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LG München: „Tannöd“ ist urheberrechtlich unbedenklich

Am 21. Mai hat das LG München I den Streit um den Krimi-Bestseller „Tannöd“ entschieden: Die Autorin Andrea Maria Schenkel wurde vom Plagiatsvorwurf freigesprochen, die Klage des Journalisten Peter Leuschner abgewiesen. Dieser hatte der Schriftstellerin vorgeworfen, sie habe für den Roman Szenen und Handlungselemente aus seinen Sachbüchern übernommen. In diesen wurden seine Recherchen zu einem historischen Mordfall auf einem bayerischen Einödhof im Jahr 1922 dargestellt. Der bis heute ungeklärte Sechsfachmord ist auch Gegenstand des Kriminalromans.
Kein Urheberrecht an historischen Fakten

Das Gericht hatte nun zu entscheiden, ob in „Tannöd“ wirklich Teile aus Leuschners Büchern übernommen worden sind. Eine Verletzung des Urheberrechts kann aber nur dann vorliegen, wenn diese Passagen zugleich urheberrechtlich geschützt sind: Dann verbietet das Bearbeitungsrecht aus § 23 UrhG, sie in einem anderen Werk zu verwenden. Sowohl Leuschner als auch Schenkel legen ihren Büchern den überlieferten Mordfall von Hinterkaifeck zugrunde. Für historische Fakten sieht das Urheberrecht aber keinen Schutz vor: Sie basieren nicht auf einer kreativen Leistung des Urhebers, sondern sind von der Geschichte vorgegeben und gehören damit zum Gemeingut. Szenen aus Leuschners Büchern sind deshalb nur dann urheberrechtlich geschützt, sofern er sie um fiktive Elemente ergänzt hat. Nach Ansicht des Gerichts reicht dafür ein bloßes Ausschmücken historischer Fakten nicht aus. Diese Tatsachen konnte die Beklagte auch aus öffentlich zugänglichen Dokumenten entnommen haben.

„Tannöd“ ist kein Plagiat

Werden tatsächlich geschützte Elemente übernommen, schränkt § 24 UrhG das Bearbeitungsrecht (§ 23 UrhG) zugunsten der Fälle der „freien Benutzung“ ein. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine solche dann vor, wenn das alte Werk hinter dem neuen „verblasst“, also nur als Anregung für eine neue schöpferische Leistung verwendet wurde. Im vorliegenden Fall stellte das Gericht fest, die entlehnten Elemente seien für den Roman insgesamt nicht so bestimmend gewesen, dass sie einzelne Szenen oder gar das ganze Buch prägten. Sie träten dort vielmehr in den Hintergrund, „Tannöd“ sei vor allem durch seinen Stil, Aufbau und die Erzählweise individuell geprägt:

Der Roman „Tannöd“ ist nach allem gegenüber dem Buch des Klägers trotz der bestehenden Parallelen wegen seines in Stil, Aufbau und sprachlicher Gestaltung eigenschöpferischen Gehalts ohne weiteres als selbstständig und urheberrechtlich unbedenklich anzusehen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bereits im Februar hatte das Gericht im Anschluss an die Verhandlung seine Argumente verlautbaren lassen. Schon damals wurden die Konsequenzen vom Kulturbetrieb positiv aufgenommen: Die künstlerische Auseinandersetzung mit bereits bearbeiteten Stoffen müsse erlaubt sein. In der Wochenzeitung DIE ZEIT war z.B. zu lesen:

Was wäre Defoes „Robinson Crusoe“ ohne den Bericht Richard Steeles über die Abenteuer Alexander Selkirks, was wäre Brechts „Dreigroschenoper“ ohne John Gays „Beggars Opera“ oder Heiner Müllers „Germania 3“ ohne Hölderlins, Goethes, Kafkas und Brechts Texte? Durchweg Plagiate. (…) Ein Urteil gegen Tannöd hätte jeden einigermaßen gestalteten Text wie in Kunstharz gegossen, durch Urheberrecht geschützt. Jeder Text mit Materialien aus einem anderen Text könnte vom Kadi kassiert werden.

Zur Pressemitteilung des LG München.

, Telemedicus v. 23.05.2008, https://tlmd.in/a/812

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