„Erstaunlich, wie man auch ohne Taktgefühl jeden Tag einen Hit landen kann“ – ein solcher Spruch über die BILD-Zeitung überrascht nicht. Auch, dass die BILD im Rahmen ihrer aktuellen Werbekampagne solche und ähnliche kritische Sprüche offensiv verbreitet, ist inzwischen ein alter Hut. Neu ist, dass die Zeitung gleich einen kompletten kritischen Brief im Rahmen dieser Werbekampagne verwendet. Doch ist das erlaubt?Hintergrund: Der offene Brief von „Wir sind Helden”
Hintergrund der Geschichte ist eine Anfrage der Werbeagentur Jung von Matt an die Band „Wir sind Helden“. Diese sollten für eine Kampagne von BILD gewonnen werden – was den bekanntermaßen BILD-kritischen Bandmitgliedern gar nicht gefiel. Judith Holofernes, Sängerin und Texterin der Band, antwortete mit einem BILD-kritischen Brief, den sie zusammen mit der Anfrage vergangene Woche veröffentlichte. Die Reaktionen im Netz ließen nicht lange auf sich warten: Rasend schnell verbreitete sich die Nachricht; der Server der Band hielt dem Ansturm nicht stand und brach schließlich zusammen. Eben dieser Brief wurde schließlich heute im Rahmen einer ganzseitigen Werbeanzeige in der taz veröffentlicht. Versehen mit der Bemerkung: „BILD bedankt sich bei Judith Holofernes für ihre ehrliche und unentgeltliche Meinung.“
Hier stellt sich natürlich sofort die Frage, ob die BILD mit diesem Brief werben darf.
Das UrhG
Als rechtliches Hindernis kann man hier an das Urheberrecht denken: Dass der Brief eine „persönlich-geistige Schöpfung“ ist, damit Werkqualität i.S.d. § 2 UrhG besitzt und somit urheberrechtlichen Schutz genießt, ist recht eindeutig. Zwar ist nicht jeder Brief urheberrechtlich geschützt, die blumige Bildsprache im „Wir sind Helden”-Stil ist aber nicht gerade alltäglich – das spricht für eine erforderliche Schöpfungshöhe. Das steht aber einer Nutzung des Briefes nicht zwingend entgegen. Das Urheberrecht kennt Schranken, die die Nutzung eines Werkes in bestimmten Fällen durchaus zulassen – auch gegen den Willen des Urhebers.
So lässt beispielsweise der § 48 UrhG die Vervielfältigung und Verbreitung von öffentlichen Reden unter bestimmten Umständen zu. Selbst wenn man offene Briefe jedoch grundsätzlich wie öffentliche Reden behandeln will (und deswegen eine Analogie zu § 48 UrhG befürwortet, was allerdings durchaus kritisch ist), würde diese Vorschrift nicht weiter helfen. Denn Schutzzweck ist die Informationsberichterstattung über tagesaktuelle Ereignisse – einem Zweck, dem eine Werbekampagne in einer Fremdpublikation nicht dient.
Auch eine Anwendung des § 49 UrhG – Verbreitung und Vervielfältigung von Zeitungs- und Rundfunkbeiträgen – scheitert. Zwar liegt es nahe, auf offene Briefe eher § 49 UrhG als § 48 UrhG analog anzuwenden. Zum einen schützt aber auch diese Norm (nur) die Informationsberichterstattung und keine Werbeanzeigen; zum anderen müsste der Brief dann zumindest „politische, wirtschaftliche oder religiöse Tagesfragen“ betreffen.
So bleibt von den ausdrücklich normierten Schranken des Urheberrechts noch das Zitatrecht nach § 51 UrhG. Sogenannte „Großzitate“ – also die komplette Widergabe des veröffentlichten Werks – sind unter engen Voraussetzungen erlaubt. Ein nach § 51 UrhG zulässiges Zitat setzt allerdings immer einen bestimmten Zweck voraus, welcher den Umfang des Zitats rechtfertigt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist dies nur dann der Fall, wenn das Zitat selbständigen Ausführungen dient. Im Rahmen der Werbekampagne fehlt es an solchen selbständigen Ausführungen schon mangels eines Begleittextes, der zu dem Brief oder dessen Inhalt irgendwie Stellung nimmt.
Eher fernliegend ist der Gedanke einer konkludenten Einwilligung der Band – der Vollständigkeit halber soll er dennoch erwähnt werden. Die Idee dahinter ist folgende: Judith Holofernes veröffentlichte den Brief gerade als offenen Brief und hat offensichtlich auch keine Einwände dagegen, dass der Brief anderswo widergegeben wird. Inzwischen kursiert er auf zahlreichen Internetseiten. Selbst wenn man jedoch grundsätzlich annimmt, dass eine Verbreitung des Briefes gewünscht ist, wird aus dem Inhalt eines ganz klar deutlich: Als Werbeträger möchte Judith Holofernes auf keinen Fall für die BILD auftreten; sie verwahrt sich sogar dagegen, in irgendeiner Weise mit der BILD in Verbindung gebracht zu werden.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht
Als weitere rechtliche Hürde ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht denkbar. Dieses aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG entwickelte Recht schützt die Persönlichkeit eines Menschen umfassend. Dieses Recht ermöglicht es dem Einzelnen grundsätzlich selber zu bestimmen, wie er in der Öffentlichkeit auftreten will. Zwar schützt es nicht immer vor kritischer oder negativer Berichterstattung; auch ermöglicht es nicht schlechthin die Selbstbestimmung darüber, in welchen Medien jemand präsentiert werden will (hier kommt es zu einer Kollision mit anderen Grundrechten wie der Pressefreiheit). Allerdings kann es durchaus die Selbstbestimmung darüber beinhalten, für wen (oder für welches Produkt) man unter welchen Bedingungen werben will.
Die Rechtsprechung hat sich schon mehrfach mit solchen Fällen auseinander gesetzt. Entscheidend ist danach, ob sich der Werbende auf die Meinungsfreiheit berufen kann. Wer sich zum Beispiel kritisch oder satirisch mit dem aktuellen Tagesgeschehen auseinandersetzt, hat auch dann die Meinungsfreiheit auf seiner Seite, wenn er seine Meinung in Form einer Werbeanzeige verbreitet. So könnte es auch hier sein: Zwar nutzt die BILD-Zeitung den Namen von Judith Holofernes gegen ihren erklärten Willen, um damit Werbung für ein Produkt zu machen, das Holofernes ablehnt. Auf der anderen Seite war sie es, die die „Auseinandersetzung” in die Öffentlichkeit getragen hat. Wenn sich die BILD-Zeitung damit in ihrer Anzeige auseinandersetzt, spricht das eher dafür, dass die Anzeige zulässig ist.
Erforderlich ist hierfür jedoch eine „Auseinandersetzung” mit dem Brief innerhalb der Werbeanzeige. Eine reine Darstellung des Briefes wird dagegen diesen Anforderungen nicht gerecht. Eine Berufung auf die Meinungsfreiheit wird schon daran scheitern, dass die BILD hier keine eigene Meinung darstellt – vielmehr verbreitet sie fremde Ansichten und stellt diese kommentarlos dar. Auch aus diesem Grund dürfte die Darstellung des Briefes innerhalb der konkreten Werbeanzeige einen Rechtsverstoß darstellen.
Fazit
Aus diesen Ausführungen wird deutlich: BILD ist mit dieser Anzeige nicht auf der sicheren Seite. Zu bedenken ist jedoch: Rechtliche Maßnahmen liefern nicht immer den gewünschten Erfolg. Schon die Wahl der Zeitung für die Kampagne – die taz als politisch eher links orientiertes Medium – spricht dafür, dass die BILD mit dieser Aktion bewusst provozieren will. Dafür nimmt sie wohl auch die eher zu vernachlässigende Kosten eines möglichen Rechtsstreits in Kauf. Es ist daher nur konsequent, wenn Judith Holofernes ankündigt, gegen diese Anzeige nicht vorgehen zu wollen.