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JMStV: Nachrichten-Privileg für Blogger?

In der Debatte um den JMStV wird teils vorgetragen, Blogger könnten für sich das Berichterstattungsprivileg aus dem JMStV in Anspruch nehmen. So schreibt z.B. Udo Vetter in seinem auch sonst sehr lesenswerten Beitrag:

Überdies werden sich die viele Blogger darauf berufen können, (auch) tagesaktuelle, gesellschaftlich relevante Themen zu diskutieren und damit auf der Ebene üblicher redaktioneller Angebote zu stehen. Diese sind aber grundsätzlich von den Vorschriften ausgenommen. (…) Ich bin zuversichtlich, dass Gerichte eine Vielzahl von Blogs ebenfalls als ein quasi-journalistisches Angebot ansehen würden mit der Folge, dass sich die Frage nach Altersklassifikationen für sie gar nicht stellt.

Das betreffende Privileg steht in § 5 Abs. 8 JMStV-E. Ob diese Regelung jedoch wirklich ein ganzes Blog aus der Haftung ausnehmen kann, halte ich aber für fraglich.
Die Vorschrift besagt:

Absatz 1 gilt nicht für Nachrichtensendungen, Sendungen zum politischen Zeitgeschehen im Rundfunk und vergleichbare Angebote bei Telemedien, es sei denn, es besteht offensichtlich kein berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Darstellung oder Berichterstattung.

Die Vorschrift gilt nach ihrem Wortlaut für „Sendungen” im Rundfunk bzw. für „vergleichbare Angebote” bei Telemedien. Eine Sendung ist aber kein Fernsehsender. Privilegiert sind nur einzelne Programmteile, nicht das gesamte Programm. Das bedeutet: RTL kann nicht völlig die Jugendschutz-Pflichten ignorieren, bloß weil dort auch Nachrichten laufen. Die Privilegierung gilt nur für die Nachrichten selbst. Der Film, der im Anschluss läuft, unterfällt den ganz normalen Regelungen zur Jugendmedienschutz.

Wie ist das auf Online-Medien anwendbar? Was ist denn ein einer Sendung „vergleichbares” Angebot im Internet? Ist eine Webseite in allen ihren Teilen privilegiert, auch wenn nur einzelne Beiträge sich mit Ereignissen von allgemeinem Interesse befassen? Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Könnte sich z.B. ein Blog wie Nerdcore auf das Privileg berufen? Das Blog nimmt gelegentlich zu politischen Fragen Stellung, befasst sich aber überwiegend mit Kunst- und Designprojekten, die in Einzelfällen durchaus jugendschutzrechtlich problematisch sein können.

Sicherlich könnte man vertreten, dass auf einer Webseite, genau wie in einer Zeitung, die einzelnen Inhalte so eng miteinander verwoben sind, dass die Privilegierung auch auf die Artikel durchschlagen muss, die nicht konkret mit Nachrichten und Zeitgeschehen zu tun haben. Immerhin sind in einem Blog die Inhalte miteinander verlinkt, nehmen häufig aufeinander Bezug, verstehen sich teilweise sogar als Fortsetzungswerk. So sieht z.B. Liesching im Beck´schen Online-Kommentar zum JMStV die sehr ähnliche Klausel in § 5 Abs. 5 JMStV auch auf „Internet-Nachrichtenportale” anwendbar (Liesching, BeckOK JMStV, Stand: 25.02.2010, § 5 Rn 15). Auch Jens Ferner hat sich dieser Ansicht, unter Hinweis auf die verfassungsrechtliche Rahmensituation, angeschlossen.

Ich denke aber, eine solche allgemeine Privilegierung für Blogs oder ganze „Internet-Portale” ist von § 5 Abs. 8 JMStV-E nicht gemeint. Aus dem Begriff „Sendungen” wird deutlich, dass nicht das gesamte inhaltliche Angebot gemeint ist sondern nur die jeweiligen Artikel und Blog-Einträge. Auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich das selbe. Zweck der Vorschrift ist es nicht, eine allgemeine Ausnahme für alle Medien zu schaffen, die gelegentlich über Politik berichten. Gemeint sind ganz bestimmte Inhalte. Trotz der Bezugnahme auf „Nachrichtenportale” wird in den Kommentierungen, auch bei Liesching, deutlich, dass nur und ausschließlich der Inhalt, der nachrichtenmäßig verbreitet wird, gemeint ist. Es ist nicht nur bei jeder Sendung, sondern sogar bei jeder einzelnen Darstellung abzuwägen, ob ein überwiegendes Interesse daran besteht, gerade diesen jugendgefährdenden Inhalt trotzdem zu zeigen (Hertel, Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 2. Auflage 2008, JMStV § 5 Rn 23; vgl. auch KJM, Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien, S. 40 ff. [PDF]).

Für Blogger bedeutet das: Aktuell ist noch nicht ganz sicher, wie weit das Berichterstattungsprivileg reicht. Rechtssicherheit könnte hier nur eine Gerichtsentscheidung oder ein Stellungnahme der zuständigen Aufsichtsinstanz, der KJM, bringen. Die KJM hält auf ihrer Webseite zwar eine umfangreiche Handreichung vor, nimmt zu dieser Frage aber trotzdem bisher nicht Stellung.

So lange dies nicht gegeben ist, sollte man m.E. von folgendem ausgehen: Eine generelles Privileg für Blogs oder andere Webseiten gibt es nicht. Wer Inhalte zugänglich macht, die auch andere Themen behandeln als politisches Zeitgeschehen, unterfällt unter Umständen der Jugendschutz-Pflicht. Welche Pflichten es für welche Typen von Inhalten gibt und wie diese erfüllt werden können, wird demnächst ein anderer Beitrag erörtern.

Zum Eintrag bei Udo Vetter.

Zum Eintrag bei Jens Ferner.

Besprechung des JMStV bei Telemedicus.

Volltext des JMStV bei Telemedicus.

, Telemedicus v. 02.12.2010, https://tlmd.in/a/1907

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