „Eingleisige Bahnstrecke! Eingleisig!“ raunt er den anderen zu. Wer hier eine Fachtagung besucht, der schaut eben nicht nur vorbei, sondern meint es ernst. Und so legt am Freitag Morgen auch die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger viel Verve in ihren Eröffnungsvortrag. Sie nimmt auf die aktuelle Debatte um die RTL2-Sendung „Tatort Internet“ Bezug, in der Journalisten pädosexuelle Internetnutzer entlarven: „Man muss immer aufpassen, wenn man einen Pranger schafft,“ auch wenn das Anliegen aufklärerisch sei, so die Ministerin. Einseitige Vorverurteilungen würden die Arbeit von Justiz und Strafverfolgern nur erschweren.
Die Ministerin wies zudem Vorwürfe zurück, das heutige Strafrecht umfasse kein „Cyber-Grooming“, also das sexuell motivierte Ansprechen von Minderjährigen über das Internet. „Ein Blick ins Gesetz erleichtert auch hier die Rechtsfindung“, bemerkte die Ministerin spitz und bezog sich auf § 176 IV Nr. 3 StGB. Die Ministerin wandte sich damit offenbar gegen Äußerungen des „Tatort-Internet“-Produzenten Daniel Harrich, der in der FAZ Nachbesserungen des Gesetzgebers gefordert hatte. Hiergegen hatte auch die Berliner Strafrechtsprofessorin Tatjana Hörnle bereits Einwände vorgebracht. Doch die rechtliche Bewertung scheint so einfach nicht zu sein. Jüngst schrieb noch die Bayerische Staatsministerin Beate Merk, Lücken bestünden sehr wohl – denn ob auch der flüchtige Arbeitsspeicher als „Datenspeicher“ gilt, sei umstritten.
„Man kann sich nicht mit allem durchsetzen“
Auch zum Streit um das Vorgehen gegen Kinderpornografie äußerte sich die Bundesjustizministerin: „Stoppschilder bringen nichts“, sagte sie. Zwar sei das Löschen von Kinderpornografie im Internet noch nicht so erfolgreich wie man es sich wünsche, aber: „erfolgreicher als angenommen“. Sie verwies zudem auf die geringe Zahl von Beamten, die im Bundeskriminalamt derzeit zuständig seien – nur 6,3 „Vollzeitäquivalente“. Man werde nach einem weiteren halben Jahr Bilanz ziehen.
Dann allerdings, so lautete ein Einwand aus dem Auditorium, könnte eine Debatte um das momentan ausgesetzte Zugangserschwerungsgesetz schon überholt sein. Kürzlich stimmten die Justizminister nämlich einer neuen Europäischen Richtlinie gegen Kinderpornografie zu, deren Artikel 21 eine Sperrverpflichtung für die Mitgliedsstaaten vorsieht. „Wenn die Richtlinie kommt, müssen wir sie auch umsetzen“, antwortet die Justizministerin. Auch ihr Widerstand gegen das Projekt kennt Grenzen. Andere Stimmen in der FDP seien noch viel vehementer gegen die Netzsperren. Auf die Frage, wie sehr sie sich persönlich gegen Netzsperren ausspricht, relativiert sie die grundrechtliche Bedeutung der Blockiermaßnahme und meint: „Man kann sich nicht mit allem durchsetzen.“ Es gebe in Europa nun einmal Mehrheitsverhältnisse.
Einer der anwesenden Piraten sollte später bei Mohnkuchen und Kaffee klagen, Widerstand gegen gesetzgeberische Maßnahmen zu organisieren sei auf europäischer Ebene immer noch „viel schwieriger“ – obwohl die Piraten immerhin einen Abgeordneten ins Europäischen Parlament entsendet haben.
Zweifellos „ein Milliardenmarkt“
In der Streitfrage, ob der vielbeschworene Milliardenmarkt für Kinderpornografie überhaupt existiert, ist sich die Ministerin ihrer Position sicher: „keine Zweifel“ habe sie an dessen Existenz. Auf die Anmerkung eines Mitglieds der Piratenpartei, diesen Markt hätte im Internet noch keiner gefunden, antwortete die Ministerin, man müsse sich auch ansehen, was nicht im Netz passiere. Sie versprach dem Piraten immerhin, ihm entsprechende Belege zuzusenden.
Leutheusser-Schnarrenberger warb außerdem für die geplante „Stiftung Datenschutz“. Für die vielen Akteure im Bereich Bildung und Datenschutz soll damit eine Plattform in privatrechtlicher Gestalt geschaffen werden. Einen Löschknopf für persönliche Daten hielt sie hingegen nicht für sinnvoll, da nicht durchsetzbar – man müsse vielmehr den Umgang mit persönlichen Daten schulen. Im Bereich des Jugendmedienschutzes warnte die Ministerin vor „Aktionismus“. Die Frage sei, wie man diejenigen erreiche, die den größten Einfluss auf Kinder haben – das könne nicht durch den Staat ersetzt werden. Manche Forderungen, etwa nach Netzsperren oder einem Verbot von „Killerspielen” und Anonymisierungsdiensten ließen sich zwar leicht erheben, könnten aber „zu ganz großen Problem führen“.
„Kinners, ist uns alles zu kompliziert, holt euch eure Horrorvideos“
Die Frage, wie sehr sich der Staat einmischen solle, blieb zentrales Thema der Tagung. Wolfgang Schulz vom Hans-Bredow-Institut sprach sich für einen mutigen Gesetzgeber aus. Die Wirkungsforschung liefere zwar nicht immer allgemeingültige Ergebnisse oder solche in Bezug auf die jeweilige Altersstufe im System des Jugendmedienschutzes. Die Hilfswissenschaften hätten auch keinen Anlass, sich an den einzelnen Bedürfnissen von Recht und Politik zu orientieren. Er warnte aber vor Resignation. „Kinners, ist uns alles zu kompliziert, holt euch eure Horrorvideos“, so dürfe man als Gesetzgeber nun auch nicht reagieren, pointierte der Hamburger Jurist.
Kritisch äußerte sich Schulz zum Thema „Killerspiele”: Er könne nicht verstehen, warum Kollegen kausale Schlüsse zögen, wenn bei einem Amokläufer einschlägige Computerspiele gefunden werden. Es wäre doch eher besorgniserregend, wenn man bei so einem keine finde, so Schulz. Er hielt es zudem auf Nachfrage für „sinnvoll“, wenn die Begründungen der jeweiligen Alterseinstufungen der freiwilligen Selbstkontrolle veröffentlicht würden.
Für eine kleine Überraschung sorgte schließlich SWR-Justitiar Hermann Eicher. In einer Randbemerkung lobte er den jugendlichen Trotz von Internet-Aktivisten, die gegen Einschränkungen der Publikationsfreiheit vorgehen. Dazu zählte er, dass manche die in Google „Street View“ nur verpixelt dargestellten Häuser abfotografierten und ins Internet stellten. Andere kopierten und veröffentlichten nun solche Angebote des öffentlichen Rundfunks, die von den Rundfunkanstalten aus rechtlichen Gründen entfernt („depubliziert“) werden müssen – „eine Reaktion, die ich gut finde“, sagte Eicher, ohne erkennbare Ironie.
Weitere Eindrücke, auch von der Podiumsdiskussion, liefert die „Frankenpost„.
Telemedicus-Kommentar zu Harrichs Rechtsauffassung von Jan Wesselmann