Für die einen sind sie lästiges und hässliches Gekritzel. Mit Kopfschütteln werden kriminelle Energien gesehen, die das Eigentum anderer Menschen missachten, rücksichtslose Jugendliche die mit ihrem Geschmiere Sachbeschädigungen bewirken.
Die anderen betrachten Graffitis und sonstige Ausprägungen der „Street-Art“ als eine Form des künstlerischen Ausdrucks, der bewussten Anarchie und der Rückeroberung des öffentlichen Raums. Sie wollen zur Gestaltung ihrer Umwelt aktiv beitragen, wollen der kommerziellen Werbung entgegenwirken.
Ganz ohne Zweifel: Graffiti ist nicht gleich Graffiti und auch nicht immer Street-Art. Erst recht kann man nicht immer von Kunstwerken sprechen. Bei so manch einem achtlos und unlesbar dahin geschmierten Wort auf einer frisch getünchten weißen Wand fallen Verständnis oder gar Bewunderung eher schwer.
Wann aber verdient ein Graffiti urheberrechtlichen Schutz?
Nach dem Urheberrechtsgesetz gebührt Werken „der bildenden Künste (…) und der angewandten Kunst“ urheberrechtlicher Schutz (§ 2 I Nr. 4 UrhG). Erforderlich ist allerdings, dass das Werk eine so genannte „Schöpfungshöhe“ aufweist (§ 2 II UrhG). Das heißt, nicht jedes künstlerische Werk ist automatisch geschützt. Um Schutz zu erlangen muss ein Werk von besonderer Originalität und Kreativität zeugen. Den oft in Sekundenbruchteilen hingeschmierten „Tags“ ist wohl keine Schöpfungshöhe zuzusprechen – einigen anderen Motiven aufgrund der aufwendigen Techniken oder kreativen Ausdrucksformen aber durchaus schon. Die Grenzen sind fließend und – wie so oft in der Kunst – schwierig zu ziehen.
Eigentum gegen Eigentum
Graffiti ist also ebenso ein Kunstgenre wie andere auch, mit dem kennzeichnenden Unterschied, dass es ausschließlich im öffentlichen Raum auftaucht. Und damit steht man vor einem weiteren Problem: Fast immer befinden sich die Bemalungen auf den Eigentümern anderer Menschen. Gegenüber stehen sich somit das „geistige“ Eigentum des Sprayers an seinem Werk und das materielle Eigentum desjenigen, dem bemalte Hauswand, Auto etc. gehören.
Meist ist der Sacheigentümer über die ungefragte „Verschönerung“ nicht begeistert und dem Künstler droht eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Laut § 303 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, „wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert“. Dieser Absatz wurde erst 2005 neu eingefügt. Grund war vor allem, dass bis dahin Graffiti meist keine Sachbeschädigung war – dies war nur der Fall, wenn der Gegenstand in seiner bemalten Form nicht mehr gebraucht werden konnte.
„Aufgedrängte Kunst“
Man spricht daher auch von „aufgedrängter Kunst“, wenn der Eigentümer eines Gegenstandes das sich darauf befindliche Kunstwerk gar nicht haben möchte. Nichtsdestotrotz – er muss das Kunstwerk als solches gelten lassen und die Urheberrechte des Künstlers respektieren, egal ob das Graffiti seinen Geschmack trifft oder nicht. Vor allem darf er keine Handlungen durchführen, die das Urheberpersönlichkeitsrecht (dazu zählt z.B. das Entstellungsverbot, § 14 UrhG) oder urheberrechtliche Verwertungshandlungen (z.B. das Recht auf Verbreitung, § 17 UrhG) verletzen.
Doch ist es gerecht, wenn der Urheber bei der Schaffung seines Werkes eine Eigentumsverletzung begangen hat und der Eigentümer sie schlichtweg hinnehmen, ja sogar fördern muss?
Abwägung: Kunst und Eigentum – Rechte des Urhebers und Rechte des Eigentümers
Der BGH hat in seiner „Mauer-Bilder-I-Entscheidung“ 1995 geurteilt, dass in solchen Fällen die Kunstfreiheit ihre Grenze in der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG findet: Dem Eigentümer verbleibt somit das Recht seinen Gegenstand mitsamt dem Kunstwerk zu zerstören. Dies ist auch urheberrechtlich legitim. Bereits das Reichsgericht hat 1912 in seinem Urteil „Felseneiland mit Sirenen“ entschieden, dass die Vernichtung eines Werkes – im Gegensatz zu seiner Veränderung – nicht gegen das Entstellungsverbot des § 14 UrhG verstößt. Eine Vernichtung des Werkes verletzt nicht das Urheberpersönlichkeitsrecht.
Auch kann es dem Eigentümer aufgrund seiner verfassungsrechtlich gesicherten Privatautonomie nicht verwehrt werden, sein Eigentum zu veräußern. Voraussetzung ist jedoch, dass der Gegenstand auch ohne das mit ihm untrennbar verbundenen „aufgedrängten Kunstwerk“ einen wirtschaftlichen Wert aufweist.
Grund für diese Bedingung ist ein urheberrechtlicher Grundsatz. Dieser besagt, dass der Urheber angemessen an dem wirtschaftlichen Nutzen seines Werkes zu beteiligen ist. Die wirtschaftliche Nutzung des Kunstwerks steht also alleine dem Urheber zu, es sei denn er vergibt dieses Recht ausdrücklich an einen anderen weiter.
Laut BGH kann der Urheber auf eine wirtschaftliche Nutzung verzichten, und zwar auch durch eine Erklärung gegenüber der Öffentlichkeit. Dies erscheint insbesondere bei der Kunstart Graffiti plausibel: ist es doch Teil der Ideologie, dass die Werke umsonst gezeigt werden und man sich bewusst gegen Kommerz stellt. Allerdings wird dabei leicht übersehen, dass Graffiti-Künstler nicht nur sich selbst für eine wirtschaftliche Nutzung ausschließen wollen, sondern jedermann und jegliche Kommerzialisierung.
Und wie sieht der Umgang mit Graffitis tatsächlich aus?
Öffentliche Stellen verpönen illegale Graffitis und versuchen vor allem sich für eine strafrechtliche Verfolgung stark zu machen. In Münster wurde 2001 die sogenannte „Ordnungspartnerschaft Graffiti“ gegründet. Darin wirken Polizei, Bundesgrenzschutz, Kommune, Kirchen, Verkehrsbetriebe und der Einzelhandel zusammen um die „rücksichtslosen Provokateure“ zu fassen und einen „Beitrag für die Sauberkeit der Städte“ zu erbringen. Um einen möglichen urheberrechtlichen Wert oder gar Schutz geht es der Initiative dabei eher nicht: vor allem Graffitis, die ohnehin nicht die nötige Schöpfungshöhe erreichen, sollen verhindert werden – möglichst präventiv, ansonsten durch Entfernung.
Für Graffitis, die als Kunst angesehen werden, ist das Verständnis weitaus höher. So hat vor kurzem der Stadtrat in Mainz einstimmig für den Erhalt der Bemalungen an den städtischen Luftmessstationen plädiert: Die Graffitis werteten das Stadtbild auf, außerdem hätten die Gemälde „einen Anspruch darauf nicht beschädigt oder entfernt zu werden“, wie der Stadtrat seine Entscheidung begründete.
Wirklich urheberrechtlich relevante Streitigkeiten um Graffitis sind eher selten: in letzter Zeit bekannt geworden ist der Fall um den Künstler Kani Alavi. Alavi hatte einen Abschnitt der Berliner Mauer bemalt. Der Bundestag veranlasste dann – ohne Alavi zu fragen – dass das Kunstwerk mit dem Namen „Ost-West-Dialog“ vom Grundstück und der Mauer abgetrennt wurde, um es der UNO zu schenken. Der Künstler fühlt sich jedoch in seinem Recht auf Namensnennung verletzt; er fordert deshalb einen Schadenersatz in Höhe von 170.000 €. Eine mündliche Verhandlung vor dem BGH hat bereits stattgefunden, die Urteilsverkündung wird für den 24.5.2007 erwartet.