„Open Government” ist eine politische Forderung, bei der es um die Öffnung von Staat und Regierung geht. Bürger und Gesellschaft sollen leichter Zugang zu staatlichem Handeln finden – gleichzeitig soll der Staat von der besseren Partizipation seiner Bürger profitieren. Die Forderung nach Open Government wird vor allem aus Richtung der „netzpolitischen Szene” formuliert. Deswegen zielen auch viele Forderungen des Open Government auf die Schaffung von informationstechnischen Anknüpfungsstellen, z.B. bei der Verfügbarkeit von Daten (Open Data) oder der Teilnahme an Meinungsbildungsprozessen (E-Partizipation).
Die Politik reagiert auf die Forderung nach Open Government vor allem, in dem sie ein „E-Government”-Projekt nach dem anderen auflegt. Diese Vorhaben bestehen meist aus einer Kombination von enorm komplizierten Gesetzen und Regularien, kombiniert mit dem enorm kostspieligen Aufbau von IT-Infrastruktur. Dies alles wird finanziert aus Steuergeldern – und bringt im Ergebnis wenig. Dies belegen Projekte wie die elektronische Signatur, das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) , der E-Personalausweis oder De-Mail.
Woran liegt dieses Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit? Meines Erachtes zu einem Großteil daran, dass hier zwei Systeme miteinander kommunizieren, die einander nicht richtig verstehen. Die Open Government-Szene verfolgt legitime Ziele, aber ihr fehlt teils das Wissen darum, was ein Staat kann, was er darf, und was er muss. Viele Initiativen richten sich deshalb z.B. auf die Schaffung neuer Gesetze, statt die bestehenden – durchaus weitreichenden – rechtlichen und tatsächlichen Anknüpfungspunkte zu nutzen. Auf der anderen Seite reagiert gerade die Verwaltungspraxis äußerst träge auf die Forderung nach „Öffnung”. Das hat selten mit Unwillen zu tun, sondern meist mit schlechter IT-Ausstattung und mangelnder Kenntnis über die Ziele und Möglichkeiten von Open Government. Teils fehlt auch einfach der praktische Anstoß, an Praktiken, die z.T. jahrhundertelang eingeübt sind, etwas zu ändern.
Die Kommunikation zwischen der Open Government-Szene und der Verwaltungspraxis zu verbessern, war die Idee einer Initiative der Arbeitsgruppe („Ohu”) Open Government des Co:llaboratory, in der ich Mitglied bin. Dazu hat die Ohu drei Wissenschaftler des Lorenz-von-Stein-Instituts dafür gewinnen können, einige Überlegungen zu „Offenen Schnittstellen zwischen Bürger und Staat” anzustellen und zu veröffentlichen. Das Papier basiert dabei auf einer Idee von mir, die ich in einem früheren Stadium in die Ohu eingebracht hatte (PDF).
Das „Open Government Factsheet #1” folgt dieser Idee und beschreibt, welche „Schnittstellen” die Rechtsordnung und die Verwaltungspraxis für die Staat-Bürger-Interaktion bereits vorsehen. Dabei geht es nicht um über-komplexe gesetzliche Regelungen mit enormen Anforderungen an die IT-Sicherheit. Diese Regelungen liegen an der Basis unserer Verwaltungs- und Staatsordnung. Z.B. kann die Verwaltung außerhalb förmlicher Verfahren völlig frei mit den Bürgern kommunizieren (§ 10 VwVfG); keine rechtliche Vorgabe hindert sie daran, keine Formvorschrift behindert den Austausch. Auch innerhalb förmlicher Verfahren sieht das allgemeine Verwaltungsrecht eine ganze Reihe von Kommunikationsrechten und -pflichten vor, auch wenn diese sich häufig auf den formalen Kreis der „Beteiligten” (§ 13 VwVfG) beschränken. Dies sind z.B. das Recht, mit formlosen Anträgen den Beginn eines Verwaltungsverfahrens anregen zu dürfen (§ 9 VwVfG), die Belehrungs- und Anhörungspflichten nach den §§ 25 und 28 VwVfG oder die Begründungspflicht nach § 39 VwVfG. Auch viele spezielle Verfahren sehen Kommunikationspflichten und -rechte vor, z.B. die frühe Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Aufstellung von Bebauungsplänen (§ 3 BauGB).
Am wichtigsten aber ist wohl das von der Open Government-Szene und (teils) auch der Verwaltungspraxis wenig beachtete Petionsrecht. Das Petitionsrecht ist grundrechtlich verbürgt (Art. 17 GG) und sichert ein enorm weit reichendes Beteiligungsrecht des Bürgers.
Dazu das Open Government Factsheet:
Hinsichtlich des Petitionsrechts lässt sich festhalten, dass sich dieses als Prototyp einer offenen Kommunikationsschnittstelle darstellt:
• es existieren keine thematischen Begrenzungen,
• die gesamte öffentliche Verwaltung ist als Adressat benannt,
• jedermann kann dieses Recht
• ohne konkreten Verfahrensbezug geltend machen und
• hat zudem noch einen weitreichenden Anspruch auf inhaltliche Befassung und Bescheidung, ggf. auch eine Begründung.Die einzige Einschränkung ist das genannte Erfordernis, tatsächlich einen Antrag zu stellen und nicht bloße Meinungen zu äußern, was aber bei einer weiten Auslegung kaum begrenzende Wirkung haben dürfte.
Im Kontext des Open Government ist von besonderer Relevanz, dass nicht nur die Kommunikation als solche geschützt wird, sondern auch eine Reaktion des Staates gefordert werden kann. Hinsichtlich der Einbeziehung derartiger Petitionen, aber auch bloßer Informationen und Meinungen, in den staatlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess gelten die oben genannten Grenzen.
Hinzuweisen ist darauf, dass das Petitionsrecht zwar »Nachwirkungen« in Form der Befassungs- und Bescheidungspflicht, aber keine »Vorwirkungen« im Sinne von Transparenzansprüchen beinhaltet. Diese müssen explizit – und sei es auch in sehr allgemeiner Form wie nach den Informationsfreiheitsgesetzen – gewährt werden. Sie sind nicht vom Schutzumfang des Art.17 GG umfasst.
Hier zeigt sich noch einmal deutlich, was das Open Government Factsheet sagen will: Die Schnittstellen zwischen Staat und Bürger existieren – sie müssen nur genutzt werden. Es gibt nicht nur eine Reihe von gesetzlichen Vorschriften, die dies absichern. Es gibt sogar eine Art von „Open Government-Grundrecht”, das die Informations- und Kooperationspflichten des Staates auf der höchsten rechtlichen Ebene absichert. Dies ist der Schatz, den es zu heben gilt.