Autowerkstätten und Kfz-Teilehändler benötigen vom jeweiligen Hersteller eine Vielzahl an Daten für Ihr Geschäft. Aber was bleibt, wenn der Hersteller nicht kooperiert und Daten nur unzureichend preis gibt? Ende Januar hat das Landgericht Frankfurt am Main dem Autohersteller KIA aufgegeben, unabhängigen Marktteilnehmern den Zugang zu seiner VIN-Datenbank zu ermöglichen (LG Frankfurt a.M., Urteil v. 21.01.2016, Az.: 2-03 O 505/13). Die bisherige Praxis von KIA sah lediglich vor, dass Fahrzeugdaten über ein Webformular mittels einer Suchmaske erhältlich waren. Dagegen klagte der Gesamtverband Autoteile-Handel (GVA) und bekam nun recht. Unabhängige Autoteilehändler und Werkstädte können damit einfacher auf Fahrzeugdaten zugreifen. Eine Besprechung auf Basis des Urteils-Volltextes:
In vielen Branchen sind Daten ein wichtiges wirtschaftliches Gut und können wichtigen Einfluss auf den Wettbewerb haben. So auch für die Autoindustrie und den Markt für Kfz-Ersatzteile: Wer hier über zu wenig Informationen verfügt oder nicht schnell genug an sie gelangt, kann sich gegenüber seinen besser informierten Wettbewerbern häufig nicht durchsetzen. Dabei sind für die Unternehmen insbesondere die sogenannten vehicle identification numbers (VIN) wichtig. Über diese Nummern können einzelne Fahrzeuge sowie konkrete Ersatzteile ermittelt werden.
Immer wieder taucht dabei die Frage auf, wie weit Hersteller die Fahrzeugdaten für Ihre Zwecke nutzen können und inwiefern sie zugunsten Dritter und des Wettbewerbs zu einer Öffnung ihres Datenbestands verpflichtet sind. Denn es besteht regelmäßig ein erhebliches Informationsdefizit zulasten von Unternehmen, die nicht bereits mit dem Fahrzeughersteller vertraglich verbunden sind. Aus diesem Grund gibt es eine eigenständige Verpflichtung für die Hersteller zur Bereitstellung von Reparatur- und Wartungsinformationen in Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Verordnung 715/2007/EG (PDF):
„Der Hersteller gewährt unabhängigen Marktteilnehmern über das Internet mithilfe eines standardisierten Formats uneingeschränkten und standardisierten Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen auf leicht und unverzüglich zugängliche Weise und so, dass gegenüber dem Zugang der autorisierten Händler und Reparaturbetriebe oder der Informationsbereitstellung für diese keine Diskriminierung stattfindet.”
In dem vorliegenden Rechtsstreit ging es nun um die Frage, wie diese Pflicht durch Kfz-Hersteller konkret zu erfüllen ist. Der klagende Gesamtverband Autoteile-Handel (GVA) vertrat hierbei unabhängige Marktteilnehmer gegenüber KIA. Dies sind Unternehmen, die nicht als autorisierte Vertriebspartner bereits mit dem Autohersteller verbunden sind. Als solche bemängelten sie, dass ihnen die Fahrzeugdaten von KIA nur über eine Webseite zur Verfügung gestellt wurde. Damit käme KIA seiner regulatorischen Pflicht als Inhaberin von EG-Systemgenehmigungen aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Verordnung 715/2007/EG nicht ausreichend nach. Stattdessen müsse das Unternehmen unbeschränkten Zugang auf die in der Datenbank hinterlegten Daten selbst in ihrer Gesamtheit gewähren. Die unabhängigen Unternehmen müssten auf die Daten elektronisch so zugreifen können, dass sie die Daten ohne Schwierigkeiten weiter verarbeiten können.
Kia wehrte sich hiergegen mit der Argumentation, der Zugang über das Web-Formular sei völlig ausreichend. Darüber hinaus könne bereits aus urheberrechtlichen Gründen kein Zugang zur Datenbank gewährt werden, da sie nicht über die hinreichenden Rechte verfüge, sondern ein anderes Unternehmen aus dem Konzern die Datenbank betreibe.
Die Kammer des Landgerichts musste im Wesentlichen die Frage beantworten, wie KIA der regulatorischen Pflicht zur Informationsbereitstellung nachkommen muss. Reicht bereits eine Webseite mit Suchformular oder muss die vollständige Datenbank „in Gänze” zur Verfügung gestellt werden? Für die Sicht KIAs könnte der Wortlaut in den Anlagen der Verordnung 692/2008/EG (PDF) sprechen. Dort ist teilweise von Webseiten die Rede.
Auf der anderen Seite ergeben sich Anhaltspunkte, dass es um mehr als nur eine online gehaltene Webseite gehen könnte. Zum Beispiel wird in Erwägungsgrund 8 der Verordnung 715/2007/EG ein standardisiertes OASIS-Format vorgeschlagen. In den Erwägungsgründen 12 und 18 der Verordnung 692/2008/EG wird dies weiter ausgeführt. Demnach sollte ein gemeinsames strukturiertes Verfahren für den Austausch von Daten zur Verfügung stehen. Soweit dies noch nicht der Fall ist, sollte das Europäische Kommitee für Normung eines entwickeln, das in die bereits bestehende IT-Infrastruktur integrierbar ist.
Allerdings regeln diese Punkte nur die Art und Weise des Zugangs zur Datenbank, nicht aber eine vollständige Überlassung. Deshalb müsse KIA nach Ansicht des Gerichts den unabhängigen Marktteilnehmern den Zugang zu ihrer Datenbank über Schnittstellen und Formate bereitstellen. Der bisherige Zugang über die Webseite mit Suchfunktion sei nicht ausreichend. Dieser sei nämlich nicht standardisiert, sondern der Webseitenbetreiber mache die genauen Vorgaben. Die nachfragenden unabhängigen Marktteilnehmer müssten in der Lage sein, die zur Verfügung gestellten Informationen mittels eigener technischer Lösungen abzufragen und weiter zu verwenden. Dies entspreche der Pflicht, einen „klassischen Internetdienst” bereit zu stellen.
Damit dürfte das Gericht wohl meinen, dass es nicht nur um eine bloße Bereitstellung von Informationen gehen soll. Stattdessen trifft den Hersteller eine Vorleistungspflicht. Dass er möglicherweise aufgrund konzerninterner Aufteilungen überhaupt nicht Rechteinhaber in Bezug auf die Datenbank ist, muss dabei außen vor stehen. Denn anderenfalls könnte sich ein Hersteller allein durch vertragliche Vereinbarungen seiner regulatorischen Pflicht aus Art. 6 der Verordnung 715/2007/EG entziehen und den Zugangsanspruch vereiteln. Dabei soll er den Zugang standardisiert gewährt werden. Damit ergibt sich für Unternehmen die Möglichkeit, eigene Lösungen zu entwickeln, wie sie an die Datenbank gelangen und diese für ihre Zwecke auswerten.
Für die Auto-Branche ist mit dieser Entscheidung einiges einfacher geworden. Denn das Gericht hat die gesetzlich angeordnete Pflicht zur Bereitstellung der Informationen konkretisiert, sodass Klarheit für beide Seiten besteht. Die nachfragenden unabhängigen Unternehmen haben die Möglichkeit, einfacher als vorher an Daten zu gelangen und diese ihren Geschäftszwecken entsprechend zu verwenden. Damit stehen ihre wettbewerblichen Bedingungen deutlich besser als vorher. Daneben hat die Entscheidung auch eine Signalwirkung für die Branche – denn sie bestätigt den Zugang zur Datenbank über standardisierte Schnittstellen als die erforderliche – aber auch ausreichende – Dienstleistung. Außerdem zeigt die Entscheidung, dass es für Hersteller schwer sein dürfte, Daten zu Lasten des Wettbewerbs für eigene Zwecke zu monopolisieren.
Das Urteil steht aber auch in einer Reihe mit der Entscheidung des Kartellsenats des BGH zum Porsche-Tuning vom letzten Jahr (Az.: KZR 87/13), die ich anderweitig besprochen (PDF) habe. Dort hatte ein Unternehmen, das von Porsche aufgrund seiner autonomen Bezugskonzentration abhängig war, den Zugang zu einem Diagnose- und Informationssystem verlangt und zugesprochen bekommen. Der BGH hat dort entschieden, dass die Verweigerung des Zugangs ein Missbrauch der relativen Marktmacht Porsches bedeute. Damit zeigt sich erst recht, dass jedenfalls in dieser Branche eher die Interessen überwiegen, Daten verkehrsfähig zu halten und dadurch Wettbewerb zu ermöglichen.