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Meinungsfreiheit und DSGVO: Bundesregierung hat keine Ausnahmen gemeldet

Wer personenbezogene Daten in der EU verarbeitet, fällt unter die DSGVO. Das gilt zunächst auch für die Presse, Kunst und andere Formen der Meinungsäußerung. In der Praxis ist das ein Problem, weil es zu einer Reihe von unklaren Rechtsfragen führt: Müssen Straßenfotografen nun ein berechtigtes Interesse für jede abgebildete Person nachweisen? Müssen Journalisten alle Personen informieren, über die sie verdeckte Recherchen betreiben? Klarheit könnte zumindest teilweise auch der deutsche Gesetzgeber schaffen – aber dafür fehlt bislang ein wichtiger Schritt.

Die Öffnungsklauseln nach Art. 85 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO

Dass zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit ein Spannungsverhältnis bestehen kann, hat auch die DSGVO erkannt und in Art. 85 Abs. 1 und 2 DSGVO die Mitgliedsstaaten aufgerufen, hier Klarheit zu schaffen. Dazu gibt die DSGVO den Mitgliedsstaaten ausdrücklich das Recht, von der DSGVO abzuweichen um diese mit den Kommunikationsgrundrechten in Einklang zu bringen.

Artikel 85 DSGVO – Verarbeitung und Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

(1) Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang.

(2) Für die Verarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.

(3) Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission die Rechtsvorschriften, die er aufgrund von Absatz 2 erlassen hat, sowie unverzüglich alle späteren Änderungsgesetze oder Änderungen dieser Vorschriften mit.

(Herv.n.h.)

Nur welche Gesetze sind das, die nach Art. 85 von der DSGVO abweichen? Gilt beispielsweise noch das Kunsturhebergesetz zu Gunsten von Fotografen? Selbst unter den Aufsichtsbehörden ist das umstritten. Teilweise wird sogar vertreten, das auch Art. 5 GG oder gar gleich die gesamte Rechtsprechung unter die Öffnungsklauseln fallen können.

Die Meldepflicht nach Art. 85 Abs. 3 DSGVO

Um solche Unsicherheiten zu vermeiden, hat die DSGVO eigentlich eine Regelung vorgesehen. Nach Art. 85 Abs. 3 DSGVO müssen die Mitgliedsstaaten alle Rechtsvorschriften an die Europäische Kommission melden, die nach Art. 85 von der DSGVO abweichen sollen. Das gilt mindestens für Gesetze nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO. Aber natürlich hält auch niemand das zuständige Ministerium davon ab, auch bezüglich auf Art. 85 Abs. 1 eine solche Meldung vorzunehmen. In der Praxis lassen sich die beiden Bereiche ohnehin kaum trennen.

Dieser formale Akt würde dann auch darüber Klarheit schaffen, welche der deutschen Gesetze der Gesetzgeber ausdrücklich als „Nutzung” der Öffnungsklausel ansieht. Denn die Konsequenz einer solchen Meldung wäre: Sie würde dokumentieren, dass die Bundesregierung der Auffassung ist, dass die gemeldeten deutschen Gesetze Vorrang gegenüber der DSGVO haben. Für all diejenigen, die ihre Kommunikationsgrundrechte im Anwendungsbereich der DSGVO gebrauchen und im Moment von dieser eingeschüchtert werden, wären solche Gesetze eine starke Erleichterung.

Was hat Deutschland gemeldet?

Wir haben deshalb nachgefragt, welche Gesetze die Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission nach Art. 85 Abs. 3 DSGVO gemeldet hat. Zunächst haben wir uns an Europe Direct gewendet, den üblicherweise recht flotten Informationsdienst der Europäischen Union. Diesem waren keine gemeldeten Gesetze bekannt und er verwies uns an die Bundesdatenschutzbeauftragte. Diese wiederum konnte uns erstaunlicherweise ebenfalls keine Auskunft erteilen und verwies uns ans zuständige Bundesinnenministerium. Von diesem erhielten wird nun schließlich Antwort:

„Bisher gibt es noch keine Meldung gemäß Art. 85 Abs. 3 DSGVO an die Europäische Kommission. Dies erklärt sich auch daraus, dass aktuell noch die Begleitung der Umsetzung auf die DSGVO im Vordergrund steht.”

Man rechne damit, dass eine Meldung im dritten Quartal 2018 erfolgt. In Anbetracht der Bedeutung, die die Ausnahmevorschriften für die Meinungs-, Informations-, Presse- und Kunstfreiheit haben, ist das schon erstaunlich. Man hätte meinen mögen, dass über so eine zentrale Abgrenzungsfrage schon längst Klarheit herrschte.

Weitere Hintergründe zur DSGVO und Kommunikations-Grundrechten.

, Telemedicus v. 11.06.2018, https://tlmd.in/a/3293

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