Anfang Juni hat das OLG Schleswig-Holstein über die Zulässigkeit einer Klausel in einem selektiven Vertriebssystem entschieden (Az.: 16 U (Kart) 154/13). Die Entscheidung: Ein Hersteller darf den Vertrieb über Online-Handelsplattformern nicht ausnahmslos verbieten, wenn hierdurch der Wettbewerb beschränkt wird. Mittlerweile liegt die Entscheidung im Volltext vor. Telemedicus mit einer Analyse:
Die Grundkonstellation war, dass die Wettbewerbszentrale einen Hersteller von Kameras nach § 33 Abs. 1, 2 GWB auf Unterlassung in Anspruch nahm. Anlass hierfür war das selektive Vertriebssystem des Herstellers: Abnehmer mussten sich beim Hersteller bewerben, um dessen Ware vertreiben zu können. Anschließend wurde zwischen Hersteller und Abnehmern jeweils eine Partnervereinbarung geschlossen, in der der Hersteller verschiedene Vorgaben machte. Die später klagende Wettbewerbszentrale kritisierte eine Vertragsklausel aus der Partnervereinbarung. Laut dieser sei
der Verkauf über sog. „Internetauktionsplattformen“ (z. B. Ebay), „Internetmarktplätze“ (z. B. Amazon Marketplace) und unabhängige Dritte nicht gestattet.
Die Beklagte verteidigte sich vor allem damit, dass sie einigen größeren Verkaufshäusern den Online-Vertrieb erlaube. Hierdurch werde immerhn noch ein Intra-Brand-Wettbewerb ermöglicht, also der Wettbewerb zwischen Anbietern derselben Marke.
Die Parteien stritten nun darüber, ob überhaupt ein selektives Vertriebssystem vorlag. Ein solches kann dann zulässig betrieben werden, wenn es dazu dient, die Qualität und Sicherheit des Gebrauchs des Produkts zu gewährleisten. Diese Voraussetzungen sah aber bereits das Landgericht Kiel nicht erfüllt, weshalb es die Klage abwies (Az.: 14 O 44/13.Kart).
Das OLG entschied ebenso wie die Vorinstanz, dass diese Klausel einen Verstoß gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV begründet. Begründung: E-Commerce werde unterbunden – und dadurch der Wettbewerb beschränkt. Interessant ist hierzu die Aussage, dass die Einschränkung des Online-Vertriebs nicht durch Preisvergleichsportale und den Auftritt der großen Händler kompensiert würden. Insbesondere der eingeschränkte Intra-Brand-Wettbewerb werde nicht – wie von der Beklagten argumentiert – kompensiert:
Vorvergleiche über Preisportale nimmt, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, keineswegs jedermann in Anspruch. Eine nicht geringe Anzahl von Käufern nutzt mindestens vorrangig Internet-Plattformen, zum einen, weil diese, wie schon erwähnt, ebenfalls unmittelbar einen Preisvergleich ermöglichen und zum anderen, weil sie zugleich zusätzlichen Service bieten wie insbesondere Angaben über die Zuverlässigkeit des jeweiligen Anbieters.
Es wird auch nicht etwa ein den ausgeschlossenen Plattformen vergleichbarer Wettbewerb in gleicher Weise dadurch eröffnet, dass für einen Internetkunden die Möglichkeit besteht, die Angebote verschiedener (größerer und kleinerer) Online-shops miteinander zu vergleichen. Es ist, wie schon ausgeführt, schon nicht eben wahrscheinlich, dass namentlich kleinere Händler mit ihren Onlineshops effektiv in die Wahrnehmung der Kundschaft geraten, weil die Kunden überwiegend den in den Suchmaschinen zuerst nachgewiesenen Seiten nachgehen. Daneben ist es auch – schon wegen des jeweils nötigen Wechsels von einer Website zur anderen – lästig, verschiedene Shops miteinander zu vergleichen, dies zumal, da man, um die Übersicht zu behalten, sinnvollerweise papierne Aufzeichnungen fertigen muss.
Außerdem fördere der beklagte Hersteller seinen eigenen Online-Vertrieb. Kleinere Anbieter könnten hiergegen nicht ankommen und müssten mit einer schlechteren Position in Suchmaschinen rechnen.
Eine weitere Frage war, ob es sich bei den Kameras um hochtechnische Produkte handelte. Wenn diese nämlich im Verkauf besonders erklärt werden müssten, kommt eine Rechtfertigung für die Vertriebsbeschränkung in Betracht. Das OLG ging hiervon aber nicht aus: Über die mitgelieferten Betriebsanleitungen könne jeder die Kamera bedienen, so das OLG.
Der Senat schließt weiterhin aus seiner eigenen Erfahrung darauf, dass Online-Handelsplattformen aus Verbrauchersicht nicht unsicher sind. Dies spricht gegen das Argument der Beklagten, die Qualität sei dort nicht gesichert. In einem weiteren Aspekt geht das OLG Schleswig-Holstein einen neuen Weg: Bislang entschieden einige Gerichte bereits, dass auf Online-Handelsplattformen die Produkte verramscht oder im Ruf beschädigt werden könnten. Diese Gefahr bestehe nicht mehr:
Aufgrund der fortschreitenden Professionalisierung des E-Commerce, in dem der Verkauf von Neuwaren durch Händler dominiert, kann auch das Risiko eines entwertenden „Flohmarkts“ oder des Verkaufs von Fälschungen nicht so hoch veranschlagt werden, dass man deswegen seinen Einzelhändlern den dortigen Verkauf untersagen müsste.
Gleichermaßen unhaltbar erscheint das weitere Argument (Bl. 221), die Kunden könnten auf den ausgeschlossenen Marktplätzen nur mit Mühe neue von gebrauchten Produkten unterscheiden. Tatsächlich sind die -wie schon gesagt: unterdes ganz überwiegend angebotenen -Neuprodukte leicht erkennbar als solche gekennzeichnet. Bei gebrauchten Waren legen das daneben sowohl der Preis als auch das angezeigte Bild nahe -Fotos von privat (dies der Bereich des Handels mit gebrauchten Sachen) sind in aller Regel ohne weiteres als solche zu erkennen, schon an der Ausleuchtung und dem Hintergrund, daneben auch nicht selten aufgrund des erkennbaren Produktzustandes.
Entsprechend fernliegend erscheint daher auch der weitere Einwand der Beklagten (Bl. 222f.), durch das Verbot solle eine mit dem Plattformhandel verbundene mögliche Rufschädigung der Marke verhindert werden, die auf dem Verkauf von Fälschungen oder von gebrauchten Artikeln als neu beruhe.
Schließlich setzt sich das Gericht mit der weiteren Frage auseinander, ob die hier erkannte Wettbewerbsbeschränkung ausnahmsweise zulässig sein kann. Infrage kam eine Freistellung gemäß der sogenannten Vertikal-GVO, die vom Verbot einzelner wettbewerbsbeschränkender Abreden auf bestimmte Wertschöpfungsstufen (Vertrieb, Lieferung) eine Ausnahme macht. Zwar lag hier eine solche vertikale Abrede vor. Interessant ist hier wiederum die Regelung des Art. 4b Vertikal-GVO: Danach gilt die Freistellung nach der Vertikal-GVO nicht für Abreden, die eine Kundengruppe beschränkt, an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer seine Waren verkaufen darf.
Das Gericht setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, ob es einen abgegrenzten Kundenkreis gibt oder überhaupt geben muss. Dies soll nicht maßgeblich sein, wie anders aber schon das OLG München (Az.: U (K) 4842/08) entschieden hatte. Entscheidend sei lediglich, dass mögliche Kunden über diesen Vertriebsweg nicht erreicht werden können. Damit schließt sich das OLG dem KG Berlin in dieser Rechtsfrage (Az.: 2 U 8/09 Kart) an und wird in seinen Ausführungen sehr bildhaft:
Richtig ist lediglich, dass Kunden, die im Netz einkaufen, in den, mit Verlaub, „endlosen Weiten“ des Internets auch auf andere Weise als über die Plattformen grundsätzlich erreicht werden können. Das ändert aber nichts daran, dass -und das ist entscheidend -die jeweils konkreten Absatzchancen eines jeden einzelnen Händler spürbar beeinträchtigt werden, weil faktisch eine Vielzahl sonst erreichbarer potentieller Kunden eben nicht erreicht wird, und schon dies rechtfertigt eben das Verbot der durch keinerlei einleuchtenden sachlichen Grund gerechtfertigten Vertragsbestimmung. Allein schon diese – effektive und gewollte -Beschränkung des Kundenkreises und nicht erst der Ausschluss einer bestimmten finiten Gruppe führt zur Klassifizierung der Vertragsklausel als eine Beschränkung der Kundengruppe und somit als Kernbeschränkung (so auch KG, MMR 2013, 774, Rn. 88 bei juris; Schweda/Rudowicz, WRP 2013, 590, 958; s.a. Dieselhorst/Luhn, WRP 2008, 1306, 1310 [auf der Grundlage der Vorgänger-Verordnung EG Nr. 2790/1999 vom 22. Dezember 2009, ABl. EG 1999/L 336/21, in der es im Deutschen allerdings noch „Beschränkungen des Kundenkreises“ und nicht „der Kundengruppe“ hieß]).
Das OLG hat die Revision zugelassen. Das ist besonders wegen der letzten – umstrittenen – Frage um die Beschränkung der Kundengruppe wichtig. So wird der BGH klären müssen, nach welchen Kriterien der Begriff der Kundengruppe ausgelegt werden kann. Die weitere Entscheidung wird maßgeblichen Einfluss darauf haben, welche zulässigen Beschränkungen Hersteller in ihre selektiven Vertriebssysteme aufnehmen können.
Das Urteil des OLG Schleswig-Holstein (Az.: 16 U (Kart) 154/13) im Volltext.
Update Juni 2015: Zu dieser Entscheidung habe ich ebenso eine Urteilsanmerkung für die WRP geschrieben, in der ich vor allem auf die Fragen im Zusammenhang mit den Kernbeschränkungen eingehe. Der Beitrag ist hier als PDF verfügbar.