Am Freitag hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) im Verfahren GEMA gegen Europäische Kommission entschieden. Hintergrund des Verfahrens war eine Entscheidung der Europäischen Kommission, wonach es sich bei bestimmten Klauseln eines Mustervertrags der CISAC (dem internationalen Dachverband der Verwertungsgesellschaften) sowie weitergehender Absprachen durch verschiedene europäische Verwertungsgesellschaften um eine Kartellvereinbarung gem. Art. 101 AEUV (bzw. Art. 81 EGV) handele.
Das EuG entschied nun: Dass tatsächlich Kartellvereinbarungen vorliegen, hat die Kommission nicht hinreichend bewiesen. Die Diskussion über europaweite Musiklizenzen dürfte damit erneut entfachen.
Wörtlich stellte das EuG fest:
„Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise hinsichtlich der Gebietsbeschränkungen auf das Inland rechtlich nicht hinreichend bewiesen hat; sie hat nämlich weder bewiesen, dass sich die Klägerin und die anderen Verwertungsgesellschaften insoweit abgestimmt hätten, noch Gesichtspunkte vorgebracht, die einer von der Klägerin gegebenen Erklärung für das Parallelverhalten der Verwertungsgesellschaften ihre Plausibilität genommen hätten.”
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Beschwerde der RTL-Group im November 2000. Diese konnte bei der GEMA keine europaweite Lizenz für Musiksendungen erwerben – der CISAC-Mustervertrag der europäischen Verwertungsgesellschaften sah eine europaweite Rechtevergabe nicht vor. 2003 folgte im April eine Beschwerde von Music Choice im Bezug auf den CISAC-Mustervertrag. Im Januar 2006 äußerte die EU-Kommission daraufhin Bedenken und drängte die Verwertungsgesellschaften zu einer stärkeren Marktöffnung. In der sogenannten CISAC-Entscheidung erklärte die EU-Kommission dann im Juli 2008 die Mitgliedschafts- und Auschließlichkeitsklauseln, sowie darauf aufbauende abgestimmte Verhaltensweisen für wettbewerbswidrig. Es folgte eine Anfechtungsklage der GEMA gegen die Untersagungsverfügung der EU-Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union im September 2008. Ein Antrag der GEMA auf vorläufige Aussetzung der Entscheidung der Kommission wurde im November 2008 abgelehnt.
Gegenstand des Verfahren waren Klauseln des CISAC-Mustervertrages in der Fassung wie sie hier unter 4.3/4.4 abgedruckt sind, die aktuelle Fassung des Mustervertrages findet sich hier.
Der EuG fasst die Klauseln, sowie die Gebietsbeschränkungen so zusammen:
„Die Mitgliedschaftsklausel in Art. 11 Abs. 2 des Mustervertrags sah bis 3. Juni 2004 vor, dass die Verwertungsgesellschaften einen Urheber, der bereits Mitglied einer anderen Verwertungsgesellschaft war oder die Staatsangehörigkeit eines Landes besaß, in dem eine andere Verwertungsgesellschaft ihre Tätigkeit ausübte, nur unter bestimmten Voraussetzungen als Mitglied aufnehmen durften (Randnrn. 18 bis 21 und 27 der angefochtenen Entscheidung). Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass einige Gegenseitigkeitsvereinbarungen weiterhin eine solche Klausel enthielten (Randnrn. 35, 125 und 260 der angefochtenen Entscheidung).”
„Was den Ausschließlichkeitscharakter der Mandate und ihre territoriale Reichweite betrifft, sah zum einen Art. 1 Abs. 1 und 2 des Mustervertrags bis Mai 1996 vor, dass eine Verwertungsgesellschaft einer anderen auf Gegenseitigkeitsbasis das ausschließliche Recht einräumte, in den Gebieten, in denen die andere tätig war, die erforderlichen Genehmigungen für jede öffentliche Aufführung zu erteilen (im Folgenden: Ausschließlichkeitsklausel). Zum anderen fordert Art. 6 Abs. 1 des Mustervertrags die Verwertungsgesellschaften auf, ihre jeweiligen Tätigkeitsgebiete festzulegen, ohne Näheres hierzu zu bestimmen. Nach Art. 6 Abs. 2 des Mustervertrags hat sich jede Verwertungsgesellschaft jeder Einmischung in die Ausübung des der anderen übertragenen Mandats in deren Gebiet zu enthalten (im Folgenden: Nichteinmischungsklausel) (Randnrn. 22 bis 25 der angefochtenen Entscheidung).”
„Der angefochtenen Entscheidung zufolge setzen die Verwertungsgesellschaften Art. 6 Abs. 1 des Mustervertrags so um, dass sie darin Gebietsbeschränkungen vorsehen, nach denen sich die von einer Gesellschaft erteilten Lizenzen, von einigen geringfügigen Ausnahmen abgesehen, auf das Gebiet des EWR?Landes beschränken, in dem diese Gesellschaft ansässig ist (im Folgenden: Gebietsbeschränkungen auf das Inland) (Randnr. 38 der angefochtenen Entscheidung).”
Die Entscheidung der EU-Kommission stellte hinsichtlich der GEMA (am Verfahren waren noch 23 andere Verwertungsgesellschaften beteiligt) einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV im Bezug auf die Verwendung von Art. 11 II CISAC-Mustervertrag (Mitgliedschaftsklausel) sowie aufgrund der Gebietsbeschränkungen fest. Im Bezug auf Art. 1 I, II CISAC-Mustervertrag (Ausschließlichkeitsklauseln) wurde ein Verstoß nur bei anderen Verwertungsgesellschaften festgestellt.
Die EU-Kommission begründete die abgestimmte Verhaltensweise wie folgt:
„Die Gebietsbeschränkungen auf das Inland könnten nämlich nicht einfach durch ein von Marktkräften bestimmtes unabhängiges Verhalten erklärt werden. Die Verwertungsgesellschaften hätten daher die Risiken des Wettbewerbs durch die Zusammenarbeit untereinander ersetzt, um eine gewisse Sicherheit zu erhalten, dass diese Beschränkungen von den anderen Verwertungsgesellschaften nicht nur auf der Grundlage der Gegenseitigkeit akzeptiert, sondern auch in allen Gegenseitigkeitsvereinbarungen umgesetzt würden (Randnrn. 156 und 157 der angefochtenen Entscheidung).
Der Grund für diese Sicherheit sei die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Verwertungsgesellschaften, insbesondere auf dem Gebiet der Offline-Anwendungen, die Kontrollnetze vor Ort erforderten. Für die Erteilung von Lizenzen und die Erhebung von Lizenzgebühren im Ausland sei daher jede Verwertungsgesellschaft von den anderen abhängig und setze sich Vergeltungsmaßnahmen aus, wenn sie auf dem Gebiet der Online-Rechte die historische Marktaufteilung nicht fortschreiben wolle (Randnr. 157 der angefochtenen Entscheidung).”
Dies sei zum einen belegt durch die Verwendung des CISAC Mustervertrags, sowie durch die Vereinbarung von Santiago (Santiago Agreement). Zudem sei es trotz der Streichung entsprechender Klauseln im CISAC-Mustervertrag zu keiner Verhaltensänderung gekommen.
Die GEMA stützte ihre Klage auf folgende Punkte:
Das Gericht wies die Klagen ab, soweit sie die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission bezüglich der Mitgliedschafts- und der Ausschließlichkeitsklauseln betrafen. Im Zusammenhang mit Absprachen im Rahmen der CISAC stellte das EuG fest:
Somit stellt die bloße Tatsache, dass sich die Verwertungsgesellschaften im Rahmen der von der CISAC geleiteten Aktivitäten getroffen haben und Formen der Zusammenarbeit zwischen ihnen existieren, als solche kein Indiz für eine verbotene Abstimmung dar. Ergibt sich nämlich aus dem Kontext, in dem die Zusammenkünfte der Unternehmen, denen Wettbewerbsverstöße vorgeworfen werden, stattgefunden haben, dass diese Zusammenkünfte erforderlich waren, um gemeinsam Fragen zu besprechen, die keinen Bezug zu Wettbewerbsverstößen aufweisen, kann die Kommission nicht davon ausgehen, dass mit diesen Zusammenkünften bezweckt wurde, wettbewerbswidrige Verhaltensweisen abzustimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil Dresdner Bank u. a./Kommission, Randnrn. 105 und 145). Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission keinen Beweis dafür erbracht hat, dass es bei den von der CISAC organisierten Zusammenkünften, an denen die Klägerin teilgenommen haben soll, um die mit den Gebietsbeschränkungen auf das Inland zusammenhängende Einschränkung des Wettbewerbs gegangen wäre.
Was schließlich speziell die Gespräche über den Mustervertrag angeht, ist festzustellen, dass dieser ausdrücklich keine Gebietsbeschränkungen auf das Inland vorsieht, sondern die Verwertungsgesellschaften lediglich auffordert, die territoriale Reichweite der Mandate, die sie sich in den Gegenseitigkeitsvereinbarungen erteilen, festzulegen.
Die Vereinbarung von Santiago sei indessen aufgrund der Rückkehr zum „status quo ante” kein Indiz, da sie insofern im Rahmen eines abgestimmten Verhaltens erfolgt sein müsste, was aber gerade erst zu beweisen ist.
Bezüglich des historischen Zusammenhangs zwischen Ausschließlichkeitsklausel und Gebietsbeschränkung stellte der EuGH fest:
„Eine Verwertungsgesellschaft, die sich mit der Möglichkeit beschäftigt, für ihr Repertoire in einem anderen Gebiet als dem, in dem sie ansässig ist, Lizenzen durch andere Verwertungsgesellschaften als der ortsansässigen erteilen zu lassen, wird sich nämlich zunächst fragen, ob sie nicht in der Lage ist, selbst Direktlizenzen für dieses Gebiet zu vergeben. Ebenso muss eine Verwertungsgesellschaft, die von anderen Verwertungsgesellschaften Mandate erhalten möchte, die über das Gebiet hinausgehen sollen, in dem sie ansässig ist, gleichfalls über eine Struktur verfügen, die es ihr ermöglicht, Direktlizenzen in anderen Ländern zu erteilen. Solange die Ausschließlichkeitsklausel galt, hätten solche Lizenzen gegen das der ortsansässigen Verwertungsgesellschaft erteilte ausschließliche Mandat verstoßen. Das ist nach dem Entfallen der Ausschließlichkeitsklausel nicht mehr so, auch wenn die Gebietsbeschränkungen auf das Inland fortbestehen. Somit kann nicht angenommen werden, dass es sich um die Fortsetzung derselben Beschränkung mit anderen Mitteln handelt.”
Dies sei maßgeblich auch mit der Vergabe von Direktlizenzen widerlegt. Folglich habe die EU-Kommission nicht Beweis für ein abgestimmtes Verhalten erbracht.
Weiterhin könnte aber auch die Entscheidung der EU-Kommission darauf gestützt werden, dass abgestimmtes Verhalten vermutet werde, sofern eine Erklärung der Klägerin, hier also der GEMA, plausibel widerlegt wurde.
Das Gericht stellte hier zunächst fest, dass das Argument der Erfordernis einer Präsenz vor Ort, um unbefugte Nutzung zu verhindern, nicht hinreichend widerlegt wurde (RN 117-157). Zum einen sei dies nicht hinreichend durch das NCB-Modell (nordisch-baltisches Mehrgebietslizenzierungsmodell) widerlegt, da hier die Analyse der Kommission unzureichend gewesen wäre. Auch der Bezug auf die Simulcasting- und Webcasting-Vereinbarung sei nicht hinreichend verknüpft worden. Die Vereinbarung von Santiago erlaube zwar generell räumlich unbeschränkte Lizenzen zu vergeben, lässt diese aber auch wiederum auf im Land der Verwertungsgesellschaft Ansässige beschränkbar. Die Vergabe von Lizenzen durch CELAS schliesslich stelle auch keine Widerlegung der Erklärung dar. Die CELAS vergebe nur räumlich unbegrenzte Lizenzen für mechanische Rechte, die Aufführungsrechte werden im Rahmen von Direktlizenzen bspw. von der GEMA vergeben. Auch ein Dokument mit dem Titel „Cross border collective management of online rights in Europe“ sei keine hinreichende Entkräftung. Zum einen haben die Unterzeichner sich an der der Klage gegen die EU-Kommission beteiligt, zum anderen seien keinerlei Bestrebungen zur Umsetzung des Vorschlags unternommen worden.
Auch wenn dies nun ein Teilerfolg für die CISAC zu sein scheint, bleibt festzustellen, dass hier eigentlich kein Urteil in der Sache vorliegt. Das Gericht hat wegen fehlender Beweiserbringung der EU-Kommission sowie hilfsweise unzureichender Plausabilitätsentkräftung der Argumente der Verwertungsgesellschaften die Entscheidung der EU-Kommission für nichtig erklärt. Was die Nichtigkeit der Mitglieds- und Ausschließlichkeitsklauseln angeht wurde die Klage abgewiesen.
Insofern bleibt die Rechtmäßigkeit weiterhin unklar. Allerdings hat sich dies wohl allein durch die Änderung der entsprechenden CISAC Mustervertrag-Klauseln sowie die Pläne für europäische Online-Lizenzen erledigt. Andererseits könnte natürlich weiterhin eine Fortsetzung eines möglicherweise wettbewerbswidriges Verhaltens vorliegen. Diesbezüglich ist aber, wie auch gerade die Beweisschwierigkeiten der EU-Kommission zeigen, weiter von der Unschuldsvermutung auszugehen.
Pressemitteilung des EuG.
Das Urteil im Volltext.
Die Entscheidung der EU-Kommission.
Eine Auswertung des Urteils der CISAC.
Bericht bei Musikmarkt.