Kaum ein Markt im deutschen Wirtschaftsraum ist so stark reguliert wie der Medienmarkt. Warum eigentlich?
Die herkömmliche Erklärungsweise, die in dieser Arbeit maßgeblich überprüft werden soll, ist normativ: Ein unregulierter Medienmarkt dient der Demokratie nicht ausreichend genug, deswegen muss der freie Meinungsaustausch gefördert und, wo nötig, vor Verzerrungen geschützt werden. An dieser normativen Wertung knüpfen nun die Wirtschaftswissenschaften an.
Güter, deren Umlauf aus nicht-wirtschaftlichen Gründen gesteigert werden soll, heißen hier „meritorische Güter”.
Medienprodukte werden häufig als meritorische Güter bezeichnet. Meritorische Güter sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in zu geringem Maße nachgefragt werden, wenn man als Maßstab einen gesellschaftlich wünschenswerten Versorgungsgrad heranzieht, der von staatlichen Entscheidungsträgern festgelegt wird.[1] Daraus wird geschlossen, dass die von den Nachfragern geäußerten Präferenzen durch Subventionierung oder Konsumzwang korrigiert werden müssen. Dies spiegelt sich z. B. in einer niedrigen Umsatzsteuer auf Printprodukte oder einer Buchpreisbindung wider, die u. a. mit einer wünschenswerten Meinungs- und Informationsvielfalt begründet werden.
Bei meritorischen Gütern wird befürchtet, dass ein vollkommen marktwirtschaftlich geregelter Wettbewerb zu einer adversen Selektion führen könnte. Das bedeutet im Falle der Medien, dass die Rezipienten aufgrund asymmetrischer Information nicht in der Lage sind, die Qualität von Medienprodukten zu beurteilen und somit nur bereit sind, einen durchschnittlichen Preis für diese Produkte zu zahlen. Anbieter qualitativ hochwertiger Produkte, die für ihre Leistung auch einen überdurchschnittlichen Preis erzielen wollen, werden bei dieser Zahlungsbereitschaft aus dem Markt gedrängt. Statt dessen überleben Anbieter minderwertiger Produkte, die mit dem durchschnittlichen Preis Gewinne erzielen.[2]
[1] M. Fritsch/T. Wein/H.-J. Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, Mu?nchen 1993, S. 251.
[2] Vgl. Akelof, The Market for Lemons: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics, Nr. 84., Issue 3, 1970, S. 488?500.
Quelle: Bernd Wirtz, Medien- und Internetmanagement, 6. Auflage 2008, S. 31.
Später geht Wirtz noch kritisch auf die Frage ein, ob Medienangebote tatsächlich meritorische Produkte sind oder nicht. Tatsächlich kann das, wie Wirtz auch selbst schreibt, für einige Medienangebote verneint werden (z.B. gewalttätige Filme im Kinderfernsehen). Im Allgemeinen dürfte die Einordnung von Medien als „meritorische Produkte” jedoch zutreffend sein.
Der Theorie von der adversen Selektion, die im zweiten Abschnitt zitiert wird, kann ich ohne weiteres nicht folgen. Der Grund, warum Kunden bei Medien häufig zu (aus normativer Sicht) „minderwertigen” Angeboten greifen, hat nichts mit Informations-Asymetrie zu tun. RTL2 ist für viele Rezipienten einfach der interessantere, auf ihre Bedürfnisse eher abgestimmte Fernsehsender.
Ohne mich genauer mit dem Hintergrund zu meritorischen Produkten beschäftigt zu haben, scheint mir die Ursache des Irrtums in einem „Clash of Cultures” zu liegen: Wirtz geht offenbar, genau wie auch die Autoren des Wikipedia-Artikels zu meritorischen Gütern, davon aus, unser Gesetzgeber handele ausschließlich (volks-)wirtschaftlich motiviert. Subventionen und sonstige Förderungen bestimmter Güter dienen jedoch in den seltensten Fällen dazu, den Markt zu „reparieren” – viel häufiger wird es dem Staat darum gehen, seiner Ordnungsfunktion nachzukommen oder bestimmte, politisch motivierte Ziele zu erreichen. So auch hier: Medien sind deswegen meritorische Produkte, weil unser Staat als Demokratie auf mündige Bürger angewiesen ist. Die deutsche Regierung kann nur so gut sein wie es die Wahlentscheidung der deutschen Bürger gewesen ist: Je schlechter die Wahlentscheidung, desto schlechter die Besetzung des Bundestags, desto schlechter die Besetzung der Bundesregierung.
Der Staat verfolgt also in keiner Weise das Ziel, den Markt möglichst ungestört walten zu lassen und nur eine Informations-Asymetrie auszugleichen. Seine Motivation ist schlichter Eigennutz, kombiniert mit dem Werteprogramm des Art. 5 GG.
Hinzu kommen freilich einige Effekte, die sich weder normativ noch ökonomisch erklären lassen: Wenn die CDU und die FDP ein Leistungsschutzrecht für Verlage einführen, dann handeln sie hier rein politisch, bzw. opportunistisch motiviert. Auch solche Entwicklungen können der Einordnung eines Produkts als „meritorisch” zugrunde liegen.