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Netzsperren: Was ändert der neue Gesetzentwurf?

Die große Koalition hat sich auf einen neuen Entwurf für das „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen ” (Zugangserschwerungsgesetz – ZugErschwG) geeinigt. Dabei konnte die SPD-Fraktion ein paar kleine Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf aushandeln. Doch die Grundkonstruktion, nach der Internetdienste-Anbieter Seiten sperren müssen (§ 2 ZugErschwG-E), die ihnen vom BKA angezeigt werden (§ 1 ZugErschwG-E), bleibt dieselbe. Die Forderung „Löschen statt Sperren” als kategorisches Konzept fand innerhalb der SPD auf dem Parteitag am Wochenende keine Mehrheit – und so nur in verwässerter Form ihren Weg in den neuen Entwurf.
Spezialgesetz als Garantie gegen den „Dammbruch”?

Der neue Entwurf regelt die Netzsperren in einem Spezialgesetz. Sein Vorgänger sah noch Änderungen des TMG vor. Diese Verortung wurde vielfach kritisiert: Das TMG legt die Anforderungen an die einzelnen Internet-Angebote fest; Sperrmaßnahmen betreffen aber Vorgänge des Informationstransports, also der Telekommunikation. Das passende Regelwerk wäre demnach das TKG. Die SPD (Beschluss des Parteivorstandes vom 13. Juni 2009 als PDF) sieht in der spezialgesetzlichen Ausgestaltung eine Garantie dafür, dass das Instrument später nicht auch gegen andere Inhalte verwendet wird. Diese Ansicht teilt auch der BITKOM-Präsident Dr. August-Wilhelm Scheer; in seiner Stellungnahme heißt es:

„Damit wird Forderungen Einhalt geboten, aufwendige Zugangssperren künftig auch gegen einfache Rechtsverstöße im Web einzusetzen. Wir nehmen die Politik beim Wort, denn die Diskussion um solche Eingriffe wird sicher nicht verstummen.”

Inwiefern diese Hoffnung begründet ist, wird sich zeigen. Denn sollte der Gesetzgeber in Zukunft auch Netzsperren gegen andere Inhalte einführen wollen, kann er eine solche Regelung durchaus – eventuell in einem neuen Spezialgesetz – erlassen. Vereinzelt wurden schon jetzt Forderungen laut, auch Seiten mit illegalen Glücksspielen, Killerspielen oder Raubkopien zu sperren. Neu eingeführt wurde im aktuellen Entwurf allerdings auch eine Befristung: Das Gesetz tritt Ende 2012 automatisch außer Kraft (Art. 14 Abs. 3 ZugErschwG-E). Zwei Jahre nach Inkrafttreten ist nach wie vor eine erste Evaluierung durch die Bundesregierung vorgesehen (Art. 13 ZugErschwG-E).

Sperrung nur als ultima ratio?

Dass Netzsperren umgangen werden können und deshalb im Vergleich zur Löschung wenig effektiv sind, das wurde in letzter Zeit ausschweifend diskutiert. Deswegen schreibt der neue Entwurf eine Subsidiarität dieser Maßnahmen ausdrücklich vor. In § 1 Abs. 2 des ZugErschwG-E heißt es:

„Die Aufnahme in die Sperrliste erfolgt nur, soweit zulässige Maßnahmen, die auf die Löschung des Telemedienangebots abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind.”

In diesem Zusammenhang „soll” das BKA die betroffenen Anbieter nach § 1 Abs. 3 ZugErschwG-E über die Indizierung und die Gründe informieren. Von diesen Regelungen sind Angebote aus außereuropäischen Staaten ausgenommen; hier hat das BKA einen Einschätzungsspielraum, ob etwa eine bloße Mitteilung an die dort Verantwortlichen zur Löschung führen wird. Auch im nationalen Bereich verbleibt ihm aber ein weiter Handlungsspielraum: Was eine „angemessener Zeit” für die Subsidiaritätswirkung ist, muss erst noch konkretisiert werden. Insoweit kann das BKA selbst bestimmen, wann es „Löschen statt Sperren” für sinnvoll hält: Ein deutlicher oder gar zwingender Vorrang von Löschungsmaßnahmen wird gerade nicht statuiert.

Kontrolle der Listen und Rechtsschutz

Es verbleibt die Möglichkeit, dass unter Umständen auch legale Seiten auf den Listen des BKA landen. Wie kann man sich dann als Betroffener zur Wehr setzen? Weder im vorigen, noch in diesem Entwurf ist ein spezieller Anspruch auf Überprüfung bzw. ein Widerspruchsrecht vorgesehen. Aber nun soll ein „unabhängiges Expertengremium” anhand von Stichproben kontrollieren, ob die aufgeführten Inhalte wirklich als kinderpornographisches Material zu bewerten sind. Ursprünglich war geplant, dieses Gremium beim Bundesdatenschutzbeauftragten anzusiedeln. Peter Schaar hat jedoch bereits im Vorfeld abgesagt (PDF):

„Auch wenn ich durchaus nachvollziehen kann, dass Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden sollen, um insbesondere die Anbieter von Telemediendiensten vor einer ungerechtfertigten Aufnahme in die Liste zu schützen, habe ich erhebliche Bedenken dagegen, mir die Aufgabe der Bestellung der Experten und die organisatorische Durchführung der Kontrolltätigkeit zu übertragen. Denn hierdurch sehe ich meine Unabhängigkeit als Datenschutz- und vor allem als Informationsfreiheitsbeauftragter gefährdet. Insbesondere wird durch eine wie auch immer geartete Teilnahme an Maßnahmen zur Kontrolle und Filterung von Internet-Inhalten der Gedanke der Informationsfreiheit geradezu ins Gegenteil verkehrt.”

Will der Betroffene eine solche Überprüfung nicht abwarten, hat er im Grunde zwei Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen: Zum Einen kann er gegen die vorgenommene Sperrung vorgehen. Eine solche Klage würde sich gegen die handelnden Internet-Service-Providern (ISPs) richten. Derartige (zivilrechtliche) Ansprüche gegen die Anbieter sind jedoch nach § 7 ZugErschwG-E ausgeschlossen, wenn diese nur die Anweisungen des BKA umsetzen. Damit verbleibt nur noch die Option, direkt gegen die Aufnahme in die BKA-Liste vorzugehen. Diese Fälle weist der jetzige Entwurf ausdrücklich den Verwaltungsgerichten zu (§ 12 ZugErschwG-E).

Mehr Datenschutz bei den „Stopp-Seiten”

Besonders umstritten ist die Ausgestaltung der Netzsperren in Form von Stopp-Seiten: Surft ein Kunde eine indizierte Seite an, wird er auf ein Stopp-Schild weitergeleitet (jetzt in § 4 ZugErschwG-E). Der vorige Gesetzentwurf sah noch vor, dass so erlangte Daten (wie etwa die IP-Adresse des Nutzers) zur Strafverfolgung verwendet werden durften. Jetzt schließt § 5 ZugErschwG-E diese Möglichkeit ausdrücklich aus. Zur Begründung heißt es dazu im Beschluss des SPD-PV:

„Das Gesetzesvorhaben dient ausschließlich der Prävention. Es darf nicht als Anlass dafür dienen, das Surfverhalten sämtlicher Nutzer zu überwachen oder zu protokollieren. Es ist klarzustellen, dass die auf der geplanten Stopp-Seite anfallenden Daten nicht der Vorratsdatenspeicherung unterliegen und daher nicht zu anderen Zwecken genutzt werden können. Damit ist auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgelenkte Nutzer/innen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt oder die Daten zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche genutzt werden können.”

Fazit

Eine wesentliche Milderung haben die eingefügten Änderungen nicht bewirkt – die meisten Kritikpunkte des Vorentwurfs bleiben bestehen: Nach wie vor erscheint sehr fraglich, ob die erheblichen Grundrechtseingriffe in das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf Informationsfreiheit noch mit der Verfassung vereinbar sind. Dafür bedarf es stets einer Rechtfertigung, die rechtsstaatlichen Erfordernissen stand halten muss. Hier sind insbesondere das Wesentlichkeitsprinzip und das Bestimmtheitsgebot zu nennen. Danach müssen die Eingriffsmöglichkeiten vom Gesetzgeber genau umschrieben und begrenzt werden. Ob die Ausgestaltung der Netzsperren diesen Grundsätzen stand hält, ist sehr fraglich: Denn auch im neuen Entwurf wird die genaue Art und Weise der Netzsperren nicht vorgeschrieben. Die Diensteanbieter werden lediglich zu „geeigneten und zumutbaren technischen Maßnahmen” verpflichtet.

Am Donnerstag wird der Bundestag über den Entwurf abstimmen. Mit einer Annahme ist wohl zu rechnen, eine Probeabstimmung innerhalb der SPD-Fraktion ergab lediglich zwei Nein-Stimmen. Allerdings hat auch schon der Bundesrat erhebliche Bedenken gegen das Regelwerk verlautbaren lassen; diese Hürde müsste der Entwurf noch nehmen, bevor er endgültig als Gesetz in Kraft tritt. Ob die am Dienstag abgelaufene Petition gegen das Gesetz die Parlamentarier umstimmen kann, wird sich zeigen: Bisher haben jedenfalls schon über 133 000 Sperrungsgegener die Forderung unterstützt.

Der neue Gesetzentwurf als PDF-Datei.

, Telemedicus v. 17.06.2009, https://tlmd.in/a/1365

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