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OLG Hamm zum Recht auf Anonymität im Netz

Das Oberlandesgericht Hamm hat sich im August mit dem Recht auf Anonymität im Internet befasst. Die Anonymität im Netz entspreche der „grundrechtlichen Interessenlage”, eine Einschränkung sei mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar.
Der Fall

Auf einer Bewertungsplattform für Ärzte hatte ein Patient anonym einen kritischen Kommentar über seinen Arzt hinterlassen. Der Mediziner war darüber nicht begeistert und wollte gegen den Kommentator vorgehen. Dazu verlangte er vom Betreiber der Bewertungsplattform Auskunft über die Identität des Verfassers.

Der Betreiber der Bewertungsplattform weigerte sich, Daten herauszugeben. Ob überhaupt Daten vorlagen, die der Betreiber herausgeben konnte, blieb offen. Jedenfalls klagte der Arzt vor dem Landgericht Münster – und verlor. Anschließend legte er Berufung beim Oberlandesgericht Hamm ein, dessen Entscheidung nun veröffentlicht wurde.

Die Entscheidung

Mit Beschluss von Anfang August stützte das OLG Hamm die Ansicht der Vorinstanz: Ein Anspruch auf Auskunft über die Identität des Nutzers besteht nicht. Kernargument war § 13 Abs. 6 TMG. Danach müssen Anbieter sicherstellen, dass ihre Dienste auch anonym oder unter Benutzung eines Pseudonyms genutzt werden können, soweit es technisch möglich und zumutbar ist. Ein Auskunftsanspruch könnte sich also nur auf Daten beziehen, die es eigentlich gar nicht geben darf. Das kann nicht sein und dementsprechend lehnte das OLG Hamm einen solchen Auskunftsanspruch ab.

Darüber hinaus machte das Gericht aber auch einige generelle Ausführungen zur Anonymität im Netz:

„Die für das Internet typische anonyme Nutzung entspricht zudem auch der grundrechtlichen Interessenlage, da eine Beschränkung der Meinungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugerechnet werden, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar ist. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde allgemein die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden […].”

Wem diese Formulierungen bekannt vorkommen, hat gut aufgepasst: Schon im Jahr 2009 hatte der Bundesgerichtshof in seiner Spickmich-Entscheidung fast wortgleich geurteilt. „Die anonyme Nutzung ist dem Internet immanent” stellte der BGH damals fest. Sie sei notwendig um der „Gefahr der Selbstzensur” entgegenzuwirken.

Kein grundsätzliches Recht auf Anonymität?

Dass diese Formulierungen immer wieder rezitiert werden müssen, zeigt die aktuelle Debatte um Anonymität im Netz. „Eine anonyme Teilhabe am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ist abzulehnen”, zitierte beispielsweise Netzpolitik vor einigen Tagen aus einem Positionspapier der Arbeitsgruppe Innen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Normalerweise stehen Menschen mit ihren Namen für etwas ein. Warum nicht auch ganz selbstverständlich im Internet?”, fragte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich Anfang August (kurz nachdem das OLG Hamm seinen Beschluss gefasst hatte). Und erst Anfang September behauptete Hans-Peter Uhl: „Es kann im Internet ebenso wie in der realen Welt kein grundsätzliches Recht auf Anonymität geben”.

Auch wenn es nur um einen kleinen Streit zwischen einem Arzt und einem unzufriedenen Patienten ging: Das OLG Hamm erinnert uns daran, dass die Anonymität im Netz sehr wohl ein „grundsätzliches Recht” ist.

OLG Hamm, Beschluss vom 3. August 2011, Az. I-3 U 196/10.

, Telemedicus v. 23.09.2011, https://tlmd.in/a/2076

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