Der Gesetzesentwurf zur Sperrung von Kinderporno-Seiten liegt nun auch öffentlich vor (PDF). Der Entwurf hat einige Schwächen: Sowohl fachlicher Art, als auch, was die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz angeht.
Ist die Regelung sachgerecht verortet?
Alle wesentlichen Punkte des neuen Gesetzes sollen durch einen neuen § 8a des TMG geregelt werden. Bereits das lässt sich kritisieren: An sich regelt das TMG nämlich nur die Ebene der Telemedien, d.h. der „Transportbehälter“. Die Sperrung von Kinderporno-Seiten geschieht aber im Bereich der Telekommunikation – und diese ist an sich im TKG geregelt. Alternativ bietet sich an, die Gesetzesänderung entsprechend dem Tatbestand einzuordnen. Dieser knüpft an die Inhalte der gesperrten Webseiten an – entsprechend wäre also eine Regelung auf Inhaltsebene sinnvoll. Dies würde verlangen, die Regelung in einem Inhaltsgesetz (z.B. dem JMStV) oder in einem eigenen Gesetz zu verorten.
Die Bundesregierung hat den Weg über das TMG allerdings nicht ohne Grund gewählt. Denn für die Regulierung von Inhalten von Medien sind, wenn (wie hier) keine besondere Bundeszuständigkeit gegeben ist, die Länder zuständig. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das TMG ergibt sich demgegenüber aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, der Kompetenz für „das Recht der Wirtschaft“. Der Gesetzesentwurf geht auf diesen Punkt in seiner Begründung ein:
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes stützt sich auf Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft). Nach der Rechtssprechung des BVerfG deckt die Kompetenznorm alle Regelungen ab, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regeln und umfasst Normen und Gesetze mit wirtschaftsregulierenden oder wirtschaftslenkenden Inhalt (BVerfGE 68, 319,330). Die den Internetzugangsanbietern auferlegte Pflicht, den Zugang zu kinderpornographische Seiten durch entsprechende technische Vorkehrungen zu erschweren, ist als solche wirtschaftslenkende Maßnahmen zu qualifizieren, da sie den Diensteanbieter in der Ausübung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit reglementiert.
Diese Argumentation ist m.E. zumindest wacklig. Denn der eigentliche Zweck des Gesetzes ist, auch ausweislich der eigenen Begründung, „den Zugang deutscher Nutzer auf kinderpornographische Seiten zu erschweren.“ Das Gesetz soll also Inhalte des Internet, bzw. das Verhalten der Internet-Nutzer regulieren, nicht das wirtschaftliche Verhalten der Internet-Anbieter.
Der Entwurf im Detail
An dem Entwurf fällt auf, dass er mit technischen Vorgaben sehr sparsam umgeht. Der § 8a Abs. 2 TMG-E, jeweils mit Hervorhebung der relevanten Stellen:
Diensteanbieter nach § 8, die einen öffentlich zugänglichen Internetzugang für mindestens 10000 Teilnehmer oder sonstige Nutzungsberechtigte in der Regel gegen Entgelt ermöglichen, haben geeignete und zumutbare technische Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu Telemedienangeboten, (die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuchs enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen und) die Bestandteil der Sperrliste des Bundeskriminalamts nach Absatz 1 sind, zu erschweren. Für die Sperrung dürfen vollqualifizierte Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten verwendet werden. Die Sperrung erfolgt mindestens auf der Ebene der vollqualifizierten Domainnamen, deren Auflösung in die zugehörigen Internetprotokoll-Adressen unterbleibt. Die Diensteanbieter haben die Maßnahmen unverzüglich zu ergreifen, nachdem das Bundeskriminalamt die aktuelle Sperrliste zur Verfügung gestellt hat, spätestens jedoch innerhalb von sechs Stunden.
Der Entwurf macht damit den Internet-Service-Providern (ISPs) nur sehr laxe Vorgaben. Zwingend vorgeschrieben sind lediglich die DNS-Sperren, die sehr leicht zu umgehen sind. Andere Sperrmaßnahmen müssen die ISPs lediglich übernehmen, sofern diese „geeignet und zumutbar“ sind – ein Gummibegriff, der wohl ohne echte Auswirkungen bleiben wird. Dies insbesondere, weil das Gesetz nicht festlegt, wer nun eigentlich bestimmt, was „geeignet und zumutbar“ ist. Insofern wäre hier wohl die ordnungsrechtliche Aufsicht nach dem TMG einschlägig – diese ist jedoch weitestgehend inaktiv.
In Bezug auf diese „technologieneutrale“ Regelung ergeben sich auch erneut verfassungsrechtliche Bedenken. Nach der Wesentlichkeitstheorie ist der Gesetzgeber nämlich verpflichtet, alle für die Grundrechtsausübung wesentlichen Fragen selbst zu entscheiden (st. Rspr., zuletzt BVerfGE 98, 218, 251 – Rechtschreibreform). Dabei muss es umso genauer regeln, desto intensiver Grundrechte betroffen sind. Hier wird aber mit hoher Intensität in gleich mehrere Grundrechte eingegriffen:
• Das Telekommunikationsgeheimnis ist betroffen, weil sowohl die ISPs als auch das BKA Zugriff auf Daten nehmen, die Art und Inhalt der Telekommunikation betreffen.
• Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist betroffen, weil diese Daten auch später zum Anknüpfungspunkt für Strafverfolgung werden können.
• Die Informationsfreiheit ist betroffen, weil den Bürgern die Möglichkeit genommen wird, bestimmte – wenn auch rechtswidrige – Medien zu nutzen.
• Die Berufsfreiheit des ISPs ist betroffen, weil diese nun bestimmten Anforderungen des BKA Folge leisten müssen.
All dies spricht dafür, dass sich der Gesetzgeber hier nicht in eine generalklauselartige Formulierung zurückziehen kann. Wie gesperrt werden muss, sollte er selbst regeln.
Die hohe Intensität der Grundrechtseingriffe wirft auch noch ein zweites Problem auf. Wieso sind diese starken Eingriffe nicht durch ein bürokratisches Verfahren abgesichert? Hier stellt sich die Frage nach der Verfahrensgarantie der Grundrechte.
Das BKA trifft die Entscheidung, welche Inhalte in den Bereich des § 184b StGB fallen, selbst und ohne weitere verwaltungsinterne Kontrollmöglichkeit. Die einzig denkbare Überprüfung: Einer der betroffenen Seitenbetreiber macht Gebrauch von seiner Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG und klagt gegen die Sperrung. Dies dürfte allerdings in der Praxis wenig bis gar nicht vorkommen – betroffene Anbieter dürften das Stigma, mit Kinderpornographie in Verbindung gebracht zu werden, so sehr scheuen, dass sie auch in Fällen, in denen das BKA rechtswidrig sperren ließ, lieber nachgeben.
Haftung für KiPo-Links
Für relativ unproblematisch halte ich den Punkt, dass nicht nur Kinderporno-Webseiten gesperrt werden sollen, sondern angeblich auch solche, die auf Kinderporno-Seiten verlinken (so z.B. Prof. Dr. Henning Ernst Müller im Beck-Blog, RA Stadler bei Internet-Law). Diese Gefahr sehe ich als eher nicht gegeben. Denn der Gesetzgeber hat die fragliche Stelle, absichtlich oder unabsichtlich, relativ eng formuliert. § 8a Abs. 1 TMG-E:
Im Rahmen seiner Aufgaben als Zentralstelle nach § 2 des Bundeskriminalamtgesetzes führt das Bundeskriminalamt Listen über vollqualifizierte Domainnamen, Internet-Protokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten, die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuches enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen (Sperrliste).
Gemeint ist also nicht jede Verlinkung. In den Tatbestand fallen lediglich Telemedien, „deren Zweck darin besteht“, Kinderpornographie zu verlinken. Eine Haftung über längere Link-Ketten dürfte daraus eher nicht abzuleiten sein, ebenso keine Haftung von Webseiten wie Wikileaks. Eine Gefahr bleibt aber natürlich bestehen: Dass BKA-Mitarbeiter, die sich gegenüber niemandem verantworten müssen, contra legem regulieren.
Die politischen Probleme des Entwurfs sollen hier nur am Rande Erwähnung finden: Durch das Gesetz wäre keinesfalls sichergestellt, dass Kinderpornografie weniger Verbreitung findet, eventuell wirkt es sogar kontraproduktiv. Das macht den Entwurf zu einem Instrument der Wählertäuschung. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Internet-Sperren bald nicht nur Kinderpornografie betreffen, sondern auch andere „unerwünschte“ Webseiten. Ähnliches ist im Ausland bereits vorgekommen.
Telemedicus: Netzsperren: Was geht technisch?
Telemedicus zu einem älteren Entwurf.
Update: