Ein Geburtstagsständchen.
Wenn man einem guten Freund zum Geburtstag gratuliert, freut man sich oft mindestens genauso, wie er selbst. Wenn man einem Bekannten gratuliert, der einem schon immer irgendwie suspekt war, tut man das weniger. Man gratuliert, ein paar höfliche Worte, genuschelte Wünsche – danach ist es wieder der Bekannte, den man lächelnd kritisch beäugt.
Zwei Jahre alt wird es diese Woche, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Viel Wirbel hat es erzeugt, für viel Unmut gesorgt. Immer mal wieder produzierte es Schlagzeilen. Heute ist es nur noch eines: ein Lehrstück für unsinniges Gesetzgebertum. Wir zeichnen die Entwicklung nach, erklären, was schief gelaufen ist – und warum sich daran nichts mehr ändern wird. Ein Geburtstagsgruß, den man sich hätte sparen können.
Schon lange vor dessen Inkrafttreten haben wir uns bei Telemedicus kritisch mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger beschäftigt. Verlage forderten vehement ein Presse-Leistungsschutzrecht, schließlich war man jahrelang „schlechter gestellt als andere Werkvermittler“ – und blendete völlig aus, dass Aggregatoren und Suchmaschinen (auch) Presseseiten im Internet einen Dienst erwiesen.
Was aber, wenn die Suchmaschine Google heißt? Google hat sich vom reinen Intermediär zu großen Teilen zu einem Inhalteanbieter mit fast beängstigendem Marktanteil gewandelt. Schon im Jahre 2010 besagte eine Studie: „A full 44 percent of visitors to Google News scan headlines without accessing newspapers’ individual sites“.
Damit waren die Fronten geklärt – und eine einvernehmliche Lösung vorab nicht in Sicht. Also schafften es die Verlage, dass die Mühlen des Gesetzgebers zu mahlen begannen. Das Ergebnis: Rechtsnormen, die nicht recht zur Anwendung gelangen. Die hilfreiche Geschäftsmodelle torpedieren. Weil Sinn und Systematik des Gesetzes einem Kanon gehorchen, der von vorne herein zum Scheitern verurteilt war. Denn geregelt ist heutzutage nur eines: Ein Hersteller eines Presseerzeugnisses hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen. Suchmaschinen also nicht. Und dann? Dann hören Sie eben auf mit der öffentlichen Zugänglichmachung. Schon war das Leistungsschutzrecht obsolet. Freilich: Auch das passte den Verlagen nicht mehr so recht.
Wir haben deshalb auch auf den Konflikt zwischen Urheberrecht und Kartellrecht hingewiesen, den es speziell für Google mit sich bringt: Wenn Google urheberrechtlich faktisch zunächst untersagt wird, bestimmte Ergebnisse anzuzeigen, kann das Kartellrecht dann das Filtern von Suchergebnissen sanktionieren? Genau dieser Punkt erhitzte fortwährend die Gemüter – und genau dieser Punkt wird dazu führen, dass das Leistungsschutzrecht reine Makulatur war, ist und auch bleiben wird.
Vor zwei Jahren am 1. August wurde das Gesetz Wirklichkeit. Und seitdem hat sich viel getan: Wirbel bei den Verwertungsgesellschaften, Kartellverfahren, Hosen runter bei den Verlagen. Am Ende steht ein Gesetz, das viel Geld gekostet hat, aber nicht zur Anwendung kommt. Was ist passiert und wie geht es weiter? Um das zu verstehen, lohnt sich zunächst ein Blick in die Geschichtsbücher.
Google ließ kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes wissen: Wollten Verlage weiterhin im News-Angebot erscheinen, mussten sie gegenüber Google eine Bestätigung erteilen. Viele erteilten ihre Einwilligung – kurz vor Torschluss sogar der Springer-Verlag, einer der schärfsten Verfechter des Leistungsschutzrechts. Allerdings ahnte man schon früh: Dabei wird es nicht bleiben – die Verlage hatten immerhin die Option, eine eigene Verwertungsgesellschaft zu gründen.
Nach einigem Hickhack war dann klar: Die Verlage steigen bei der VG Media ein. Die VG Media sollte nach den Plänen der Verlage das Leistungsschutzrecht kollektiv wahrnehmen und die Einnahmen verwalten. Man sah darin eine „Notwendigkeit einer solidarischen Wahrnehmung der Urheber- und Leistungsschutzrechte der privaten Medienunternehmen und deren konsequente Durchsetzung gegenüber unterschiedlichsten Nutzern”. (Nebenbei: Wir würden gerne wissen, mit welchen dieser „unterschiedlichsten Nutzer” bereits entsprechende Verträge existieren. Sollte jemand dazu Informationen haben, freuen wir uns über Hinweise.)
Bis dahin hatte sich weder am Angebot Googles noch am Geldbeutel der Verlage irgend eine Änderung im Vergleich zur Zeit vor dem Leistungsschutzrecht ergeben – mit der Ausnahme, dass beispielsweise der nützliche und angesehene Aggregator Rivva 650 Online-Medien aus dem Angebot strich, „angesichts der aktuellen Rechtsunsicherheit”. Google listete fröhlich weiter und die Verlage überlegten, wie sie dem Internet-Riesen den Garaus machen konnten. Erster Schritt: ein Vorgehen bei der Schiedsstelle für Urheberrechts-Angelegenheiten beim Deutschen Patent- und Markenamt. Ziel: Die „Zahlung einer angemessenen Vergütung wegen der Verwertung des Presseleistungsschutzrechtes durch Google”.
Nur kurze Zeit später legen Verlage und VG Media zusätzlich Beschwerde beim Bundeskartellamt ein. Grund war die von Google geforderte Einverständniserklärung. Die Verleger sahen darin einen Zwang „auf das eben erst verabschiedete Leistungsschutzrecht zu verzichten”. Zurück kam vom Bundeskartellamt eine schallende Ohrfeige an die VG Media:
Eine kartellrechtliche Verpflichtung Googles zum entgeltlichen Erwerb von Leistungsschutzrechten ist aus Sicht der Beschlussabteilung nicht anzunehmen.
Anfang Oktober 2014 machte Google dann noch einmal richtig ernst:
[Wir werden] Snippets und Thumbnails einiger bekannter Webseiten wie bild.de, bunte.de oder hoerzu.de nicht mehr anzeigen, also jener Verlage, die in der VG Media organisiert sind. Für diese Seiten werden wir nur noch den Link zum Artikel sowie dessen Überschrift anzeigen.
Hintergrund war die Klage beim Deutschen Patent- und Markenamt. Kurz zurücklehnen und Revue passieren lassen: Verlage bekommen politisch umstrittenes Leistungsschutzrecht. Google droht mit Streichung aus Google-News. Verlage erteilen Einwilligung für Google News. Verlage klagen auf Vergütung. Google streicht Seiten. Verlage bezeichnen das als Erpressung. Was tut man in einem solchen Fall? Man schaltet das Bundeskartellamt ein – dieses Mal jedoch „nur” mittels eines Petz-Briefes. Darin räumte die VG Media nunmehr sogar ein, man hätte „weder das Recht noch die Absicht, eine Zwangslizenz für die Verwertung ihrer verlegerischen Inhalte durchzusetzen”. Aber Google dürfe sich nicht aussuchen, wen man liste und wen nicht. Mit anderen Worten: Alle Verlage oder keine.
Seitdem ist es still geworden um das Leistungsschutzrecht. Bis auf gegenseitiges Zähnefletschen hat das Leistungsschutzrecht bisher also nichts gebracht. Mit einer Ausnahme: Anfang dieses Jahres hat das Landgericht Berlin einen Anspruch nach den neuen Regelungen des Leistungsschutzrechts für Presseerzeugnisse bejaht. Also doch alles gut? Verlage happy, Google geschlagen?
Mitnichten. „Schiefe Anwendung eines verfehlten Gesetzes“, das Urteil „geht fehl“, sei schlicht „falsch“ oder „so kurios wie falsch“. Selten müssen sich Gerichte derartig deutlicher Kritik stellen. Thomas Stadlers Resüme:
Gleichwohl zeigt die Entscheidung, welche Blüten das verunglückte Leistungsschutzrecht treiben kann, wenn es von Gerichten ausgelegt wird, die den Regelungsgehalt nicht durchdrungen haben.
Auch interessant: Anspruchsteller war kein Verlag, sondern eine Suchmaschine. Verkehrte Welt! Am Ende stellte sich sogar heraus, dass der Klägeranwalt das Gericht getrollt hatte. Sein Kommentar:
[Das Leistungsschutzrecht ist] deshalb verführerisch, weil man nicht lange und breit darlegen muss, dass man die reklamierten Rechte auch wirklich besitzt, denn das LSR bekommt man sogar, wenn man selbst geklaute Inhalte publiziert. Es reicht der Nachweis, dass der Streitgegenstand aus einem Presseerzeugnis stammt. Das macht die Schriftsätze und Urteile natürlich schlank und erspart damit Arbeit.
Danach wurde es wieder ruhig um das Leistungsschutzrecht. So ruhig, dass sich die Diskussion erst einmal nach Österreich verlagerte. Dort schien alles noch einmal von vorne loszugehen – bis das Gesetz überraschend doch erst einmal auf Eis gelegt wurde.
Zuletztzuletzt machte schließlich auch die Diskussion um die fehlende Notifizierung wieder einmal die Runde. Die Kritik: Weil das Gesetzgebungsvorhaben nicht der EU-Kommission angezeigt wurde, könnten die dennoch verabschiedeten Normen unanwendbar sein. Regierungsbeamte warnten kurz vor seiner Verabschiedung sogar davor – dennoch drückte der Bundestag das Gesetz vor der Sommerpause noch durch.
Für Deutschland heißt das nach alledem: No State of play.
Und das wird sich vermutlich auch nicht ändern. Das Kartellamt hat ein Machtwort gesprochen, die Gerichte werfen sich eigene Blendgranaten vor die Füße, das Urheberrecht sieht keine Zwangslizenz für Verlage vor – deswegen müsste auch das DPMA zu einem eindeutigen Ergebnis kommen, das Verfahren dort dauert offenbar aber noch an.
Fakt ist: Google hat nachvollziehbare wirtschaftliche Interessen. Fakt ist: Die Verlage haben wirtschaftlich nachvollziehbare Interessen. Fakt ist: Wirtschaftliche Interessen können durchaus miteinander in Konflikt geraten. Was hier aber definitiv eine schlechte Idee war: den Kampf auf dem Rücken des Gesetzgebers auszutragen.
Ob der Gesetzgeber die eigens getriebenen Blüten, insbesondere den Widerspruch von Urheberrecht und Kartellrecht auch nur ansatzweise vor Augen hatte, lässt zumindest die Gesetzesbegründung nicht erkennen. Diese setzt vielmehr an einigen Stellen einfach voraus, dass eine Lizenz existiert. Dass Google hier aber auch einfach mal „nein“ sagen könnte, damit hat der Gesetzgeber offenbar nicht gerechnet.
Auch nach zwei Jahren bleibt das Leistungsschutzrecht also nur der Bekannte, den man lächelnd kritisch beäugt.
Dieser Artikel spiegelt die Meinung des Autors wider und entspricht nicht zwingend der Auffassung der Redaktion. Telemedicus hat sich bewusst nicht der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) angeschlossen, um in der Debatte um ein Presse-Leistungsschutzrecht neutral bleiben zu können.