Das lang erwartete Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Prof. Dr. Paul Kirchhof zur Reform der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist soeben in Berlin veröffentlicht worden. Im Laufe des Tages werden auch noch ARD, ZDF und Deutschlandradio das Gutachten in einer eigen Pressekonferenz vorstellen.
In der 85-seitigen Stellungnahme kommt Professor Kirchhof insbesondere zu dem Ergebnis, dass das derzeitige Modell der Rundfunkfinanzierung reformbedürftig ist. Er empfiehlt die Abkehr von der gerätebasierten Gebührenerhebung und plädiert für die Einführung einer Haushalts- und Betriebsstättenabgabe. Wobei er auch begrifflich von einem neuen „Rundfunkbeitrag“ spricht.
„Empfangsgerät ist ein ungeeigneter Anknüpfungspunkt”
In den Schlussthesen seines Gutachtens formuliert er zur Reformbedürftigkeit des aktuellen Finanzierungsmodells:
Das Empfangsgerät ist ein ungeeigneter Anknüpfungspunkt, um die Nutzer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tatbestandlich zu erfassen und die Nutzungsintensität sachgerecht zu unterscheiden. Wegen dieser fehlerhaften Bemessungsgrundlage erreicht die Rundfunkabgabe nicht mehr alle Rundfunkempfänger, gewöhnt viele – auch jugendliche – Menschen an die Illegalität, schafft Ungleichheit unter den Nutzern. Sie ist deshalb rechtstaatlich bedenklich. Wenn die Vollzugsmängel des gegenwärtigen Abgabenrechts die Intensität eines strukturellen Erhebungsdefizits erreichen, wird auch das materielle Recht verfassungswidrig.
Bei einer Reform der Rundfunkfinanzierung empfielt er eine Abkehr von der geräteabhängigen Gebührenerhebung:
Der bisherige geräteabhängige Rundfunkbeitrag genügt diesen Anforderungen nicht. Die tatbestandliche Anknüpfung an das Empfangsgerät erfasst heute den Tatbestand der typischen Nutzergemeinschaft von Haushalt und Betriebsstätte nicht mehr verlässlich. Während in den Gründerzeiten des Fernsehens ein Gerät die Nutzergemeinschaft in Haushalt und Betriebsstätte zusammenführte, trägt heute jedermann sein Rundfunk- und Fernsehgerät in seinem Handy oder PC mit sich. Die verfassungsrechtlich gebotene Reform gilt deshalb nicht dem Beitrag, der von den Haushaltungen und Gewerbebetrieben geschuldet wird, sondern dessen Ausgestaltung in dem formalen Tatbestand des Empfangsgerätes.
Vielmehr spricht er sich im Ergebnis dafür aus, anstelle der Geräteorientierung eine Haushalts- bzw. Betriebsstättenabgabe vorzusehen:
Die Reform des Rundfunkbeitrags tauscht lediglich den Tatbestand des Empfangsgeräts gegen den Tatbestand des Haushalts und des Gewerbebetriebs aus. In dieser schonenden Korrektur gewinnt die Rundfunkfinanzierung eine neue Plausibilität, vermeidet Probleme mit dem europäischen Wettbewerbsrecht und sichert einem einsichtigen Belastungstatbestand einen einfachen und verlässlichen Vollzug.
Markt- und staatsunabhängige Abgabe
Der Rundfunkbeitrag soll markt- und staatsunabhängig erhoben werden, um die die Unabhängigkeit der Rundfunkfinanzierung von der tatsächlichen Nutzung der einzelnen Sendungen zu sichern. Auch ein genereller Verzicht auf Werbung und Sponsoring bei Eigenproduktionen soll dazu beitragen. Auf der anderen Seite sollen Ausnahmeregelungen, etwa für „Empfangsunfähigkeit” oder soziale Härtefälle, eng gefasst bleiben.
Bereits im letzten Jahr hatte Professor Armin Dittmann in einem Gutachten ebenfalls die Verfassungsmäßigkeit der Haushaltsabgabe festgestellt. Das Kirchhof-Gutachten dürfte dennoch die letzten entscheidenden Impulse für eine Reform geben.
Die Länder werden sich voraussichtlich schon bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 9. Juni mit der Frage einer „GEZ-Reform” befassen. Expertenkreise gehen allerdings davon aus, dass diese frühestens im übernächsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag Berücksichtigung finden wird.
Das Kirchhof-Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (PDF).
Die Pressemitteilung der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz.
Update (10. Mai 2010)
Inzwischen hat sich Telemedicus eingehend mit dem Gutachten befasst: