Seit dem 1. August 2013 gibt es das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Ziel der Neuerung war, die deutschen Zeitungsverlage vor Google zu schützen. Noch bevor das Leistungsschutzrecht in Kraft trat, hat der Suchmaschinenanbieter allerdings bei den Verlagen angefragt, ob sie weiterhin im Google News-Angebot dargestellt werden möchten. Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben alle Verlag ihre Zustimmung erteilt. Das Resultat: Google setzt sein Geschäft trotz Leistungsschutzrecht nun unverändert fort. Das Unternehmen zahlt weder Lizenzgebühren, noch hat es etwas an seinen Angeboten geändert.
War das Leistungsschutzrecht also nur ein „Schuss ins Knie”, wie viele vermuten? Eher nicht. Denn die Neuregelungen führt zu komplexen Änderungen im Zusammenspiel von Kartell- und Urheberrecht. Und die Verlage haben noch eine Trumpfkarte im Ärmel.
Was hat sich geändert?
Zunächst noch einmal allgemein zur Gesetzesänderung. Die Neuregelungen betreffen die §§ 87f ff. UrhG; die zentralen Normen befinden sich in § 87f Abs. 1 und, etwas versteckt, in § 87g Abs. 4 Satz 1 UrhG.
§ 87f Abs. 1 UrhG besagt nun:
Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das Presseerzeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens als Hersteller.
Etwas versteckt, aber für den Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechts genauso wichtig ist § 87g Abs. 4 Satz 1 UrhG. Diese schränkt (untypisch für das Urheberrecht) den Adressatenkreis des Leistungsschutzrechts stark ein:
Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten.
Die Regelung wird in den folgenden Normen nur wenig konkretisiert.
Was dies nun konkret bedeutet, wird daraus nicht wirklich deutlich. Viele Fragen bleiben offen: Was ist ein „Presseerzeugnis”, vor allem in den Graubereichen des Social Media? Was sind „kleinste Textausschnitte”? Was sind „Suchmaschinen”, was sind „Anbieter von Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten”? Wodurch kann ein Verlag eine Lizenz erteilen, wodurch verweigern?
Die Gesetzesänderung hat offensichtlich mehr Fragen aufgeworfen, als sie beantwortet hat. Fast alle Tatbestandsmerkmale der §§ 87f ff. UrhG sind unklar. In einigen Bereichen hat der Gesetzgeber sogar absichtlich wichtige Punkte offen gelassen, weil er selbst keine Lösung kannte. Ob dies mit dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit vereinbar ist, ist fraglich.
Ungelöste Konflikte zwischen Kartellrecht und Urheberrecht
Nicht nur im Urheberrecht ist vieles unklar. Nimmt man in den Blick, dass parallel auch noch das Kartellrecht gilt, wird es noch wesentlich komplizierter. Denn Google ist marktbeherrschendes Unternehmen im Sinn des Kartellrechts: Das Unternehmen darf deshalb eigentlich zwischen Inhalteanbietern nicht diskriminieren und muss ihnen zu angemessenen Bedingungen Zugang zu seinen Diensten gewähren. Eigentlich. Denn durch das Leistungsschutzrecht haben sich grundlegende Parameter geändert. Nach der urheberrechtlichen Logik bietet Google nun keine Zugangsleistung mehr an, sondern muss selbst von den Verlagen eine Erlaubnis anfragen. Aus dem Anbieter Google ist ein Nachfrager geworden. Und über seine Freiheit, bestimmte Rechte (nicht) nachzufragen, darf Google viel freier verfügen als über das Angebot einer Zugangsleistung (eingehend dazu Kersting/Dworschak).
Erst die Neurelegung verlieh Google wohl deshalb das Recht, die deutschen Verlage zu fragen, ob sie noch im Google News-Angebot gelistet werden wollen. Denn implizit war diese Nachfrage eine Drohung: Wer Google keine ausdrückliche Freigabe gibt, muss damit rechnen, dass die Suchmaschine seine Inhalte nicht mehr anzeigt. Vor der Verabschiedung der Novelle wäre ein solches Vorgehen wahrscheinlich ein Missbrauch von Marktmacht gewesen – der marktbeherrschende Anbieter hätte seine Zugangsleistung an (sachfremde) Bedingungen geknüpft. Die Einführung des Leistungsschutzrechts hat die Maßnahme aber legitimiert: Google kommt nun ja nur seiner urheberrechtlichen Pflicht nach.
Weil außerdem kein Verlag auf die Nutzerströme von Google verzichten will, haben offenbar fast alle angefragten Verlage mittlerweile ihre Einwilligung erklärt. Es bleibt also erst einmal alles, wie es war. Also Sieg für Google, für die Verleger ein Schlag ins Wasser?
Der Konflikt geht in die nächste Runde
Wer denkt, die Auseinandersetzungen um das Presseleistungsschutzrecht seien nun durchgestanden, der täuscht sich. Denn auch wenn die Verlage bisher ihre Einwilligung ohne Gegenforderung erteilt haben, muss das nicht so bleiben. Alleine wäre ein Verlag natürlich nicht in der Lage, gegen Google Lizenzgebühren durchzusetzen. Google würde diese Forderung einfach zum Anlass nehmen, das betreffende Angebot nicht mehr darzustellen, und der Konflikt wäre (zu Lasten des Verlags) gelöst.
Einzeln können die Verlage gegen dieses Verhalten von Google nichts unternehmen. Gemeinsam sieht es aber anders aus: Heißt es alle (Presseverlage) gegen einen (Google), dann könnten durchaus auch die Verlage die Oberhand behalten. Google kann es sich leisten, einzelne Verlagsangebote nicht mehr zu listen. Aber kann Google es sich leisten, alle Verlagsangebote auszuschließen? Wahrscheinlich nicht.
Das Urheberrecht hilft gegen das Kartellverbot
Eine solche „Alle gegen Einen”-Situation hat das Urheberrecht nun aber möglich gemacht. Vorher galt für die Verlage das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen: Eine Verabredung zwischen den Verlagen, Google die eigenen Inhalte nur zu bestimmten Konditionen zu überlassen, verstößt gegen das Kartellrecht. Eigentlich müssten die Verlage also mit Google einzeln verhandeln – mit dem erwartbaren Ergebnis, dass die Verlage ihre Inhalte kostenlos überlassen. Anderenfalls riskieren sie die Entfernung aus dem Suchindex.
Diesen Weg müssen die Verlage aber nicht gehen. Denn die Einführung des Presseleistungsschutzrechts hat ihnen einen anderen Weg geöffnet: Die Gründung einer Verwertungsgesellschaft. Verwertungsgesellschaften sind Zusammenschlüsse von Inhabern urheberrechtlich geschützter Rechte. Zu den Funktionen von Verwertungsgesellschaften gehört es auch, eine Vielzahl von einzelnen Akteuren unter einer gemeinsamen Organisation zu versammeln. Was anderenfalls durch das Wettbewerbsrecht verboten wäre, ist innerhalb einer Verwertungsgesellschaft erlaubt: Die gemeinsame Festlegung eines Mindestpreises für alle vertretenen Rechteinhaber (§§ 12, 13 UrhWahrnG). Zwar muss die Verwertungsgesellschaft bei der Preissetzung gewisse Grenzen einhalten. Einen Preis von „Null” muss sie aber sicherlich nicht festsetzen.
Wann kommt die VG Presse?
Glaubt man verschiedenen Äußerungen der Presseverleger, bereiten diese die Gründung der Verwertungsgesellschaft schon vor. Ist sie einmal gegründet, können die Verlage sich in dieser sammeln und – ungefährdet durch das Kartellverbot – ihr Vorgehen gegenüber Google koordinieren. Eine „VG Presse” könnte dann mit der geballten Kraft der bei ihr gebündelten Rechte gegen Google vorgehen. Die Zeit der „Freifahrtscheine” wäre für Google dann vorbei. Dass Google damit wirklich zahlen müsste, ist aber noch nicht gesagt: Es bleiben immer noch wichtige Fragen offen, insbesondere ob die §§ 87f ff. UrhG überhaupt verfassungsgemäß sind, und ob § 87 Abs. 1 UrhG die Darstellung von Suchergebnissen bei Google und Google News überhaupt erfasst. Über beide Fragen müssten ggf. noch Gerichte entscheiden.
Die Themenseite zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger bei Telemedicus.