Am 19.02.2016 hat das Landgericht Berlin die Klage gegen Google wegen des umstrittenen Leistungsschutzrechts für Presseverleger abgewiesen (Az.:92 O 5/14 kart). Die schriftlichen Urteilsgründe liegen seit kurzem bei uns veröffentlicht vor. Im Ergebnis wird ein tatbestandlicher Marktmachtmissbrauch abgelehnt. Dogmatisch teilweise etwas holprig werden folgende Fragen zum Thema „Kartellrecht und Internet-Plattformen” behandelt:
Hier eine Analyse der Entscheidung:
Seit fast drei Jahren gibt es jetzt das umstrittene Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Fritz Pieper hatte letztes Jahr bereits einmal sehr treffend zusammen gefasst: „no state of play”.
Die Ausgangslage ist verkürzt folgende: Verlage stellen Inhalte online zum Lesen zur Verfügung. Es gibt viele Verlage und viele sehr verschiedene Inhalte. Internetnutzer können auf diese Inhalte grundsätzlich ohne weiteres zugreifen und für sie interessante Inhalte lesen. Es gibt sehr viele Nutzer und noch viel mehr ausgeprägte Interessen. Wie also finden Nutzer die sie interessierenden Inhalte und Verlage interessierte Nutzer? Hier kommen Suchmaschinen ins Spiel, die bekannteste hierzulande ist wohl Google. Die Suchergebnisse bei Google können als sogenannte Snippets dargestellt werden, einem kurzen Textauszug aus dem Inhalt. Viele Verlage wollten an dem wirtschaftlichen Erfolg von Google beteiligt werden und sahen eine Lösung in einem von ihnen gewünschten Leistungsschutzrecht. In der Folge wurde schließlich das Urheberrechtsgesetz geändert und unter anderem folgender § 87f UrhG aufgenommen:
(1) Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das Presseerzeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens als Hersteller.
Hervorhebungen nicht im Original
Diese Norm ermöglicht es den Verlagen also, die Nutzung ihrer Inhalte unter bestimmten Voraussetzungen zu verbieten. Einen unmittelbaren gesetzlichen Vergütungsanspruch regelt sie nicht. Google verlangte daraufhin, dass die Verlage ihre Einwilligung zur kostenlosen Nutzung der Snippets erteilen.
Das Bundeskartellamt sah in diesem Vorgehen keinen Anlass zum Tätigwerden (PDF). Daneben führte das Deutsche Patent- und Markenamt ein Schiedsstellenverfahren über die Anwendbarkeit und Angemessenheit eines entsprechenden Tarifes der VG Media durch.
In der Klage vor dem LG Berlin ging es erneut um die kartellrechtlichen Aspekte hinter der Ankündigung Googles, die Verlagsinhalte nicht mehr zu listen, wenn die Verleger keine Einwilligung in die kostenlose Nutzung erteilen. Nach Ansicht der Verleger missbrauche Google seine Marktmacht auf dem neuen Markt für Gestattungen der Nutzung von durch das Leistungsschutzrecht geschützten Inhalten. Deshalb machten sie hier einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch gemäß § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 5 GWB geltend. Google sei im Verhältnis zu den Klägerinnen auf dem Markt für die Gestattung der Nutzung von Presseerzeugnissen tätig.
Der Grundtatbestand des § 19 Abs. 1 GWB wie auch die Regelbeispiele in § 19 Abs. 2 GWB setzen voraus, dass ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzt. Eine marktbeherrschende Stellung liegt nach § 18 Abs. 1 GWB vor, wenn ein Unternehmen als „Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt” ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine überragende Marktstellung im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern innehat. Entscheidende Voraussetzung ist eine marktbeherrschende Stellung auf dem – und nicht irgendeinem anderen – Markt.
Mehrseitige Marktbeziehungen – Wer mit wem?
Die Marktbeziehungen bei Plattformen werden kartellrechtlich häufig unter dem Stichpunkt der sogenannten „mehrseitigen Märkte” diskutiert. Mehrseitig deshalb, weil die Unternehmen gegenüber verschiedenen Nutzergruppen auftreten, wie folgende vereinfachte Grafik für den Fall vor dem LG Berlin darstellt:
Der Suchmaschinen-Betreiber tritt in diesem Beispiel gegenüber drei Gruppen auf. Erstens gibt es die Gruppe der Internetnutzer, die auf einer Suchmaschine Begriffe eingeben und Ergebnisse angezeigt bekommen (S-N). Zweitens gibt es die Gruppe der Inhalteanbieter oder hier Verlage, deren Inhalte die Suchmaschine erfasst, nach Suchbegriffen indiziert und den Internetnutzern bei passenden Suchbegriffen anzeigt (S-V). Drittens taucht die Gruppe der Werbeunternehmen auf, die auf der Seite des Seitenbetreibers Werbung schalten können (S-W). Daneben können je nach Geschäftsmodell weitere Gruppen hinzukommen.
Die Entgeltfrage bei Suchmaschinen war bislang recht einfach: Die Internetnutzer bezahlen nichts für die Nutzung, dagegen müssen Werbeunternehmen etwas für die Aufnahme ihrer Inhalte bezahlen. Für die gelisteten Verlagsinhalte floss bislang kein Geld, was mit dem Leistungsschutzrecht in seiner ursprünglich geplanten Form wohl anders beabsichtigt war. In dem Rechtsstreit vor dem LG Berlin ging es nun um die mittelbare Frage, ob aus dem übrig gebliebenen Verbotsrecht für verlegerische Leistungen eine Suchmaschinen-Listung gegen Entgelt beansprucht werden kann.
Sachlich relevanter Markt für Suchmaschinen – mit dem Internet vertraut?
Die Frage der Unentgeltlichkeit für die Suchmaschinen-Nutzer spielt nach Ansicht des LG Berlin keine Rolle bei der Bestimmung des Marktgeschehens. Google unterhalte zu den jeweiligen Gruppen sternförmig aufgebaute Beziehungen, die von den jeweiligen wirtschaftlichen Interessen geprägt seien. Jeder profitiere angemessen aus der Zusammenarbeit. Daraus ergebe sich eine Win-Win-Situation mit erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen für alle Beteiligten.
Im Ergebnis kam es für das LG Berlin nicht auf wettbewerbliche Einzelfragen wie Marktabgrenzung oder Marktmacht an, da Google selbst eine unterstellte Marktmacht jedenfalls nicht missbraucht habe. Eine eindeutige Aussage zur Marktmachtstellung von Google auf dem relevanten Markt trifft das Gericht nicht. Es scheint vielmehr eine einheitliche Marktabgrenzung vorzunehmen. Der sachliche relevante Markt sei derjenige für „Internetsuchmaschinen”. Außerdem sei „allen, die mit dem Internet vertraut sind, […] bekannt, dass die von der Beklagten unter der Bezeichnung Google betriebene Internetsuchmaschine einen hohen Marktanteil hat”. Wer mit dem Internet vertraut ist, wird nicht geklärt. Mit anderen Worten ließe sich das wahrscheinlich auch so formulieren: Jeder Internetnutzer weiß nach Einschätzung der Kammer, dass Google ein wirtschaftlich starkes Unternehmen ist und kennt deshalb seine marktbeherrschende Stellung. Mit dieser nebulösen und eher schlichten Begründung wäre die Marktabgrenzung für Google wohl erledigt.
Ich halte das Urteil des LG Berlin an dieser Stelle für unbrauchbar, ebenso wie den unangebrachten Verweis auf die Vermutungsregelung des § 18 Abs. 4 GWB. Denn der oben bereits zitierte § 18 Abs. 1 GWB setzt eine marktbeherrschende Stellung auf „dem” sachlich relevanten Markt voraus. Ein sachlich relevanter Markt besteht, wenn die betroffenen Waren und Leistungen von der Marktgegenseite hinsichtlich ihrer Eigenschaften und ihres vorgesehenen Verwendungszweckes als substituierbar angesehen werden. Hier gibt es aber erstens völlig unterschiedliche Marktgegenseiten (Werbeunternehmen, Suchmaschinen-Nutzer und Verlage) und zweitens völlig unterschiedliche Angebote bzw. Nachfragen. Zur besseren Veranschaulichung: Ich in meiner Rolle als – halbwegs mit dem Internet vertrauter – Nutzer einer Suchmaschine frage ausschließlich Suchmaschinen-Leistungen nach, ich möchte keine Werbefläche bei Google buchen oder Snippets erlauben. Die „magische Zahl 95 %” sagt aber nur etwas über das Marktgeschehen zwischen Google und den Nutzern aus. Ob die Leistungen hier unentgeltlich erbracht werden, spielt keine Rolle für diesen Rechtsstreit. Denn bei der gebotenen Marktabgrenzung bezogen auf die jeweilige Marktseite kommt es nur noch auf den zwischen Google und den Verlegern bestehenden Markt für „Snippet-Gestattungen” an. Auf dem sachlich relevanten Markt für das Angebot von Suchmaschinen an Internetnutzer mag Google vielleicht marktbeherrschend sein. Über die Marktanteile im Verhältnis zu Verlagen ergeben sich daraus keine an sich verwertbaren Aussagen. Hier hätte das Gericht sich eindeutiger zwischen einheitlicher Marktabgrenzung und getrennter Betrachtung der Marktseiten festlegen können.
Die Frage nach der Marktmacht von Google konnte bei dieser Entscheidung offen bleiben. Marktmacht alleine reicht nicht aus, ein Unternehmen muss sie missbräuchlich ausnutzen. Das ist nach der LG-Entscheidung nachvollziehbar nicht der Fall. Im Raum standen von den Regelbeispielen des § 19 Abs. 2 GWB der Diskriminierungsmissbrauch (Nr. 1 Fall 2), der Ausbeutungsmissbrauch (Nr. 2) und das Anzapfverbot (Nr. 5). Hier der Gesetzestext zu den jeweiligen Regelbeispielen mit redaktionellen Kürzungen:
(2) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen
1. ein anderes Unternehmen […] oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen;
2. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen;
[…]
5. seine Marktstellung dazu ausnutzt, andere Unternehmen dazu aufzufordern oder zu veranlassen, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren.
Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung oder Absicherung gegen Rechtsverstöße?
Nach Ansicht des LG Berlin liegt in der geforderten Gratis-Einwilligung keine diskriminierende Maßnahme im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 GWB. Diese setzt voraus, dass gleichartige Unternehmen von dem marktbeherrschenden Unternehmen ohne sachliche Rechtfertigung anders behandelt werden. Google hatte sich hier an die klagenden Verlage gewandt, die ihre Rechte aus § 87f UrhG auf eine Verwertungsgesellschaft übertragen hatten. Andere Verlage waren bislang nicht so vorgegangen. Das könnte bereits für eine Ungleichbehandlung sprechen – diese Frage hat das Gericht aber offen gelassen, da Googles Verhalten jedenfalls sachlich gerechtfertigt sei. Denn die klagenden Unternehmen hatten stets deutlich gemacht, dass sie die ihnen aus dem Leistungsschutzrecht vermeintlich zustehenden Vergütungsansprüche einfordern würden. Andere Verlage hatten sich dazu nicht positioniert oder sogar bereits angekündigt, das Leistungsschutzrecht nicht geltend machen zu wollen. Google musste ihnen gegenüber also nicht zwingend tätig werden.
Stattdessen ging es lediglich um die Absicherung des bisherigen Geschäftsmodells, nämlich kein Entgelt an Webseitenbetreiber dafür zu zahlen, dass deren Inhalte in den Suchergebnissen dargestellt werden. Dieses Interesse rechtfertige auch das Vorgehen zunächst nur gegenüber den Verlagen, die ausdrücklich Entgelte fordern. Inhaltlich passt dies zu der Begründung des Bundeskartellamts vom 11.08.2014, mit der dieses eine Beschwerde der Verleger ablehnte (Az.: B6-76/14). Die Behörde hatte dort bereits ein kartellrechtlich relevantes Verhalten in einer Auslistung als Reaktion „gerade auf die Einforderung von Leistungsschutzrechts-Entgelten” beschrieben –allerdings nicht ohne gleich die Ausnahme zu beschreiben: „der Auslotung und des Rückgriffs auf eine leistungsschutzrechtsfreie und damit unentgeltliche Nutzung”. Diese Handlungsempfehlung hat Google umgesetzt.
Ausbeutung oder ungerechtfertigte Vorteile?
Andere Maßstäbe gelten beim Ausbeutungsmissbrauch nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. Hier kommt es darauf an, ob das marktbeherrschende Unternehmen als Nachfrager oder Anbieter Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die nicht bei wettbewerblich geprägten Bedingungen bestehen würden. Das kann auch zu niedrige Entgelte oder ein Null-Entgelt umfassen. Preismissbrauch und Konditionenmissbrauch können ineinander übergehen, zum Beispiel bei Zahlungsbedingungen. Voraussetzung ist, dass die preislichen oder nicht-preislichen Bedingungen wettbewerblich unangemessen sind. Die Kammer des Landgerichts lehnte den vorgeworfenen Ausbeutungsmissbrauch ebenso wie den Verstoß gegen das Anzapfverbot aus § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB unter Verweis auf die von ihr beschriebene Win-Win-Situation ab.
Bei der von Google geforderten Gratis-Einwilligung der Verleger könnte man darüber nachdenken, ob es sich eher um eine sonstige Bedingung über Googles Leistungserbringung als eine Preisvereinbarung über die Inhalte handelt. Zwar fragt Google die Inhalte nach, um sie in den Suchergebnissen listen zu können. Wenn die Verlage das erlauben wollen, könnte grundsätzlich über den Preis dieser Erlaubnis verhandelt werden. Auf der anderen Seite fragen die Verleger die Leistung nach, in den Suchergebnissen gelistet zu werden. Grundsätzlich könnte Google für diese Leistungen ebenso ein Entgelt verlangen. Stattdessen hat Google seine Leistungen an die Verleger ebenso umsonst erbracht wie diese umsonst die Inhalte bereitgestellt haben. Die Leistungen wurden also miteinander saldiert. Das Leistungsschutzrecht erlaubt den Verlegern, Google die Listung ihrer Inhalte zu verbieten – nicht mehr und auch nicht weniger. Mit der Gratis-Einwilligung verfolgt Google sein bisheriges Geschäftsmodell weiter und hält sich vor möglichen Verletzungsansprüchen aus Verstößen gegen dieses Verbotsrecht frei. Ob dieses saldierte Austauschverhältnis zwischen Google und den Verlegern wettbewerblich gesehen unangemessen ist, musste das Gericht mangels Vortrag hierzu seitens der Kläger nicht feststellen.
Unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags ist die Entscheidung des Landgerichts im Ergebnis wohl richtig. Sehr wahrscheinlich wird sich jedoch das Kammergericht Berlin mit dem Rechtsstreit befassen müssen. Die Klage ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil Google sein bisheriges Geschäftsmodell gegen die im Raum stehenden Konsequenzen aus einer Verletzung des Leistungsschutzrechts schützen durfte. Die klagenden Verlage haben zwar behauptet, Google missbrauche seine Marktmacht auf dem Markt für „Snippet-Gestattungen”. Sie haben aber außer der pauschalen Behauptung einer wirtschaftlichen Größe Googles nichts zu den tatsächlichen Marktverhältnissen auf diesem Markt vorgetragen. Aus diesem Grund hätte das LG Berlin die Klage ebenso als unschlüssig abweisen können. Pauschale Behauptungen über eine allgemeine wirtschaftliche Stärke Googles in der Internet-Branche sind jedenfalls kartellrechtlich gesehen irrelevant – unabhängig von einer einheitlichen Marktabgrenzung der Plattform oder einer konkreten Bewertung des jeweiligen Marktverhältnisses.
Die Entscheidung des LG Berlin (Az. 92 O 5/14 Kart) bei Telemedicus im Volltext.