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Kein Zwitschern aus dem Gerichtssaal

Vor wenigen Tagen musste Apple ein Versäumnisurteil gegen Samsung vor dem Landgericht Mannheim hinnehmen. Grund war eine von vielen Patentstreitigkeiten zwischen den Konkurrenten. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass Apples Anwälte – wahrscheinlich aus prozesstaktischen Gründen – nicht erschienen waren. Berichtet hatte fortwährend Florian Müller auf dem Blog FOSSpatents. Dieser kündigte zwischenzeitlich auch an, live aus den Verfahren tweeten zu wollen. Das ging dem zuständigen Richter allerdings zu weit: Er untersagte nun „Live-Tweets“ aus der Verhandlung.
Keine Tweets aus dem Gerichtssaal

Florian Müller bloggte am Freitag erneut über die Verfahren. An einer Stelle wies er dabei auch auf ein Tweet-Verbot hin:

At the beginning of the hearing, the judge emphasized that he does not allow live reporting from his court sessions. He said such hearings are public, but not in terms of a media event, and he said that the use of mobile phones in the courtroom is not allowed.

Frei übersetzt: „Am Anfang der mündlichen Verhandlung betonte der Richter, dass er Live-Berichterstattung aus seinen Sitzungen nicht erlaube. Er sagte, dass solche Anhörungen zwar öffentlich seien, allerdings nicht im Sinne eines Medienereignisses. Er sagte ausserdem, dass in seinem Gerichtssaal keine Mobiltelefone erlaubt seien”.

Der Richter habe in einem Blog gelesen, dass man über seine Verhandlungen tweeten wolle. Dies wolle er allerdings nicht erlauben. Müller hatte selbst in einem früheren Blogeintrag darauf hingewiesen, dass er live aus dem Gerichtssaal tweeten werde. Damit hat er den Richter möglicherweise auf seine Fährte gelockt.

Öffentlichkeit vs. Saalöffentlichkeit

Anknüpfungspunkt für die Gerichtsberichterstattung ist § 169 GVG. Die Vorschrift im Wortlaut:

Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig.

Das bedeutet zunächst, dass grundsätzlich das gesamte Gerichtsverfahren öffentlich ist, soweit die Parteien beteiligt sind. Die Vorschrift hat eine wichtige Kontrollfunktion: sie sorgt dafür, dass die Handlungen und Entscheidungen der Justiz unmittelbar von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden können und beugt damit der Gefahr einer Geheimjustiz vor.

Allerdings gibt es auch Ausnahmen von diesem Grundsatz. So sieht bereits der Satz 2 der Vorschrift vor, dass Ton-, Fernseh- und Filmaufnahmen während der Verhandlung unzulässig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach bestätigt, dass diese Einschränkung zulässig ist: Der Zutritt zu Gerichtsverhandlungen müsse nur im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten eröffnet sein. Dass Medienaufzeichnungen darüber hinaus verboten sind, sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn es gebe vielfältige Gründe, wie die unmittelbare Berichterstattung den Verfahrensablauf beeinflußen könnte, „etwa auf Grund der Prangerwirkung der öffentlichen Darstellung des Verhaltens vor Gericht oder wegen der nachhaltigen Erinnerung eines großen Teils der Öffentlichkeit an das Verfahren, die beispielsweise eine spätere Resozialisierung erschweren können”.

„Neue” Medien nicht erfasst – Tweeten trotzdem verboten

Eindeutig nicht vom Wortlaut erfasst sind aber „neue” Medien. Möglich wäre allenfalls eine Analogie: Die Vorschrift könnte entsprechend auch auf neue Medien anwendbar sein. Ob dies hier möglich ist, hat Henning Krieg bereits im Jahr 2009 in der juristischen Fachzeitschrift Kommunikation & Recht erläutert. Klare Antwort: Jein! „Für eine teleologische Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 169 S. 2 GVG ergibt sich zwar ein gewisser Raum, allerdings keine zwingende Notwendigkeit”.

Das bedeutet aber, dass das tweeten aus dem Gerichtssaal grundsätzlich erlaubt ist. Der Mannheimer Richter kann aber trotzdem ruhigen Gewissens jedenfalls das tweeten verbieten, ohne „contra legem“ zu verfahren. Denn er hat § 176 GVG auf seiner Seite: dieser legt fest, dass die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden obliegt. Darauf kann ein Richter demnach auch ein Tweetverbot stützen, wenn er dies für einen geordneten Ablauf erforderlich hält. Dieses zugegeben etwas schwammige Kriterium kann daher wohl in jedem Fall ein entsprechendes Verbot stützen. Denn (noch) schickt es sich nicht, sich mit mobilen Geräten im Gerichtssaal zu beschäftigen. Wenn dann noch die Überlegung hinzu tritt, dass Verfahrensbeteiligte vor den „Gefahren” einer unmittelbaren medialen Gerichtsberichterstattung geschützt werden sollen, wird es schwierig, das Verbot ernsthaft in Frage zu stellen.

Es gibt gute Gegenargumente. Und man darf sich durchaus fragen: Gilt das Verbot nur für Mobiltelefone? Was ist mit meinem Tablet-PC? Das ändert aber nichts daran, dass ein solches Verbot wieder nur durch gerichtliche Überprüfung zu Fall gebracht werden könnte. Florian Müller selbst prophezeit dementsprechend, dass sich zu gegebener Zeit sogar das Bundesverfassungsgericht mit einem Verbot von „wireless devices“ wird auseinandersetzen müssen.

Henning Krieg zum Tweetverbot aus Mannheim.

Und siehe da: In England ist Live-tweeten erlaubt.

  • Fritz Pieper

    Fritz Pieper ist Rechtsanwalt bei Taylor Wessing.

, Telemedicus v. 15.11.2011, https://tlmd.in/a/2111

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