„So long, it was so long ago… But I’ve still got the Blues for you.“ Und auf diese Liedzeilen folgt in unserer Vorstellung das berühmte Gitarren-Solo von Gary Moore (hier bei last.fm zu hören). Das LG München I hat am 3. November entschieden, dass genau dieses Solo ein Plagiat ist (Az. 21 O 23120/00). Eigentlicher Urheber ist der deutsche Musiker Jürgen Winter von der Band Jud’s Gallery. Dieser machte vor Gericht geltend, er habe das Stück (mit dem Titel „Nordrach“) bereits 1974 komponiert. Gary Moore hat seinen Hit erst im Jahr 1990 veröffentlicht.
Das Gericht stellte eine „frappierende“ Übereinstimmung beider Stücke fest. Eine Übernahme der Melodie durch das jüngere Werk liegt also nahe. Gary Moore behauptet jedoch, „Nordrach“ nicht gekannt zu haben. Der Song wurde auch nie auf Tonträgern veröffentlicht, sondern nur auf Konzerten und jedenfalls einmal im Radio gespielt. Damit kommt zumindest theoretisch eine sog. zufällige Doppelschöpfung in Frage: Es ist nicht vollkommen undenkbar, dass zwei nahezu identische Werke unabhängig voneinander entstehen. Im vorliegenden Fall hält das Max Fellmann in der Süddeutschen Zeitung sogar für absolut naheliegend. Er analysiert die hier streitige Kadenz als „Klassiker“ in der Musikgeschichte, die in vielen Stücken immer wieder auftaucht:
„[Sie] findet sich, in allen möglichen Transpositionen und Variationen, quer durch die Musikgeschichte, in der Kirchenmusik, bei Bach, bei Schubert, im Jazz, in der jüngeren Popmusik. Und die Gitarrenmelodie, die in den beiden gerichtlich verglichenen Fällen darüber liegt, orientiert sich absolut simpel an Leittönen der Akkorde; für so etwas gibt es in der Harmonielehre Regeln, zum Beispiel im klassischen Chorsatz. (…) Wenn Gary Moore geklaut hat, dann bei ungefähr dreihundert Urhebern gleichzeitig.“
Melodie als „musikalisches Allgemeingut“?
Mit dieser Betrachtungsweise kommt Fellmann zu dem Schluss, dass die Melodie überhaupt nicht urheberrechtlich geschützt ist. Weil sie sich fast zwingend zu einer bestimmten Akkordfolge anbiete, handele es sich eigentlich um „Allgemeingut“. Einer solchen Argumentation sind die Gerichte bisher nicht gefolgt. Sie begegnen ähnlichen Melodien stets mit Mißtrauen – Doppelschöpfungen gelten als sehr unwahrscheinlich. Entsprechend liest man in einer BGH-Entscheidung zum Meldodienschutz:
„Für die Beurteilung der Frage, ob die im Einzelfall vorhandenen Übereinstimmungen zwischen zwei Werken auf Zufall oder darauf beruhen, daß das ältere Werk dem Urheber des neuen Werkes als Vorbild gedient hat, ist davon auszugehen, daß angesichts der Vielfalt der individuellen Schaffensmöglichkeiten auf künstlerischem Gebiet eine weitgehende Übereinstimmung von Werken, die auf selbständigem Schaffen beruhen, nach menschlicher Erfahrung nahezu ausgeschlossen erscheint (…).“
Zur Gedächtnisleistung von Musikern
Damit spricht ein erster Anscheinsbeweis dafür, dass die ältere Tonfolge zumindest unbewusst übernommen wurde. Und nach Ansicht des Gerichts ist diese erste Vermutung nicht entkräftet worden – im Gegenteil: Gary Moore lebte in den 70er Jahren in Bonn und konnte die Melodie also durchaus gehört haben. Ein Sachverständiger bestätigte den Richtern, dass ein Musiker ein Stück auch über 16 Jahre im Gedächtnis behalten kann. Für eine Urheberrechtsverletzung ist eine bewusste Übernahme auch nicht erfordlich; damit liegt nach Ansicht des Gerichts hier ein Eingriff in die Urheberrechte des Klägers vor. In Betracht kommen insbesondere das Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Aufführungsrecht (§§ 16, 17, 19 UrhG). Prinzipiell können Übernahmen von Tonsequenzen im Rahmen der freien Benutzung nach §§ 23, 24 UrhG erlaubt sein. Für Melodien gilt jedoch eine Einschränkung (§ 24 Abs. 2 UrhG); außerdem fehlt bei der starken Ähnlichkeit beider Werke der nötige „innere Abstand“.
Der BGH hat zwar erst vor wenigen Wochen in seiner „Sampling“-Entscheidung klargestellt, dass auch kleinste Tonfetzen Urheberrechtsschutz genießen können. Allerdings ist das Urteil für den vorliegenden Fall zunächst nicht einschlägig, weil es dort um das Recht des Tonträgerherstellers (§§ 85, 85 UrhG) ging. Winter hatte „Nordrach“ jedoch nie als Platte veröffentlicht. Das Gericht hat ihm einen Anspruch auf Auskunft (§ 101 UrhG) und Schadensersatz (§ 97 UrhG) gegen Gary Moore und dessen Plattenfirma zugsprochen. Anspruch auf Unterlassung habe der Kläger jedoch nicht. Winter hatte nämlich bei der GEMA beantragt, als Mitkomponist aufgeführt und an der Auswertung des Songs beteiligt zu werden. Ein Interesse daran, die Aufführung und Verbreitung des Werkes zu verhindern, habe er also gerade nicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.