von Jonas Kahl, LL.M.
Voraussichtlich am Freitag wird der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das Leistungsschutzrecht für Presseverleger verabschieden. Nachdem monatelang darüber spekuliert wurde, wieweit der Schutzumfang dieses Rechts eigentlich reicht, wurde dieser heute in letzter Minute von den Regierungsfraktionen nochmals geändert.
Ein Änderungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP (BT-Drs. 17/11470) sieht nun folgende Formulierung für den neu einzufügenden § 87f Abs. 1 UrhG vor:
(1) Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das Presseerzeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens als Hersteller.
Im Vergleich zum bisherigen Entwurfstext fällt auf, dass nun „einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte“ vom Leistungsschutzrecht ausgenommen sein sollen. Wieweit diese Ausnahme in der Praxis tatsächlich reichen kann, lässt der Wortlaut der Regelung allerdings offen. Auf eine konkrete Anzahl von Zeichen oder eine Wortzahl konnte man sich offenbar nicht verständigen.
Der Wortlaut lässt damit auch offen, ob die von Suchmaschinen üblicherweise angezeigten Snippets, ebenso wie Tweets und Facebook-Verlinkungen von der neuen Version des Leistungsschutzrechts tatsächlich ausgenommen sein sollen. Zur Konkretisierung wird allerdings in der Begründung des Änderungsantrags auf die Rechtsprechung des BGH zur Google-Bildersuche (BGH, Vorschaubilder I und Vorschaubilder II) verwiesen.
Dieser Verweis ist zunächst deshalb interessant, weil in jenen BGH-Entscheidungen die Frage einer Rechtsverletzung durch Google an rein urheberrechtlichen Maßstäben beurteilt wurde und sich der Streit nicht auf ein Leistungsschutzrecht bezog. Der Schutzumfang eines Leistungsschutzrechts könnte aber theoretisch sogar über den reinen Urheberrechtsschutz hinausgehen (Vgl. BGH, Metall auf Metall). Indem der Gesetzgeber in seiner Begründung auf die Vorschaubilder-Entscheidung Bezug nimmt, macht er deutlich, dass er den Schutzumfang des Leistungsschutzrechts für Presseverleger allein an urheberrechtlichen Kriterien messen lassen will. Eine Anwendung der engen Maßstäbe der Metall auf Metall-Entscheidung wird in der Begründung des Änderungsantrags deshalb auch ausdrücklich abgelehnt.
Wenn man die vom BGH in der Vorschaubilder-Entscheidung aufgestellten Maßstäbe für eine zulässige Nutzung von Bildern in der Google-Suchanzeige auf Textausschnitte in Suchergebnissen übertragen möchte, fällt zunächst folgendes auf: Der BGH führt in der Vorschaubilder I-Entscheidung im Wesentlichen aus, dass der Umstand, eine Internetseite ohne die Einrichtung von technischen Maßnahmen zu betreiben, die das Anzeigen als Suchergebnis verhindern, dazu führt, dass eine Suchmaschine annehmen könne, die auf den Seiten verwendete Abbildungen dürften „in dem bei der Bildersuche üblichen Umfang genutzt werden“.
Diese Annahme fasst der BGH in einem prägnanten Satz, als eine Art Grundprinzip für Suchmaschinen, wie folgt zusammen:
„Ein Berechtigter, der Texte oder Bilder im Internet ohne Einschränkungen frei zugänglich macht, muss mit den nach den Umständen üblichen Nutzungshandlungen rechnen“.
Interessant an dieser Formulierung ist, dass sie unmittelbar auf das Leistungsschutzrecht für Presseverleger übertragen werden kann, da die Nutzung von Texten ausdrücklich schon erwähnt ist. Der BGH ging damit in einem obiter dictum über die eigentlich gestellte Frage der Zulässigkeit einer Bildnutzung hinaus. Das erleichtert nun umso mehr die Anwendbarkeit der Entscheidung auf das Leistungsschutzrecht für Presseverleger.
Um zu klären, ob Snippets, wie sie heute als Teil der Suchergebnisse bei Google angezeigt werden, vollständig aus dem Schutzumfang des Leistungsschutzrechts ausgenommen sind, ist hingegen die zweite Hälfte des obigen Satzes interessanter. Demnach muss sich es um eine „nach den Umständen übliche Nutzungshandlung“ handeln. Als „üblich“ kann man etwas angesehen, wenn es den Gewohnheiten und Gebräuchen entspricht. Die Anzeige von Text-Snippets neben dem Link zum Suchergebnis ist bei den großen Suchmaschinen seit Jahren üblicher Standard. Gleiches gilt für die Anzeige von Artikel-Snippets in der Ergebnisliste von Google-News.
Nutzungen dieser Art muss ein Presseverleger in Anwendung der BGH-Entscheidung also hinnehmen, soweit er nicht ausdrücklich technische Sicherungsmaßnahmen dagegen vorgesehen hat. Die heute übliche Darstellung von Suchergebnissen samt Snippets wäre damit nicht vom Leistungsschutzrecht für Presseverleger erfasst ist.
In der Diskussion um den bisherigen Entwurf des Leistungsschutzrechts wurde in jüngerer Vergangenheit zudem vorgebracht, ein Leistungsschutzrecht könnte auch die Nutzung von Social Media-Angeboten wie Twitter und Facebook einschränken. So war bisher anzunehmen, dass beispielsweise die Verbreitung einer Artikelüberschrift zu einem Link auf Twitter unter den Schutzumfang des Leistungsschutzrechts fallen könnte.
Nach dem nun vorgesehenen Wortlaut wäre das nicht mehr der Fall: Noch eindeutiger als bei Text-Snippets im Rahmen von Suchergebnissen ist bei Tweets, die maximal 140 Zeichen lang sein können, anzunehmen, dass diese von der Ausnahme „einzelner Wörter oder Textausschnitte“ erfasst sind. Zudem handelt es sich bei der Wiedergabe von Artikelüberschriften bzw. -zitaten auf Twitter ebenso um eine den Umständen nach übliche Nutzungshandlung, so dass sich das BGH-Urteil zu den Vorschaubildern auch hierauf beziehen lässt.
Gleiches gilt auch für die Anzeige einer Artikelvorschau auf Facebook, die erscheint, wenn ein Nutzer einen Link postet. Auch hierbei handelt es sich um eine völlig gebräuchliche Nutzungsart des sozialen Netzwerks.
Die Bejahung einer „üblichen Nutzungshandlung“ und die weiteren Kriterien der Vorschaubilder-Entscheidungen werden insofern immer mehr zu einer Art Grundregel für die Annahme einer zulässigen Werknutzung bei Aggregatoren. Problematisch hieran erscheint, dass die Beurteilung dessen, was „üblich“ ist, der Entwicklung von Technik und Nutzerverhalten unterliegt. Das „übliche Nutzungsverhalten“ wird immer nur im zeitlichen Kontext zum Auftreten des jeweiligen Rechtsproblems betrachtet werden können. Dies könnte langfristig ein Einfallstor dafür sein, dass Handlungen, die heute noch unüblich und damit unzulässig sind, in Zukunft durch geändertes Nutzungsverhalten legitimiert werden könnten. Diskutiert werden könnte dies beispielsweise schon dann wieder, wenn Google seine neue Bildersuchfunktion auch in Deutschland einführen und Bilder in Originalgröße wiedergeben würde.
In Hinblick auf das Leistungsschutzrecht für Presseverleger steht einer solch uferlosen Auslegung allerdings der Gesetzeswortlaut entgegen, der die Nutzung jedenfalls auf einzelne Wörter und Textausschnitte beschränkt.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Leistungsschutzrecht einen weit geringeren Schutzumfang haben würde, als die letzten Monate diskutiert wurde. Angebote wie Google News und die Anzeige von Suchergebnissen in ihrer heutigen Darstellungsform, ebenso wie Twitter und Facebook würden davon nicht erfasst sein. Durch die in letzter Minute eingefügte Ausnahme würde das Leistungsschutzrecht im Falle eines Inkrafttretens lediglich auf solche Angebote abzielen, die größere Textteile bzw. ganze Artikel wiedergeben. Solche Handlungen sind ohne Einwilligung allerdings in den meisten Fällen auch bisher schon urheberrechtlich unzulässig.