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LG Frankfurt zu Online-Vertriebsverbot im Volltext

Vor drei Monaten hat das LG Frankfurt am Main einem Rucksackhersteller die Verwendung zweier Klauseln untersagt, mit denen er einem Vertragshändler den Online-Vertrieb untersagen wollte (Az.: 2-03 O 158/13). Erneut beschäftigte sich damit ein Gericht mit dieser kartellrechtlich sehr umstrittenen Frage, deren Lösung entscheidende Konsequenzen für den Online-Handel haben wird. Wir haben die Entscheidung mittlerweile im Volltext vorliegen. Ich habe sie mir einmal genauer angeschaut:

Online-Vertriebsbeschränkungen – der Interessenkonflikt

Die Diskussion darüber, ob Online-Vertriebsbeschränkungen zulässig sind oder nicht, läuft bereits eine Weile. Typischerweise geht es in den Fällen um Hersteller, die ihren Vertragshändlern verbieten wollen, die Produkte über das Internet zu vertreiben. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich, ebenso wie die genauen Ausprägungen. Üblicherweise geht es den Herstellern aber zum einen um qualitative Aspekte, wie den Schutz des Markenimages. So wird immer wieder mit dem „schlechten Ruf“ von verschiedenen Plattformen argumentiert. Zum anderen aber geht es den Herstellern um finanzielle Interessen. Auf vielen Plattformen werden Produkte günstiger angeboten als im stationären Handel. Außerdem können potentielle Käufer die Preise in Suchmaschinen vergleichen. Die Hersteller müssen deshalb damit rechnen, dass sich dies auf die Nachfrage nach ihren Produkten auswirkt – mit der Folge niederigerer Preise, was sich negativ auf die Gewinnspanne auswirken kann. Deshalb versuchen einige auch, diese Vertriebswege zu unterbinden. Dies geschieht in der Regel durch entsprechende Verbots-Vereinbarungen, die sie ihren Händlern vorlegen. Darin sind besonders brisant die Weiterverkaufsverbote für Drittplattformen, wie zum Beispiel Amazon oder eBay. Für Händler stellt dies wiederum entscheidene Probleme dar. Einige bauen ihren Umsatz auf bestimmten Produkt-Segmenten auf und werden möglicherweise empfindlich getroffen, wenn eine Marke wegfällt. Ebenso gibt es einige Händler, die ausschließlich online handeln.

Aus diesem Grund kam es in der letzten Zeit bereits mehrfach zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Besonders wichtig ist die Entscheidung des EuGH zu Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS, in der dieser die grundsätzlichen Maßstäbe zur Zulässigkeit vertikaler Vertriebsbeschränkungen definierte. Das OLG München und das KG Berlin sahen die strittigen Klauseln noch als grundsätzlich zulässig an. Anders entschied aber ebenfalls diesen Juni das OLG Schleswig-Holstein, das in einem ähnlich gelagerten Fall eine Klausel untersagte, mit der der Vertrieb über Online-Handelsplattformen verboten werden sollte. Die Entscheidung des LG Frankfurt läuft mit dieser gleich, jedoch nur vermeintlich. In einigen wesentlichen Punkten weichen die beiden Urteile dennoch voneinander ab.

Zulässigkeit von vertikalen Vertriebsbeschränkungen

Vertikale Vertriebsbeschränkungen können als kartellrechtlich unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen gegen Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB verstoßen. Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Eine Erste kann sich bereits auf Tatbestandsebene ergeben, wenn es sich um ein sogenanntes selektives Vertriebssystem handelt. In diesem Fall wird die Wettbewerbsbeschränkung bereits nicht als Verstoß gegen das Kartellverbot angesehen. Die Voraussetzungen sind jedoch sehr eng. So ist erforderlich, dass der selektive Vertrieb zur „Wahrung der Qualität und zur Gewährleistung des richtigen Gebrauchs des Produkts erforderlich ist„.

Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, liegt ein Verstoß gegen das kartellrechtliche Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen vor. Dieser kann aber auf zwei unterschiedlichen Wegen gerechtfertigt sein. Zum einen gibt es aufgrund der Vertikal-GVO (PDF) die Möglichkeit der Freistellung für bestimmte vertikale Vertriebsbeschränkungen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn es sich um Kernbeschränkungen handelt. Zum anderen besteht auch die Möglichkeit einer Einzelfreistellung, wenn die mit der Vereinbarung verbundenen Effizienzvorteile die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb überwiegen.

In den bisherigen Entscheidungen ging es üblicherweise um die Frage, ob erstens ein tatbestandlich privilegiertes selektives Vertriebssystem vorliegt, und wenn nicht, ob zweitens eine Freistellung nach der Vertikal-GVO ausgeschlossen ist. Das Vorliegen eines selektiven Vertriebssystem scheiterte meistens daran, dass die Produkte zwar qualitativ hochwertig, nicht aber besonders kompliziert sind. Auf der zweiten Ebene der Gruppenfreistellung geht es hauptsächlich um die Diskussion, ob es sich um Kernbeschränkungen handeln könne. Diese Kernbeschränkungen sind Rückausnahmen zu der Ausnahme, dass besondere Fälle von vertikalen Vertriebsbeschränkungen freigestellt werden können – sozusagen eine doppelte Verneinung. In den Urteilen zu vertikalen Vertriebsbeschränkungen ging es immer wieder um die Kernbeschränkungen aus Art. 4 b) und Art. 4 c) Vertikal-GVO:

Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien Folgendes bezwecken:

[…]

b) die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe, in das oder an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer, vorbehaltlich einer etwaigen Beschränkung in Bezug auf den Ort seiner Niederlassung, Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen darf, […]

c) die Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch auf der Einzelhandelsstufe tätige Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit, Mitgliedern des Systems zu untersagen, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben;

[…]

Beim OLG Schleswig-Holstein war ebenso wie noch für das OLG München ausschlaggebend, ob es sich um eine Kernbeschränkung nach Art. 4 b) Vertikal-GVO handelt. An dieser Stelle gehen die beiden Entscheidungen jedoch auseinander. Das OLG München verlangte noch eine klar abgrenzbare Gruppe. Für das OLG Schleswig-Holstein sollte lediglich ausschlaggebend sein, dass final mögliche Kunden über den Online-Vertriebsweg nicht erreicht werden könnten.

LG Frankfurt: Kernbeschränkung nach Art. 4 c) Vertikal-GVO trotz Logoklausel

Die Kammer des Landgerichts entschied im Ergebnis ähnlich wie das OLG Schleswig-Holstein. Allerdings nahm es an, dass es sich bei dem Drittplattformverbot um eine Kernbeschränkung nach Art. 4 c) Vertikal-GVO handelt. Eine besondere Begründung hierfür liefert das Gericht interessanterweise nicht, obwohl dies bei der abweichenden Entscheidung angebracht wäre. Stattdessen setzt es sich mit einer anderen Frage auseinander, die sich immer wieder im Zusammenhang mit der Rechtfertigung von vertikalen Vertriebsbeschränkungen stellt. Diese hat ihren Ursprung in den Leitlinien der Europäischen Kommission zur Vertikal-GVO (PDF). Die dortige Ziffer 54 lädt zu Diskussionen ein:

Jedoch kann der Anbieter nach der GVO Qualitätsanforderungen an die Verwendung des Internets zum Weiterverkauf seiner Waren stellen, genauso wie er Qualitätsanforderungen an Geschäfte, den Versandhandel oder Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen im Allgemeinen stellen kann. Dies kann insbesondere für den selektiven Vertrieb von Bedeutung sein. Nach der GVO kann der Anbieter zum Beispiel von seinen Händlern verlangen, dass sie über einen oder mehrere physische Verkaufspunkte oder Ausstellungsräume verfügen, wenn sie Mitglied des Vertriebssystems werden wollen. Spätere Änderungen einer solchen Bedingung sind nach der GVO ebenfalls möglich, es sei denn, es soll durch sie bezweckt werden, den Online-Verkauf der Händler direkt oder in direkt zu beschränken. Ebenso darf ein Anbieter verlangen, dass seine Händler für den Online-Vertrieb der Vertragsprodukte nur im Einklang mit den Normen und Voraussetzungen, die zwischen dem Anbieter und seinen Händlern für deren Nutzung des Internets vereinbart wurden, Plattformen Dritter nutzen. Befindet sich die Website des Händlers zum Beispiel auf der Plattform eines Dritten, könnte der Anbieter verlangen, dass Kunden die Website des Händlers nicht über eine Website aufrufen, die den Namen oder das Logo dieser Plattform tragen.

Der letzte – von mir hervorgehobene – Satz wird auch als Logoklausel benannt. Mit ihr versuchen Hersteller teilweise, ihre Vertriebssysteme zu rechtfertigen. Zu Recht schließt sich das LG Frankfurt dem nicht an. Nach Ansicht der Kammer könne die Logoklausel nicht zu einem Verbot ohne jede weitere qualitative Differenzierung führen. Mit der Entscheidung des EuGH zu Pierre Fabre Dermo-Cosmétique SAS sei diese Auslegung als überholt anzusehen. Außerdem sei nur die Kommission durch die Leitlinien gebunden, das Gericht aber nicht. Aber selbst hiervorn unabhängig kann dieser Satz laut dem LG Frankfurt keine bindende Wirkung entfalten:

Unter Berücksichtigung des Eingangssatzes dieser Ziffer geht die Kammer vielmehr davon aus, dass die Kommission lediglich klarstellen wollte, dass der Anbieter nach der Vertikal-GVO Qualitätsanforderungen an die Verwendung des Internet zum Weiterverkauf seiner Waren stellen kann, genauso, wie er Qualitätsanforderungen an Geschäfte, den Versandhandel oder Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen im Allgemeinen stellen kann. Derartige Qualitätsanforderungen müssen aber stets gerechtfertigt sein. So könnte die Beklagte etwa Anforderungen an die Präsentation der Waren in den Händlershops stellen, ebenso, wie sie dies für den Handel im Ladengeschäft tut. Ein generelles Verbot der Darstellung unter einem fremden Logo erscheint jedoch auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kommission in Ziffer 54 der Leitlinien unzulässig. Denn das einzige grundsätzlich erkennbare Interesse eines Anbieters, die Darstellung fremder Logos zu untersagen, liegt darin, eine fehlerhafte Zuordnung der betroffenen Ware zu dem Anbieter der Plattform zu verhindern.

Mit anderen Worten: Inhaber von Marken- oder anderen Schutzrechten können natürlich ihre Rechte wahrnehmen und entsprechende Unterlassungsansprüche geltend machen – wenn sie bestehen. Ist dies der Fall, kann dies als Umstand im Rahmen der Auslegung verwendet werden. Diese Möglichkeit einer Fehlzuordnung sah das Gericht jedoch als fernliegend an.

Mittlerweile haben sich mehrere Gerichte mit verschiedenen Aspekten auseinander setzen müssen. In einigen Punkten stimmen sie scheinbar überein. Interessant wäre dennoch eine Klärung, unter welche Kernbeschränkung Online-Vertriebsverbote fallen könnten. Mit anderen Worten: Welches Nein zum Nein gilt? Die Antwort würde zwar in jedem Fall zu einem „Ja“ zur Wettbewerbsbeschränkung führen. Für die Praxis ist eine Klärung dieser Frage jedoch sehr wichtig. Schließlich geht es dür Hersteller bei den Kernbeschränkungen vor allem darum, sie zu vermeiden und die vorteilhafte Freistellung genießen zu können. Für Hersteller ebenso wie aber auch für Händler ist es deshalb sinnvoll, dass die Tatbestände der Kernbeschränkungen höchstrichterlich geklärt werden.

Ende Juli hat übrigens ebenso das Landgericht Frankfurt am Main in einem weiteren vergleichbaren Fall entschieden (Az.: 2-03 O 128/13). Wie der Bundesverband Onlinehandel berichtet, hat das Gericht einem Parfum-Hersteller ebenso ein selektives Vertriebssystem mit einem Plattformverbot untersagt. Sobald das Urteil im Volltext vorliegt, werde ich mir die Entscheidungsgründe anschauen und hier besprechen.

Das Urteil des LG Frankfurt a.M. im Volltext in der Telemedicus-Datenbank.
Auflistung der relevanten Entscheidungen zu vertikalen Vertriebsbeschränkungen.
Besprechung des Urteils des OLG Schleswig-Holstein.

Update 25.03.2015: Mittlerweile wurde uns bekannt, dass gegen diese Entscheidung ebenso Berufung eingelegt wurde. Das Verfahren wird von dem OLG Frankfurt unter dem Aktenzeichen 11 U 84/14 (Kart) geführt.

  • Dr. Sebastian Louven

    Sebastian Louven ist Rechtsanwalt mit Beratungsschwerpunkten im Telekommunikationsrecht und Kartellrecht.

, Telemedicus v. 25.09.2014, https://tlmd.in/a/2840

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