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Kochbuch vs. Chefkoch – BGH serviert Neues zur Forenhaftung

Das Web 2.0 hat ein vermeintlich geniales Geschäftsmodell hervorgebracht: Mit einer Website wird dem Nutzer eine Plattform zur Verfügung gestellt, auf der er eigene Inhalte einstellen kann. Im Gegenzug gibt es Aufmerksamkeit, Anerkennung und das Gefühl, zu einer „Community“ zu gehören. Der Plattformbetreiber lässt sich Traffic von seinen Nutzern generieren. Blogs, Foren, Ratgeber-Communities und Social Networks leben von diesem Konzept des „Mitmachwebs“. Die rechtliche Frage dabei: Wie und wie weit haftet ein Plattformbetreiber für Inhalte, die er nicht selbst erstellt hat?
Zum Sachverhalt

Der nun vom BGH entschiedene Fall „marions-kochbuch.de“ (Az. I ZR 166/07) ist schnell erzählt: Anders als der Titel der Entscheidung vermuten lässt – die Vorinstanz hatte ihre Entscheidung noch „Chefkoch“ getauft – war Beklagter nicht der im Internet nicht ganz unbekannte Fotograf, der gemeinsam mit seiner Ehefrau die Website www.marions-kochbuch.de betreibt. Dieser war vielmehr Kläger. Beklagte war die Betreiberin des Themenportals www.chefkoch.de. Auf diesem Portal können sich angemeldete Nutzer mit anderen über Kochrezepte austauschen. Sie können sich in Foren gegenseitig rund um das Thema kochen beratschlagen und auch eigene Kochrezepte einstellen. Zum gerichtlichen Fall wurde das Portal, weil die Nutzer jedenfalls in der Vergangenheit ihre eingestellten Rezepte mit eigenen Fotos garnieren und auf der Website veröffentlichen konnten.

Mehrfach hatten Nutzer dabei Fotos hochgeladen, an denen sie keine Nutzungsrechte besaßen. Fotos, gleich welcher künstlerischen Qualität, sind bekanntlich als sog. „Lichtbilder“ urheberrechtlich geschützt (§ 72 Abs. 1 UrhG). Einige der auf www.chefkoch.de eingestellten Fotos wurden offensichtlich von der Website www.marions-kochbuch.de kopiert. Geklagt wurde nun nicht gegen die einzelnen Nutzer. Diese handeln nämlich unter einem anonymen oder pseudonymen Nutzernamen. Beklagter war vielmehr der einfacher zu identifizierende Betreiber der Website www.chefkoch.de.

Haftung für fremde Inhalte

Die entschiedenen Fragen betreffen alle Betreiber von Portalen mit nutzergeneriertem Content: Inwieweit ist ein Portalbetreiber für fremderstellte Inhalte verantwortlich? Kann er sich darauf berufen, er selbst stelle nur eine Plattform zur Verfügung, verantwortlich für die eingestellten Inhalte sei der jeweilige Nutzer? Kann er sich damit verteidigen, eine Überprüfung der Inhalte sei ihm, wenn schon nicht technisch unmöglich, dann doch zumindest nicht zumutbar? Oder macht er sich fremde Inhalte „zu eigen“ und ist daher auch für rechtsverletzende Inhalte so verantwortlich, als hätte er sie selbst erstellt?

Die Vorinstanz, das Hanseatische Oberlandesgericht, hatte das in dem nun entschiedenen Fall bejaht. Es hatte eine Verurteilung des Plattformbetreiber nicht nur auf Unterlassung, sondern – und das war die eigentliche Sensation – auch auf Schadensersatzzahlung bestätigt.

Telemediengesetz, Störerhaftung und Schadensersatz

Zur Erinnerung: Bis zur Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ galt in Fällen wie diesen grundsätzlich Folgendes: Für Unterlassungsansprüche gilt das Privileg des Telemediengesetzes (§ 10 TMG) nicht, wonach eine Diensteanbieter für fremde Inhalte grundsätzlich nicht verantwortlich ist. Ein Plattformbetreiber, der „zumutbare Prüfpflichten“ verletzt, also z.B. nach Hinweis auf eine Rechtsverletzung diese nicht sofort abstellt, haftet als sog. „Störer“ auf Unterlassung, aber eben auch nur auf Unterlassung. Auf Schadensersatz haftet der Störer nicht. Ob jemand „Störer“ oder „Täter“ einer Wettbewerbsrechtsverletzung oder einer Verletzung vom Marken- oder anderen Immaterialgüterrechten ist, ist nicht nur juristische Kosmetik. Die Beurteilung hat vor allem Folgen für die Frage, ob nur Unterlassung oder auch Schadensersatz geschuldet wird.

BGH Jugendgefährdende Medien bei eBay

In der Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ (BGH, Urteil vom 12.7.2007 – I ZR 18/04, GRUR 2007, 890) hatte der BGH zunächst festgestellt, dass die Betreiberin der Handelsplattform „eBay“ für Drittangebote von jugendgefährdenden Schriften auf Ihrer Plattform nicht nur als Störerin, sondern sogar als Täterin einer Wettbewerbsverletzung haften kann. Dies sei der Fall, wenn sie „wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten“ verletzt habe. Das wiederum beurteile sich, so wörtlich „entsprechend den zur Störerhaftung entwickelten Grundsätzen“ (Ziff. 38 des Urteils), nämlich danach ob dem Plattformbetreiber eine Prüfung zuzumuten ist.

BGH: Halzband

In einer weiteren Entscheidung vom 11.3.2009 (BGH, Urteil vom 11.3.2009 – I ZR 114/06, GRUR 2009, 597 – Halzband) hatte der BGH diese ursprünglich zum Wettbewerbsrecht entwickelten Grundsätze auf Urheberrechts- und Markenrechtsverletzungen ausgedehnt. Er hatte nun aber für den Unterlassungsanspruch ausdrücklich keinen Verstoß mehr gegen „zumutbare Prüfpflichten“ vorausgesetzt. Der Sachverhalt: Der Inhaber eines eBaykontos hatte sich gegen den Vorwurf einer Markenrechtsverletzung mit der Behauptung verteidigt, nicht er, sondern seine Ehefrau habe das markenrechtsverletzende Angebot eines „Halzbands“ eingestellt. Davon und von bisherigem rechtsverletzenden Tun seiner Ehefrau habe er nichts gewusst. Der BGH hat hat allein deswegen eine Haftung als Täter und nicht nur als Störer einer Marken- und Urheberrechtsverletzung bejaht, weil der Beklagte Ehemann die Zugangsdaten für seinen Account nicht ausreichend unter Verschluss gehalten hatte: „Die Haftung des Bekl. setzt, soweit es um den Unterlassungsanspruch geht, hier – anders als die Störerhaftung – keinen Verstoß gegen weitere Prüfungspflichten voraus“ (Ziff. 20 des Urteils).

Inhalte „zu eigen gemacht“

Folglich hatte der BGH hier auch eine Haftung nicht nur auf Unterlassung, sondern auch auf Schadensersatz bejaht.

In dem nun entschiedenen Fall dürfte diese Rechtsprechung fortgesetzt werden. Der BGH hat das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts bestätigt. Bisher liegt eine schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vor. Der BGH dürfte aber im Wesentlichen den Argumenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts gefolgt sein: Der Betreiber der Plattform www.chefkoch.de habe sich die Inhalte seiner Nutzer „zu eigen gemacht“: Das „Chefkoch-Logo“ habe prominent über den Inhalten gestanden, insbesondere seien damit auch die jeweiligen Fotos gekennzeichnet worden. Der Plattformbetreiber habe daher die von den Nutzern hochgeladenen Fotos mit seinem „digitalem Eigentumshinweis“ versehen. In den Nutzungsbedingungen sei außerdem darauf hingewiesen worden, dass die Inhalte redaktionell „sorgfältig überprüft“ würden. Für den „verständigen Internetnutzer“ sei deshalb von einem eigenen Angebot der Betreiber der Chefkoch-Plattform auszugehen. Dadurch, dass die beklagte Plattformbetreiberin es zugelassen habe, dass Fotos unter Verwendung von Pseudonymen eingestellt wurden und diese Fotos zusammen mit den fremdeingestellten Rezepten die „Kernelemente“ ihres Angebots seien, hat sie Urheberrechtsverletzungen zumindest fahrlässig verwirklicht.

Die Folge laut Oberlandesgericht: Die Beklagte habe ihre Plattform auf rechtsverletzende Inhalte überprüfen müssen. Sie hätte insbesondere Hemmschwellen oder Prüfmechanismen einbauen müssen, um die Nutzung von rechtsverletzenden Fotos zu verhindern. Dies umso mehr, weil sie von vergangenen Rechtsverletzungen Kenntnis hatte. Weil sie dies nicht getan habe, hafte sie nicht nur als Störerin, sondern als Täterin. Damit dürfte der bisherige Grundsatz des BGH, wonach einem Plattformbetreiber keine unzumutbaren Prüfpflichten auferlegt werden, die das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen (BGH Urteil vom 11.3.2004 – Az. I ZR 304/01 – Internetversteigerung I und BGH Urteil vom 19.4.2007 – Az. I ZR 35/04, Ziff. 47 – Internetversteigerung II) endgültig der Vergangenheit angehören.

Entscheidend ist der berühmte „Einzelfall“

Die Betreiber von Internetforen, Blogs und Communities werden künftig also viel sorgfältiger und aufwändiger als bisher prüfen müssen, ob ihre Nutzer rechtsverletzende Inhalte einstellen. Wie umfangreich zu prüfen ist, entscheidet der berühmte „Einzelfall“. Einige Grundregeln zeichnen sich ab: Je eher Rechtsverletzungen möglich sind, desto umfangreicher muss Rechtsverletzungen vorgebeugt werden. Wer also beispielsweise seine Nutzer anonym oder pseudonym agieren lässt, muss umfangreichere Vorkehrungen treffen. Umgekehrt müssen dort weniger Vorkehrungen getroffen werden, wo Hemmschwellen oder Kontrollmechanismen eingebaut werden. Solche Kontrollmechanismen könnten etwa Pflichtangaben über die Inhaberschaft an Rechten an den eingestellten Inhalten sein. Kurzum: Inhalten, die die Nutzer generieren, wird man künftig aufwändiger prüfen müssen.

Dies wird die Gewinnmargen von manch vermeintlich hochattraktivem Geschäftsmodell im Web 2.0 senken.

Zur Pressemeldung des BGH.

, Telemedicus v. 16.11.2009, https://tlmd.in/a/1571

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