Ein Kommentar von Benjamin Küchenhoff.
Das LG Hamburg hat in der vergangenen Woche entschieden, dass der bloggende Journalist Stefan Niggemeier pflichtwidrig gehandelt hat, als er den beleidigenden Kommentar eines Lesers, abgegeben am Sonntag um 3:37 Uhr, erst sechseinhalb Stunden später entdeckte und löschte (Telemedicus berichtete; siehe auch hier). Das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor.
Von der mündlichen Verhandlung berichtet Stefan Niggemeier heute selbst in seinem Blog, und spricht einen wunden Punkt an:
"Würde sich das Rechtsverständnis des Hamburger Landgerichts, wie es sich in vielen Entscheidungen zeigt, durchsetzen, wäre das das Ende der offenen Diskussion in Foren, Blogs und Online-Medien. Denn das Risiko, ein Forum oder ein Blog zu betreiben, das sich in irgendeiner Form mit heiklen Themen oder dubiosen Geschäftspraktiken befasst, wäre viel zu groß."
Das Bundesverfassungsgericht hat es seinerzeit nicht schöner formulieren können:
"Die Spontanität freier Rede […] ist Voraussetzung der Kraft und der Vielfalt der öffentlichen Diskussion, die ihrerseits Grundbedingung eines freiheitlichen Gemeinwesens ist. Soll diese Kraft und Vielfalt generell erhalten bleiben, dann müssen im Einzelfall Schärfen und Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes oder ein Gebrauch der Meinungsfreiheit in Kauf genommen werden, der zu sachgemäßer Meinungsbildung nichts beitragen kann […]. Die Befürchtung, wegen einer wertenden Äußerung einschneidenden gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu werden, trägt die Gefahr in sich, jene Diskussion zu lähmen oder einzuengen und damit Wirkungen herbeizuführen, die der Funktion der Freiheit der Meinungsäußerung in der durch das Grundgesetz konstituierten Ordnung zuwiderlaufen […]"
Die beiden Fälle sind nicht vollkommen gleich: Bei Stefan Niggemeier geht es um die Haftung des Blogbetreibers für unzulässige Kommentare, im damals vor dem BVerfG entschiedenen Fall ging es um die inhaltliche Zulässigkeit einer Meinungsäußerung.
Vergleichbar sind aber die befürchteten Konsequenzen: Wird die Meinungsäußerungsfreiheit von allzu vielen Kontrollerfordernissen eingeschränkt, verliert sie allmählich ihre Wirkung, weil jeder, der sich äußern will, Angst vor den Konsequenzen hat. Nicht ohne Grund verbietet das Grundgesetz in Art. 5 Abs. 1 S. 3 die "Zensur", also die staatliche Vorabkontrolle von Meinungsäußerungen. Eine Rechtslage, welche die nicht-staatliche Selbstkontrolle zur Abwendung finanzieller Konsequenzen einfordert, kommt der staatlichen Zensur im Ergebnis schon ziemlich nahe.
Natürlich muss es möglich sein, ehrverletzende Behauptungen unterbinden zu lassen. Bei der notwendigen Abwägung zweier Rechtsgüter darf aber keines der beiden hinten herausfallen; sie müssen in einen "schonenden Ausgleich" gebracht werden (praktische Konkordanz, z.B. BVerfGE 91, 1ff., 21). Das LG Hamburg fordert nun eine Präventivkontrollpflicht jedes Blogbetreibers für Kommentare, um wenige Stunden andauernde Ehrverletzungen zu verhindern. Aus meiner Sicht ist diese Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrschutz unverhältnismäßig, denn aus verschiedenen Gründen ist die Gefahr von Ehrverletzungen in Internet-Kommentaren als sehr gering einzuschätzen:
Das LG Hamburg geht zu weit, wenn es von jedem Foren- oder Blogbetreiber in „brisanten“ Fällen eine Vorabkontrolle verlangt, um derart geringfügige, nur für kurze Zeit veröffentlichte Ehrverletzungen zu verhindern. Eine derart weitgehende Einschränkung greift unverhältnismäßg in das Grundrecht der freien Meinungsäußerung ein und ist daher aus meiner Sicht verfassungswidrig.