Geht es nach den Ländern, ist das Inkrafttreten des Medienstaatsvertrages nur noch eine Frage der Zeit. Quasi in letzter Minute haben sie damit auch den Weg frei gemacht, um bestimmte journalistische Online-Angebote unter die Aufsicht der Landesmedienanstalten zu stellen. Auch für die Betreiber von Social Bots kommen neuen Regeln, diese müssen ihre Angebote entsprechend kennzeichnen. Das Bemühen der Staatsvertragsgeber um eine zeitgemäße Medienregulierung bringt damit auch neue Pflichten für Anbieter von Telemedien mit sich, die in der Öffentlichkeit bislang weniger im Fokus stehen. In beiden Fällen sind jedoch die Anwendungsbereiche noch unklar – und die Auswirkungen der Regulierung wohl äußerst beschränkt.
Online-Presse hat den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen, so steht es im künftigen § 19 Abs. 1 MStV. Ein solcher Qualitätsstandard ist nicht neu, schon der aktuelle § 54 Abs. 2 RStV enthält eine entsprechende Regelung. Konkret bezieht sie sich auf die journalistischen Sorgfaltspflichten, die sich aus den entsprechenden landesmedienrechtlichen Vorschriften sowie den Richtlinien des Deutschen Presserates (dem sog. Pressekodex) ergeben.
Nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 MStV soll hierbei künftig zwei Kategorien journalistisch-redaktioneller gestalteter Onlinedienste zu unterscheiden sein:
Laut Begründung soll die Erweiterung des Satz 2 eine Regelungslücke schließen. Bisher hätten „Multiplikatoren […], welche dem Wesen oder ihrer Struktur nach nicht dem klassischen Angebot von Verlagen entsprechen“, nicht im Fokus gestanden – trotz publizistischer Relevanz. In den auch im Rahmen von zwei Onlinekonsultationen ausführlich diskutierten Entwurfsfassungen war hiervon noch keine Rede. Erst mit der weitestgehend finalen Fassung des Medienstaatsvertrags zur Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2019 haben die Länder quasi in letzter Sekunde einen „Paradigmenwechsel“ vollzogen (so Lent, ZUM 2020, 593).
Denn die Änderung ist weit mehr als nur eine redaktionelle Anpassung. Die Staatsvertragsgeber haben es nämlich nicht beim Schließen einer vermeintlichen Regelungslücke belassen, sondern gleich ein völlig neues Regelungsregime erschaffen. Denn diese Presse „zweiter Klasse“ unterstellt der Medienstaatsvertrag grundsätzlich der direkten Aufsicht der Landesmedienanstalten.
Bislang ist dem Medienrecht eine behördliche Aufsicht für den Pressebereich weitestgehend unbekannt. Dementsprechend ist auch die Pflicht zur Einhaltung journalistischer Grundsätze im derzeitigen Rundfunkstaatsvertrag nicht bußgeldbewehrt, Aufsichtsmaßnahmen bei Verstößen sind ebenfalls so gut wie ausgeschlossen. Nur in Ausnahmen ist eine Sperrung bestimmter Angebote möglich, unter den engen Voraussetzungen einer Beschlagnahme mit richterlicher Anordnung und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Medienfreiheiten gemäß § 59 Abs. 3 S. 6 RStV.
Für die klassische Verlagspresse – um die Diktion des Medienstaatsvertrages aufzugreifen – nach Satz 1 soll diese Aufsichtsfreiheit auch weiterhin gelten. Verstoßen aber Angebote nach Satz 2 gegen die journalistischen Grundsätze, können die Landesmedienanstalten dies künftig ahnden und Beanstandungen aussprechen, Angebote untersagen oder diese sperren lassen. Davon ausgenommen sind nur solche Anbieter, die der Selbstregulierung durch den Pressekodex und der Beschwerdeordnung des deutschen Presserates unterliegen oder die sich einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen.
So gravierend die Unterschiede in der Regulierung sind, so unklar sind die jeweiligen Anwendungsbereiche. Unter Satz 1 sollen ausweislich des Wortlauts insbesondere solche Angebote fallen, die Ableger einer gedruckten Zeitschrift oder Zeitung sind. Verfehlt wäre, aus diesem Beispiel zu schließen, dass Onlineangebote aus dem Anwendungsbereich fallen, wenn sie nicht gedruckt erscheinen oder die Printausgabe wegfällt. Es wäre ebenso verfassungswidrig wie mit dem erklärten Ziel einer medienkonvergenten Regelung nicht vereinbar, nach dem Trägermedium der Erstveröffentlichung zu differenzieren. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich weit zu verstehen, journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedienangebote jeglicher Ausprägung sind von Satz 1 erfasst (so auch Lent, ZUM 2020, 593, 598; zur Vorgängerregelung Hartstein, in: Hartstein/Ring/Kreile, RStV, 82 Al. 12/2019, § 54 Rn. 11).
Obwohl für Satz 2 somit kaum ein Anwendungsbereich verbleibt, ist ein Vertrauen hierauf insbesondere für reine Onlineangebote mit einem prozessualen Restrisiko behaftet. Journalistische Onlineangebote werden so gedrängt, Mitglied einer Selbstkontrolleinrichtung zu werden. Dies ist das effektivste Mittel, um nicht nur eine behördliche Inanspruchnahme, sondern auch im Vorfeld Streitigkeiten hierüber weitestgehend zu reduzieren. Der Mechanismus freiwilliger Selbstkontrollen hat sich im Bereich des Jugendmedienschutzes in der Vergangenheit bereits bewährt, Konflikte über die den Selbstkontrollen zustehenden Beurteilungsspielräume sind aber nicht auszuschließen (vgl. hierzu das JusProg-Verfahren, VG Berlin, Beschl. v. 28.8.2019 – VG 27 L 164.19).
Während der tatsächliche Anwendungsbereich der für Angebote nach § 19 Abs. 1 S. 2 MStV vorgesehenen Regelungen fraglich und die praktischen Auswirkungen gering sein dürften, ist die politische Botschaft zu bedauern. Zwar handeln die Landesmedienanstalten regelmäßig konstruktiv und mit Augenmaß, vor allem in einem anderen politischen Umfeld öffnet eine entsprechende Regelung jedoch die Türen für Missbrauch. Die Berufung auf das deutsche Beispiel beim NetzDG in zahlreichen anderen Staaten hat gezeigt, wie bedeutsam die Vorbildrolle Deutschlands in der Medienregulierung ist. Auch mit Blick auf das Ausland wäre eine verfassungsgerichtliche Prüfung daher zu begrüßen.
Wer Social Bots in sozialen Netzwerken betreibt, muss diese künftig kennzeichnen – so die Grundidee des § 18 Abs. 3 MStV. In der sprachlich eingängigen Version des Medienstaatsvertrags liest sich das wie folgt:
Anbieter von Telemedien in sozialen Netzwerken sind verpflichtet, bei mittels eines Computerprogramms automatisiert erstellten Inhalten oder Mitteilungen den Umstand der Automatisierung kenntlich zu machen, sofern das hierfür verwandte Nutzerkonto seinem äußeren Erscheinungsbild nach für die Nutzung durch natürliche Personen bereitgestellt wurde. Dem Inhalt oder der Mitteilung ist der Hinweis gut lesbar bei- oder voranzustellen, dass dieser oder diese unter Einsatz eines das Nutzerkonto steuernden Computerprogrammes automatisiert erstellt und versandt wurde. Ein Erstellen im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur vor, wenn Inhalte und Mitteilungen unmittelbar vor dem Versenden automatisiert generiert werden, sondern auch, wenn bei dem Versand automatisiert auf einen vorgefertigten Inhalt oder eine vorprogrammierte Mitteilung zurückgegriffen wird.
Wenig überraschend, führt diese Definition zu zahlreichen Unklarheiten bezüglich der Reichweite der Kennzeichnungspflicht. Nach der Intention der Länder soll die Regelung die Automatisierung meinungsrelevanter – politischer – Mitteilungen und Inhalten erfassen. So sollen vorgetäuschte Stimmungsbilder, simulierte Diskurse und andere Beeinflussungen des öffentlichen Diskurses unterbunden werden.
Vom Wortlaut zwar erfasst, obgleich durch teleologische Reduktion vom Anwendungsbereich auszuschließen, sind automatische Posts ohne Relevanz für die öffentliche Meinungsbildung, wie zum Beispiel das Twittern von Wetterereignissen mittels IFTTT (#Regenschirmalarm). Gleiches dürfte auch für den Einsatz von Bots im Kundenservice gelten, zum Beispiel für die Beantwortung von Supportanfragen. Eine Regulierung entsprechender Automatisierung im Rahmen des Medienstaatsvertrages durch die Länder wäre als wirtschaftsbezogene Regelung im Übrigen auch kompetenzwidrig. Streitig ist zwar, ob das Absetzen vorgefertigter Posts zu einer bestimmten Uhrzeit die Kennzeichnungspflicht auslösen soll. Eine solche kann jedoch ersichtlich nicht gewollt und gemeint sein (und ist auch mit dem Wortlaut nicht vereinbar).
In erster Linie adressiert die Kennzeichnungspflicht somit die vielbeschworenen „Propaganda-Bots“. Ob solche Bots existieren und von ihnen ein (realer) Einfluss auf öffentliche Willensbildungsprozesse, insbesondere Wahlkämpfe, ausgeht, ist umstritten. Oftmals wird angesichts des diffusen Bedrohungsszenarios vertreten, die Bedeutung werde medienregulatorisch stark überschätzt.
Ungeachtet der Frage, ob Bots bereits aktuell eine relevante Rolle spielen: Den Ländern steht es grundsätzlich frei, eine solche Regelung auch mit Blick auf einen potentiellen Einsatz in der Zukunft zu erlassen. Der Medienstaatsvertrag soll schließlich nicht nur den Status Quo behandeln, sondern auch (mögliche) künftige Gefährdungen adressieren. Nicht zuletzt aufgrund von Sprachmodellen wie dem viel-gehypten GPT-3 ist es jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich „klug“ verhaltende Bots demnächst auch in politische Debatten einmischen.
Der Einfluss der Regelung dürfte auch aufgrund des Anwendungsbereiches jedoch äußerst klein bleiben. Für Anbieter von Telemedien gilt der Medienstaatsvertrag, wenn sie in Deutschland niedergelassen sind (§ 1 Abs. 7 MStV). Für Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen sieht der Staatsvertrag eine abweichende Regelung vor, nur bei ihnen erstreckt sich der Anwendungsbereich auch auf ausländische Angebote, die sich an Nutzer in Deutschland richten (§ 1 Abs. 8 MStV). Der Betrieb von Social Bots ist in dieser Sonderregel nicht aufgeführt. Ausländische Einmischungen in deutsche Wahlkämpfe unterliegen daher nicht der Kennzeichnungspflicht.
Ob eine solche Regulierung einen praktischen Nutzen hat, mag ohnehin dahinstehen. Wer Wahlen beeinflussen möchte, wird sich vermutlich nicht davon beeindrucken lassen, dass er dadurch eine Ordnungswidrigkeit begeht.