Sind Kooperationen von Gesundheitsbehörden und Internet-Intermediären rechtswidrig?
Ein Gastbeitrag von Martin Fertmann, Prof. Dr. Wolfgang Schulz und Dr. Stephan Dreyer
In den vorweihnachtlichen Kanon steigender Corona-Fallzahlen, strengerer Infektionsschutzmaßnahmen und wachsender Sorgen bezüglich der Verbreitung Corona-bezogener Desinformation mischte sich die Ankündigung der Medienanstalt Hamburg-Schleswig Holstein (MAHSH), dass sie ein Verfahren gegen Google wegen einer Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eingeleitet hat. Zunächst hatte der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) diese Zusammenarbeit bereits öffentlich als ordnungspolitischen Tabubruch kritisiert.
Diese Maßnahme markiert zugleich das erste Verfahren gegen Medienintermediäre auf der Grundlage des im November in Kraft getretenen neuen Medienstaatsvertrags (MStV). Neben der Frage, wie sich diese Entscheidung auf die Kooperationen großer Internetunternehmen und Behörden zur Verbreitung vertrauenswürdiger Corona-Informationen auswirkt, wirft das Verfahren ein erstes Schlaglicht auf die Medienintermediärsregulierung des neuen MStV im Allgemeinen, die noch einige Unklarheiten enthält.
Kooperation Google mit Bundesministerium für Gesundheit: MA HSH leitet medienrechtliches Verfahren ein: https://t.co/9rcLJ7WH22 pic.twitter.com/CYqO7ppBkL
— MA HSH (@MA_HSH) December 17, 2020
In einer Pressemitteilung vom 17. Dezember 2020 hat die MAHSH mitgeteilt, dass sie gem. § 94 MStV ein Verfahren gegen Google wegen dessen Kooperation mit dem BMG eingeleitet hat. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit blendet Google seit dem 10. November 2020 für Nutzer*innen der Google-Suche im Falle der Eingabe eines von derzeit 160 Suchbegriffen mit Gesundheitsbezug sog. Knowledge-Panel am rechten Bildschirmrand ein, die auf Inhalte der Webseite gesund.bund.de verweisen. Diese Seite wird nach eigenen Angaben von einem privaten Unternehmen im Auftrag des BMG betrieben, wobei ein Referat des Ministeriums als „Herausgeber“ auftritt. Neben Schlagworten zu anderen häufigen Krankheiten erfolgt die Einblendung solcher Knowledge-Panel – neben weiteren amplifizierten Behördeninformationen – (Stand 19.12.2020) auch für die Suchbegriffe „corona“, „covid“, „covid-19“ oder „sars cov 2“, wobei diese anders als diejenigen zu anderen häufigen Krankheiten nicht farblich hinterlegt sind und keine integrierte Navigationsmöglichkeit („Überblick“, „Symptome“ „Behandlung“) bieten.
Die Verbreitung digitaler Falschinformationen, die gerade bei Gesundheitsfragen und nicht nur während einer Pandemie schwerwiegende Folgen haben können, lässt sich mit rechtlichen Verboten bisher kaum effektiv beschränken. Pragmatische Lösungsansätze fokussieren deshalb stark darauf, Intermediäre dazu zu bewegen, die Verbreitung verlässlicher Information zu begünstigen und/oder die Verbreitung tatsächlicher oder vermeintlicher Desinformation zu verlangsamen. Insbesondere während der Pandemie haben sich hierzu unter (zwischen)staatlichen Akteuren wie dem BMG oder der WHO und privaten Internet-Intermediären neue Formen der Zusammenarbeit herausgebildet: Neben Google verweisen auch andere Intermediäre wie Facebook, Instagram, TikTok und bald auch Twitter Ihre Nutzer*innen in unterschiedlichen Formen, aber stets in hervorgehobener Weise, auf offizielle Informationen des BMG oder der World Health Organization (WHO).
Vor diesem Hintergrund kann das jetzt gestartete Verfahren der MAHSH für solche Praktiken auch über die Pandemie hinaus Rechtsunsicherheit erzeugen und Medienintermediäre von der freiwilligen Amplifikation vertrauenswürdiger (und damit ggf. auch staatlicher) Informationen abschrecken.
Der am 7. November 2020 in Kraft getretene MStV sieht in § 94 Abs. 1 ein Diskriminierungsverbot für Medienintermediäre vor. Danach dürfen Medienintermediäre „[z]ur Sicherung der Meinungsvielfalt (…) journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote, auf deren Wahrnehmbarkeit sie besonders hohen Einfluss haben, nicht diskriminieren“. Ein Medienintermediär ist gem. § 2 Abs. 2 Nr. 16 MStV „jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“, wobei die Begründung des MStV (S. 13) als Beispiele für Medienintermediäre „Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, User Generated Content-Portale, Blogging-Portale und News Aggregatoren“ nennt. Wenn diese Angebote weitere Anforderungen gem. § 91 Abs. 2 MStV erfüllen, insbesondere im Durchschnitt von sechs Monaten in Deutschland mindestens eine Million Nutzer*innen pro Monat erreichen (Nr. 1), gilt das Diskriminierungsverbot des § 94 MStV.
Dieses erfasst gem. Abs. 1 nur journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote, auf deren Wahrnehmbarkeit Medienintermediäre „besonders hohen Einfluss“ haben. Wann dies der Fall ist, wird weder aus dem MStV selbst noch aus seiner Begründung (S. 51) klar. Die Begründung paraphrasiert die Norm im Wesentlichen nur und verweist darauf, dass „kartellrechtliche Maßstäbe, wie eine marktbeherrschende Stellung ein maßgebliches Indiz darstellen“ und die – in Teilen gegenläufigen – „Schwellenwerte des Medienkonzentrationsrechts“ eine Orientierung bieten könnten.
Dies wirft mindestens drei Fragen auf, die zentral für die Anwendung der Anti-Diskriminierungsregeln des MStV sind:
Eine unzulässige Diskriminierung setzt gem. § 94 Abs. 2 MStV voraus, dass entweder „ohne sachlich gerechtfertigten Grund von den nach § 93 Abs. 1 bis 3 zu veröffentlichenden Kriterien zugunsten oder zulasten eines bestimmten Angebots systematisch abgewichen wird“ (1. Alt) oder dass „diese Kriterien Angebote unmittelbar oder mittelbar unbillig systematisch behindern“ (2. Alt). Ein Verstoß gegen diese Vorgaben kann gem. § 93 Abs. 3 S. 1 MStV nur von dem betroffenen Anbieter journalistisch-redaktioneller Inhalte bei der zuständigen Landesmedienanstalt geltend gemacht werden. Eine solche Beschwerde ist hier nicht eingegangen, die MAHSH hat laut Pressemitteilung vielmehr das Verfahren von Amts wegen eingeleitet. Dies ist nach dem Ausnahmetatbestand des § 93 Abs. 3 S. 2 MStV „[i]n offensichtlichen Fällen“ möglich.
Die „Google-Suche“ selbst ist relativ eindeutig ein Medienintermediär gem. § 2 Abs. 2 Nr. 16 MStV und erreicht auch den Grenzwert einer Million monatlicher Nutzer*innen (§ 91 Abs. 2 Nr. 1 MStV). Ob aber die Knowledge-Panels, die seitlich neben den Suchergebnissen eingeblendet werden und diese nicht überdecken, selbst Teil des Suchdienstes sind, kann diskutiert werden. Die Panels und ihre zugrundeliegenden Algorithmen könnten ggf. für sich genommen einen (Medien-)Intermediär eigener Art darstellen. Dann müssten diese die Anforderungen an Aggregation und insbesondere Selektion im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 16 MStV erfüllen. Diese Einordnung als Medienintermediär könnte auch daran scheitern, dass die Definition ein Angebot voraussetzt, das „auch“ journalistisch-redaktionelle Inhalte Dritter aggregiert. Es müssen also sowohl journalistisch-redaktionelle als auch andere Inhalte zusammengeführt werden, was für die Knowledge-Panel zweifelhaft erscheint.
Unterstellt man den notwendigen „besonders hohen Einfluss“ fragt sich, welche der Alternativen des § 94 Abs. 2 MStV hier einschlägig ist. Die Pressemitteilung lässt offen, welche der Alternativen des § 94 Abs. 2 MStV die MAHSH für verletzt hält. § 94 Abs. 2 MStV enthält zwei „echte“ Alternativen, also sich gegenseitig ausschließende Konstellationen: Geht es um die Ausgestaltung der zu veröffentlichenden Kriterien, ist dies an § 94 Abs. 2 Alt. 2 zu messen. Wird von diesen Kriterien abgewichen, gilt § 94 Abs. 2 Alt. 1. Ob diese Kriterien durch Google derzeit bereits vollständig veröffentlicht wurden, ist hier irrelevant, es kommt ausdrücklich nur darauf an, ob die nach dem Gesetz zu veröffentlichenden Kriterien angewendet werden oder von diesen abgewichen wird. Zu den maßgeblichen Kriterien zählen insbesondere die Bedingungen für Zugang und Verbleib eines Inhalts zu bzw. bei einem Medienintermediär (§ 93 Abs. 1 Nr. 1 MStV) und die zentralen Kriterien einer Aggregation, Selektion und Präsentation von Inhalten und deren Gewichtung einschließlich Informationen über die Funktionsweise der eingesetzten Algorithmen (§ 93 Abs. 1 Nr. 2 MStV). Hier stellt sich auch wieder die Frage, ob es um die allgemeinen Such-Kriterien geht oder um diejenigen, die die Anzeige von Info-Boxen im Panel steuern.
Für den hier als maßgeblich unterstellten Medienintermediär „Google-Suche“ (s.o.) stellt eine quasi-redaktionelle, themenspezifische Einblendung der Knowledge Panels für eine dreistellige Anzahl an Suchbegriffen keine Änderung der Kriterien für den Zugang bzw. Verbleib von Inhalten (§ 93 Abs. 1 Nr. 1 MStV) oder der zentralen Kriterien für die Zusammenstellung der Google Suche insgesamt (§ 93 Abs. 1 Nr. 2 MStV) dar. Es handelt sich damit gem. § 94 Abs. 2 1. Alt MStV also um eine Abweichung von den zu veröffentlichenden Kriterien zugunsten des Angebots gesund.bund.de – vorausgesetzt, dass man die Einblendungen als Teil des allgemeinen Suchdienstes versteht (s. oben).
Für die Beurteilung der Ungleichbehandlung und ihrer Rechtfertigung kommt es auch darauf an, die vergleichbaren anderen Angebote zu identifizieren. Auch das wirft Fragen auf, insbesondere auch die nach den beschwerdeberechtigten Konkurrenten. Aus Nutzersicht betrachtet kommen hier eher andere nicht-mediale Inhalte in Betracht, etwa von wissenschaftlichen Einrichtungen oder Verbänden. Im Bereich des journalistisch-redaktionellen sind es wohl eher Informationsseiten als tagesaktuelle Berichterstattung, die das gleiche Informationsinteresse befriedigen.
Wann stellt sich diese Ungleichbehandlung als „systematisch“ dar? Um diese Qualifizierungen im Gesetzestext ist in der letzten Phase der Verhandlungen viel gestritten worden. Die Abweichung von der nativen Suche in diesem Fall allein kann für die Einordnung als „einem System folgend“ nicht ausreichen, denn dies ist schon die Voraussetzung für eine relevante Abweichung überhaupt. Insofern muss die Diskriminierung auf einem übergeordneten Konzept basieren.
Darüber hinaus fragt sich, ob die Abweichung „ohne sachlich gerechtfertigten Grund“ erfolgt. Als solcher kommt hier die im öffentlichen Interesse erfolgende Verbreitung besonders vertrauenswürdig erscheinender Informationen in einem durch Falschinformationen besonders gefährdeten Bereich in Betracht. Ignorieren lässt sich dabei auch nicht, dass die Rechtmäßigkeit des BMG-Angebots selbst aufgrund der möglichen Verletzung des Grundsatzes der Staatsferne rechtswidrig sein könnte. Jedenfalls würde das Angebot nur dann in den Anwendungsbereich des MStV fallen, wenn es journalistisch-redaktionell gestaltet ist, dann aber stellt sich das Angebot wahrscheinlich als rechtswidriges staatliches Medienangebot dar. Dabei kann aber die abschließende Bewertung dieser komplexen Unterfrage der Rechtswidrigkeit der vermittelten Angebote wahrscheinlich nicht den Medienintermediären aufgebürdet werden, sodass es für die Prüfung eines Verstoßes gegen den MStV darauf nicht ankommt.
Für ein Einschreiten von Amts wegen muss der Verstoß gem. § 94 Abs. 3 S. 2 MStV „offensichtlich“ sein. Hierzu führt die MStV-Begründung (S. 53) aus: „Das Kriterium der „Offensichtlichkeit“ ist dem Verwaltungsrecht entnommen (vgl. § 44 des VwVfG). Durch die hierdurch eingeschränkte Amtsermittlung soll sichergestellt werden, dass keine kontinuierliche, antragsunabhängige Überprüfung der Einhaltung des Diskriminierungsverbots erfolgt.“ Die Anforderungen des § 44 VwVfG, sind sehr hoch – der Fehler muss dem (dort: Verwaltungs-) Akt „auf die Stirn geschrieben“ sein (Schemmer BeckOK VwVfG, § 44 Rn. 14-17.1); „die an eine ordnungsmäßige Verwaltung [bzw. hier Suchergebnis-Anzeige] zu stellenden Anforderungen müssten in so erheblichem Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, [das Handeln] anzuerkennen“ (BVerwG, Beschl. v. 11. 5. 2000 – 11 B 26.00). Von einem derart offensichtlichen Verstoß sind die Knowledge-Panel aber angesichts der hier beschriebenen Umstände eher entfernt.
Während die Landesmedienanstalten derzeit noch an dem Entwurf einer Satzung zur Regulierung von Medienintermediären arbeiten, um die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe sowie die Entscheidungskriterien und -maßstäbe zu interpretieren und konkretisieren, muss das begonnene MAHSH-Verfahren vielen dieser Überlegungen nun vorgreifen. Dabei werden die Grenzen deutlich werden, denen sich der weltweit erste Ordnungsrahmen zur vielfaltsbezogenen Regulierung von Medienintermediären gegenübersieht. Anwendungsbereiche, Regelungslogik und die Verschränkung von Vielfaltsregulierung mit kartellrechtlichen Überlegungen werden eine ganze Reihe neuer Problemlagen aufzeigen, denen sich die Landesmedienanstalten – und auch die Landesgesetzgeber – in den kommenden Jahren stellen müssen. Das ausgerechnet zusätzlich eingeblendete Gesundheitsinformationen während einer Pandemie in den Blick des ersten Intermediärsverfahrens nach dem MStV geraten, dürfte das noch neue Regelwerk dabei zusätzlich belasten. Die am Diskriminierungsverbot geäußerte grundsätzliche Kritik, dass sich Vielfalt bei der Vermittlung medialer Angebote im Internet nicht isoliert – also getrennt von dem Interesse der Nutzer*innen an anderen Informationen – regulieren lässt, bestätigt schon dieser erste Fall.
Parallel zu diesen im wahrsten Sinne des Wortes spannenden Entwicklungen in Deutschland erscheint der Blick nach Europa interessant, wo der jüngst vorgelegte Art. 37 des Entwurfs für einen Digital Services Act (DSA-E) zeigt, dass es auch anders gehen kann. Danach sollen vor dem Hintergrund der Pandemie in öffentlichen Notfällen, etwa im Gesundheitsbereich, Plattformen dazu veranlasst werden, unter Wahrung von Transparenzanforderungen Krisenprotokolle zur bevorzugten Behandlung von Informationen der Mitgliedstaaten oder der EU zu etablieren (Art. 37 Abs. 2 a) DSA-E). Das klingt nach der Pflicht zur Ausstrahlung amtlicher Verlautbarungen, wie wir sie bereits seit vielen Jahren im Bereich klassischen Rundfunks kennen. Ob das BMG-Portal aber eine amtliche Verlautbarung oder vielmehr ein aufgrund fehlender Staatsferne unzulässiges Informationsangebot ist, bleibt fraglich, und bedarf ggf. eines weiteren Blogbeitrags.
Martin Fertmann ist Junior Researcher und Stephan Dreyer ist Senior Researcher am Leibniz Institut für Medienforschung (Hans Bredow Institut). Prof. Dr. Wolfgang Schulz ist Direktor des Instituts.