Dass sich der Verein Wikimedia Deutschland e.V. vor allem der Förderung der Wikipedia verschrieben hat, deutet schon der Name an. Dennoch hat er keinen Einfluss auf die Inhalte der Wikipedia und kann auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden. So sieht es jedenfalls das LG Hamburg in einem Urteil von Ende März.
Der Fall
Geklagt hatte ein ehemaliger Politiker, der sich durch einen Wikipedia-Artikel in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Dabei ging es sowohl um den Artikel an sich, als auch um einige konkrete Äußerungen, die nur noch über die Versionshistorie und die Diskussionsseite des Artikels abrufbar waren.
Der Politiker klagte jedenfalls u.a. gegen den Verein Wikimedia Deutschland. Dieser sei lediglich die deutsche Sektion der amerikanischen Wikimedia Foundation und deshalb gemeinsam mit dieser Betreiber der Wikipedia. Außerdem würden Administratoren der Wikipedia auf Fortbildungsveranstaltungen von Wikimedia Deutschland „rekrutiert” und seien dem Verein deshalb zuzurechnen. Hinzu käme, dass Wikimedia Deutschland mit der Suchmaschine auf wikipedia.de deutschen Benutzern der Zugang zur Wikipedia ermögliche.
Die Entscheidung
Das LG Hamburg entschied zu Gunsten von Wikimedia Deutschland. Zunächst stellte das Gericht fest, dass der deutsche Verein nicht als Betreiber der Wikipedia anzusehen sei:
„[Wikimedia Deutschland] ist nicht Betreiber des unter der Domain wikipedia.org abrufbaren Internet-Lexikons, auch nicht der deutschen Fassung. Die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte ergeben nicht, dass [Wikimedia Deutschland] neben der [Wikimedia Foundation] Betreiber der Plattform wikipedia.org wäre. Das Impressum des Internet-Lexikons ergibt eine Angabe dahin gehend, dass [Wikimedia Deutschland] Betreiber der Plattform wäre, nicht. Auch der Vereinszweck ergibt dies nicht. Die Vereinszwecke […], die Verbreitung freien Wissens zu fördern, können auf vielfältige Weise verfolgt werden, ohne dass dazu erforderlich wäre, die Plattform wikipedia.org neben der Beklagten zu 2. zu betreiben.”
Und auch das Handeln der Administratoren sei Wikimedia Deutschland nicht zuzurechnen. Selbst wenn diese bei Veranstaltungen der Wikimedia „rekrutiert“ würden, bedeute dies nicht, dass Wikimedia auch auf diese Einflussnehmen könnte.
Wikimedia Deutschland habe sich die Inhalte auf der Wikipedia auch nicht zu Eigen gemacht. Mit der Suchmaschine auf wikipedia.de erleichtere Wikimedia lediglich den Zugang zur Wikipedia. Diese technische Hilfestellung bedeute nicht, dass sich der Betreiber der Suchmaschine auch die gefundenen Inhalte zu Eigen macht.
Auch eine Störerhaftung scheide aus: Sofern es um Diskussionen oder Äußerungen in älteren Artikeln geht, die nur über die Versionshistorie abrufbar sind, sei schon kein adäquat-kausaler Tatbeitrag zu der Verbreitung gegeben. Denn wikipedia.de verlinke nur auf die aktuelle Version der Artikel. Für Inhalte, die wiederum von dort aus verlinkt sind, könne Wikimedia nicht verantwortlich gemacht werden:
„Ein adäquat-kausaler Beitrag ist dann nicht mehr anzunehmen, wenn eine lediglich mittelbare Verknüpfung von Internet-Seiten verschiedener Anbieter untereinander gegeben ist. So liegt es hier. Die Diskussionsseiten und Seiten über die Vorversionen des Lexikon-Eintrags werden von den Internet-Seiten der [Wikimedia Deutschland] aus nur mittelbar über die aktuelle Seite des Lexikon-Eintrags im Angebot der [Wikimedia Foundation] abrufbar gemacht.”
Fazit
Es war eine weise Entscheidung von Wikimedia Deutschland, mittlerweile auf eine Umleitung der Domain wikipedia.de auf de.wikipedia.org zu verzichten. Selbst dem LG Hamburg mit seinem Ruf als eines der strengsten Gerichte Deutschlands in Sachen Äußerungsrecht wurde so der Wind aus den Segeln genommen. Für Betroffene ist die Situation dadurch allerdings sehr unbefriedigend: Wer sich gegen Rechtsverletzungen in der Wikipedia wehren will, wird sich wohl oder übel an die amerikanische Wikimedia Foundation wenden müssen (mit allen Schwierigkeiten, die ein internationaler Rechtsstreit mit sich bringt), oder muss auf die Qualitätssicherungsmaßnahmen der Wikipedia zurückgreifen.
Andererseits ist natürlich auch die Position von Wikimedia Deutschland zu verstehen: Ohne unmittelbaren Zugriff auf die Server der Wikipedia, würde der Verein juristisch in einem „schwarzen Loch” versinken, wenn man ihn für die Inhalte verantwortlich machen würde. Letztendlich zeigt sich hier wieder das alte Dilemma das Internetrechts: Ein globales Netz lässt sich nur begrenzt durch einzelstaatliche Vorschriften erfassen.
Das Urteil vom 26.03.2010, Az. 325 O 321/08 im Volltext.
Urteilsbesprechung von RA Thorsten Feldmann (Prozessvertreter Wikipedia Deutschland e.V.).
Danke an Thorsten Feldmann von JBB Rechtsanwälte für die Einsendung des Urteils. Die Entscheidung ist an einigen Stellen geschwärzt, die sich jedoch nicht auf die Haftungsfragen von Wikimedia Deutschland beziehen. Wir versuchen, eine vollständige Version so bald wie möglich nachzureichen.
Update 22. April:
Seit heute liegen uns die Entscheidungsgründe vollständig vor und wir haben die geschwärzten Passagen ergänzt. Diese nehmen Bezug auf ein Versäumnis-Teilurteil gegen die Wikimedia Foundation. Mit diesem werden wir uns in den nächsten Tagen auch noch genauer befassen.