Das LG Hamburg hat Ende Juli entschieden, dass ein Webhoster ab Kenntnis auch für nicht offensichtliche Rechtsverletzungen seiner Kunden haftet. Selbst wenn der Hoster gar keinen unmittelbaren Zugriff auf die Daten seiner Kunden hat, sei er demnach verpflichtet, die Veröffentlichung zu unterbinden – etwa durch spezielle Filter oder Firewalls.
Ein ungeschwärztes Urteil als Auslöser
Auslöser für den Streit war ein ungeschwärztes Urteil, das der Betreiber einer Internetseite veröffentlicht hatte. Ein bekannter Rechtsanwalt aus München, der als Kläger namentlich genannt wurde, sah sich deshalb in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und verlangte von dem Webhoster die Löschung des Urteils.
Da die Zulässigkeit von Namensnennungen in Urteilen keine einfache Rechtsfrage ist, sah sich der Webhoster außerstande, zu beurteilen, ob tatsächlich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorlag und weigerte sich, die Löschung vorzunehmen. Seiner Ansicht nach, sei er nur bei offensichtlichen Rechtsverletzungen zur Löschung verpflichtet. Darüber hinaus habe er auch gar keinen Zugriff auf die Daten des Kunden, da diese auf einem „virtuellen Server” lägen, auf den ausschließlich der Kunde zugreifen könne.
Haftung auch bei nicht offensichtlichen Verletzungen
Das LG Hamburg entschied nun zu Gunsten des Rechtsanwaltes: Auch bei nicht offensichtlichen Rechtsverletzungen sei ein Webhoster zur Löschung rechtswidriger Inhalte verpflichtet, sobald er davon in Kenntnis gesetzt wird. Auf die Verletzung von Prüfungspflichten käme es nicht an:
„Nach Kenntnis von der beanstandeten Veröffentlichung war die Antragsgegnerin verpflichtet, auf die Löschung der Eintragung hinzuwirken, ohne dass es darauf ankäme, ob sie zuvor Prüfungs- und Überwachungspflichten verletzt hat. Da der Unterlassungsanspruch kein Verschulden voraussetzt, ist in diesem Zusammenhang ferner ohne Bedeutung, ob die Antragsgegnerin die Rechtswidrigkeit erkannt hat und ob diese offenkundig war. Allein die Tatsache, dass die Antragsgegnerin seit der Abmahnung von dem tatsächlichen Vorgang […] Kenntnis hatte und nichts zur Abhilfe unternahm, stellte ein rechtswidriges Verhalten dar, welches zu einem in die Zukunft weisenden Unterlassungsanspruch führt.”
(Hervorhebung nicht im Original)
Auch könne sich der Webhoster nicht darauf berufen, keinen Zugriff auf die Daten zu haben. Notfalls müsse er eine Sperrinfrastruktur schaffen, um den Zugriff auf solche Inhalte zu verhindern:
„Ohne größeren technischen Aufwand lässt sich durch eine Firewall oder einen Proxyserver […] der Abruf bestimmter Internet-Seiten verhindern. So lässt sich auch der Zugriff auf die Seite verhindern, die das streitgegenständliche Urteil des Amtsgerichts Kassel enthält bzw. enthielt. Hierzu wäre anhand einer einzurichtenden technischen Regel (z. B. in einer access list) der Abruf der das streitgegenständliche Urteil enthaltenden Internet-Seite zu verhindern, indem — technisch ausgedrückt — der http-request, mit dem die Seite aufgerufen wird, nicht zu dem die Seite bereit haltenden Server durchgelassen, sondern etwa mit einer Fehlermeldung beantwortet wird.”
Daneben spiele es auch keine Rolle, dass der entsprechende Kunde mittlerweile bei dem Webhoster gekündigt habe. Eine Wiederholungsgefahr entfalle dadurch noch nicht – immerhin könnte sich der Kunde jederzeit neu anmelden und die rechtswidrigen Daten wieder online stellen.
Der Webhoster als Hilfs-Sheriff
Das LG Hamburg nimmt den Webhostern mit dieser Entscheidung selbst bei schwierigen Rechtsfragen jeglichen Handlungsspielraum. Gerade bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann es auf viele Details ankommen: Handelt es sich um Meinungen oder Tatsachen? In welchem Kontext wurde was genau geäußert? Wiegt im Einzelfall die Meinungsfreiheit oder das Persönlichkeitsrecht schwerer?
Nach dieser Entscheidung aus Hamburg sind Webhoster verpflichtet, all diese Fragen abschließend und zweifelsfrei zu beantworten, bevor sie sich weigern können, kritische Äußerungen von ihren Servern zu entfernen. Kein Webhoster wird sich darauf einlassen. Will er eine eigene Haftung für Inhalte seiner Kunden vermeiden, bleibt ihm im täglichen Betrieb eigentlich nur eine Möglichkeit: Im Zweifel contra Meinungsfreiheit.
Was für Auswirkungen das haben kann, haben wir vor wenigen Monaten gesehen, als eine Satire-Webseite durch das Bundesverwaltungsamt geschlossen wurde: Ein kurzer Hinweis an den Webhoster hatte genügt und die Seite verschwand aus dem Netz. Denn der Hoster wollte nicht das Risiko eingehen, selbst für die Inhalte zu haften. Ob die Seite zulässig war oder nicht, wird nun nie abschließend geklärt werden können und das Bundesverwaltungsamt hat die direkte Konfrontation mehr oder weniger elegant umgangen.
Das LG Hamburg lädt nun praktisch zu genau diesem Vorgehen ein: Anstatt mühselig ein gerichtliches Verfahren gegen den Verursacher der vermeintlichen Rechtsverletzung zu suchen, genügt ein Hinweis an den Hoster. Der wird sich der Löschung nur dann verweigern, wenn er sich absolut sicher sein kann, dass die Forderung unberechtigt ist. Und wann ist das schon der Fall? Zumal der Hoster selbst Nachforschungen anstellen müsste und nach Argumentation des LG Hamburg auch noch faktisch die Beweislast trägt.
Im Zweifelsfall die Infrastruktur schaffen
Und damit noch nicht genug: Der Hoster soll nach Ansicht der Hamburger Richter auch noch auf eigene Kosten die Infrastruktur dafür schaffen, auch solche Inhalte zu sperren, auf die er gar keinen Zugriff hat. Mit „Einrichtungen”, „Proxyservern”, „Firewalls” und „access-lists” solle der „der http-request” abgefangen und mit einer Fehlermeldung beantwortet werden. Als Techniker würde man sagen: „Gefrickel”. Die Parallelen zu Netzsperren sind offensichtlich, auch wenn man sich hüten sollte, beide Fälle pauschal in einen Topf zu werfen.
Uns ist noch nicht bekannt, ob das Urteil bereits rechtskräftig ist. Entscheidend ist diese Frage aber nicht. Denn das Oberlandesgericht Hamburg hat bereits im November 2008 im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in dem Fall entschieden. Damals hatte das Landgericht noch eine Haftung des Providers abgelehnt, was durch das OLG prompt korrigiert wurde. Insofern hat sich das LG Hamburg in diesem Urteil nur an dem orientiert, was das OLG im Eilverfahren bereits vorgegeben hat. Da wäre es schon sehr überraschend, wenn sich das Oberlandesgericht die Sache nun im Hauptsacheverfahren nochmal anders überlegt.
Und solange die Entscheidung nicht explizit von einer höheren Instanz aufgehoben wurde, schwebt über Webhostern – dank des „fliegenden Gerichtsstandes” – stets das Damoklesschwert der Störerhaftung aus Hamburg.
Die Entscheidung des LG Hamburg im Volltext.
Nachtrag:
Wie wir inzwischen erfahren haben, hat der Webhoster gegen die Entscheidung Berufung eingelegt.
Nachtrag 26.02.2010:
Die Entscheidung wurde inzwischen vom OLG Hamburg aufgehoben.
Thorsten Feldmann zu den Hintergründen.