Als Bundesinnenminister Thomas de Maiziére seine 14 Thesen der Netzpolitik präsentiert hat, kam er auch auf „Google Street View” zu sprechen. Dabei erwähnte er einen „Blogger”, der per Twitter die Netzgemeinde aufgerufen hatte, sich dem Entfernen von Bildern aus Google Street View zu widersetzen: Jedes Haus, das womöglich wegen Widersprüchen von Mietern oder Eigentümern in Deutschland von Google ausgeblendet werden muss, soll danach erneut fotografiert und geogetagged werden.
Der Urheber dieser Kampagne und besagte Blogger ist Jens Best. Der Fotograf und IT-Berater hat nicht nur bezüglich Google Street View ambitionierte Ansichten. Anlässlich der heutigen Verhandlung des „Lex Street View” im Bundesrat hat Telemedicus ihm einige Fragen gestellt.
Herr Best, wie finden Sie Google „Street View“?
Ich halte es für einen weiteren Schritt zu mehr öffentlich verfügbarem Raum im Digitalen. Das Internet ist ja schon immer die digitale Ebene der einen Realität gewesen. Mit den Fotowelten, zum Beispiel in „Street View“, versteht das jetzt auch der Letzte. Ich hoffe keiner von denen, die aktuell von Street View irritiert sind, schlägt das Wort „augmented reality“ nach.
Was halten Sie von dem Gesetzesentwurf, den Hamburg und Saarland in den Bundesrat eingebracht haben und über dessen weiteres Schicksal dort heute abgestimmt wird?
Der Hamburger Entwurf zeigt wenig Respekt vor dem Öffentlichen Raum. Der öffentliche Raum ist im Sinne des Hamburger Gesetzesentwurfs nur dann gut, wenn „jedermann“ im digitalen Zeitalter nichts Großartiges damit anfangen kann.
Es wird suggeriert, es gäbe wegen der Allverfügbarkeit den Bedarf weiterer Datenschutzmaßnahmen. Dies geschieht nicht in einem Abwägungsprozess, sondern gesteuert durch Geisteshaltung, die immer das schlimmste befürchtet. Dem hat selbst Thomas de Maizère widersprochen, als er in seiner „Internet-Rede“ anführte, übertriebener Schutz bedeute Bevormundung. Es würden der digitalen Ebene des öffentlichen Lebens Daten entzogen, die im analogen Bereich essentieller Bestandteil der einsehbaren Realität sind.
Der Hamburger Gesetzentwurf wurde mit der „Tinte der Angst“ geschrieben. Demokratie muss Öffentlichkeit wagen, freies verantwortliches Handeln fördern. Eine der größten Chancen des digitalen Wandels, nämlich die Weiterentwicklung unseres Demokratiewesens und Bürgerverständnisses, wird durch misstrauische Geister verhindert.
Können Sie die Bedenken verstehen, die einige Menschen im Bezug auf ihre Privatsphäre haben, wenn ihre Häuser, Wohnungen oder sie selbst von Google „Street View“ erfasst werden und im Internet veröffentlicht werden?
Ich habe Respekt vor der Privatsphäre. Das Individuum braucht Rückzugsräume. Die Frage, wie Sie sie mir gestellt haben, würfelt aber einige elementar unterschiedliche Ebenen des sozialen Raums zusammen. Sie betrifft so nicht die digital-fotografische Umsetzung des öffentlichen Raums durch „Street View“. Das Recht am eigenen Bild, die Sicherheit der eigenen Wohnung sind nicht davon betroffen.
Wenn ich es richtig recherchiert habe, hat Google, bevor weltweit irgendein Datenschützer es gefordert hat, die Verpixelung von Gesichtern beim „Street View“ – Projekt eingeplant. Dass nun der Hamburger Gesetzesentwurf hier eine Strafbewehrung ergänzen will, ist doch eher der Versuch, sich als „Datensheriff“ aufzuspielen als eine wirklich notwendige Ergänzung bestehender erfolgreicher Rechtsprechung. Wenn öffentlich einsehbare Häuserfronten, Vorgärten inklusive, plötzlich als Privatsphäre deklariert werden, läuft es mir als passioniertem Fotografen, aber auch als Demokrat eiskalt den Rücken runter.
Die Reaktion der Betroffenen hält sich in Bezug auf den Service „Street View“ bei einem privaten Unternehmen wie Google jetzt noch in Grenzen. Würde aber der Staat mit kamerabestückten Autos durch deutsche Straßen fahren, wäre das für viele Menschen eine Art Horrorszenario. Glauben Sie, dass der Staat die „Street View“ – Daten in irgendeiner Form nutzen wird?
Auch Regierungsstellen können im Rahmen der Ihnen zugewiesen Veröffentlichungskompetenzen eigene Daten mit offenen Geodaten-Systemen verbinden. Leider sehe ich mehr Verhinderungs- als Umsetzungskompetenz bei den staatlichen Stellen. Die Forderungen aus der deutschen Open Government/ Open Data – Bewegung sind mehr als deutlich: Die umfassende Bereitstellung der Daten ist durch das Informationsfreiheitsgesetz verpflichtend, und lange wird nicht mehr darauf gewartet werden. Nicht der Staat hat zu entscheiden, welche Präsentationsform die Bürger für die Daten wählen. Er hat lediglich die Inhalte mit einer anständigen API zur Verfügung zu stellen und Förderprogramme auszuschreiben, um die bestmögliche Umsetzung im Wettbewerb zu finden.
Eine unfreie Gesellschaft, die wenig gelernt hat mit frei verfügbarem Material umzugehen; eine Gesellschaft, die es im Gegenteil gewohnt ist, die gesellschaftliche Realität in abendlichen 15minütigen homöopathischen Dosen verabreicht zu bekommen, hat sicherlich die ein oder andere Zuckung, wenn jeder plötzlich bequem Eins und Eins zusammenzählen kann. Dies gilt für die großen Datenbestände des zwischenmenschlichen Miteinanders genauso wie für die des Staates. Datensammeln verliert nicht per se das Stigma des Bösen. Die Verantwortung des bestmöglichen Umgangs mit Daten liegt in unser aller Hände.
„Street View“–Verfechter berufen sich immer wieder auf die Panoramafreiheit und das „Recht auf Fotografie“. Kann das wirklich richtig sein, wenn nicht einzelne Menschen eigenhändig einzelne Fotos schießen, sondern etliche Autos systematisch ganz Deutschland „abgrasen“? Wird die Panoramafreiheit damit nicht ad absurdum geführt?
Die digitalen Hilfsmittel der Informationsgestaltung erlauben es sowohl natürlichen wie auch juristischen Personen, Inhalte in größerer Menge effizient zu verarbeiten. Auch schon der Wechsel vom Pinsel zur Spiegelreflex hat einen quantitativen Sprung mit sich gebracht. Deswegen ändert sich nicht das Grundverständnis von der Abbildbarkeit des Öffentlichen Raums.
Google hat schon vor dem Hamburger Gesetzesentwurf eingeräumt, dass Bürger auf Wunsch Bilder von ihren Häusern oder sich selbst löschen können. Herr Best, Sie wollen nun trotzdem jedes Haus fotografieren, das nach dem Deutschlandstart von Google „Street View“ im Straßenbild des Dienstes fehlt und im Internet veröffentlichen. Ist das nicht unfair – immerhin haben diese Menschen extra darum gebeten, die Bilder zu entfernen?
Normalerweise gilt für mich im alltäglichen Leben Respekt vor dem Recht. Dennoch gibt es Momente, in denen auch ein höflicher Mensch auf der Umsetzung der historisch gewachsenen und teilweise hart erkämpften Rechtsauslegung bestehen sollte. Zum Beispiel dann, wenn reaktionäre Kräfte anfangen, den im deutschen Wesen schlummernden Michel aus seiner Schläfrigkeit zu rütteln, um ihn dann in üblicher geistiger Berserkerhaltung durch die Straßen zu schicken. Die Kampagne von Frau Aigner hat die Profilierungssucht einiger (Lokal-) Politiker so unerträglich mit dem Schrei des Deutschen Michels verknüpft, dass es nur eine Antwort auf dies heisere Krakeln geben kann: „Klick!“
Gab es eigentlich schon eine Reaktion von Google auf die Ankündigung Ihres ungewöhnlichen „Hilfsangebots“?
Ich hatte freundliche Gespräche mit Vertretern aus dem Hamburger Büro. Spontan haben sie keine Unterstützergruppe für mich eingerichtet, aber ich denke man teilt bei Google grundlegende Haltungen der Bedeutung freier Informationen für die Gesellschaft. Als er noch „Head of Global Public Policy and Government Affairs“ war, hatte ich ein spannendes Gespräch mit Andrew McLaughlin. Das Spannungsfeld zwischen den Aufgaben der Gewinnerwirtschaftung und der Mission „to organize the world’s information and make it universally accessible and useful“ ist sicher nicht immer einfach.
Was hält der „Normalbürger“ von Ihren Plänen?
Die meisten „Otto-Normal-User“, mit denen ich mich unterhalte, kennen den klaren Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Bereichen des menschlichen Miteinanders. Die Angst, die Menschen vor dem Missbrauch von Daten haben, fällt unterschiedlich aus. Bis jetzt hat aber niemand dem Jägerzaun ein eigenes Persönlichkeitsrecht zugesprochen. Der soziale Wandel, der durch neue Kommunikationsarten und Partizipationschancen möglich wird, fällt nicht immer auf vorbereiteten Boden. Der „Digital Divide im Geiste“ geht quer durch alle Kreise der Bevölkerung.
Meine angekündigte kollaborative Foto-Aktion „Verschollene Häuser“ ist sicherlich provokativ. Aber wie hoffentlich deutlich wird, geht es mir darum, die Chancen der Datennutzung im digitalen öffentlichen Raum zu beschützen – gegen die, die absichtlich oder unwissend unter der gefälschten Flagge des Datenschutzes gegen eine offene Gesellschaft angehen.
Um den gesellschaftlichen Fortschritt durch das Werkzeug Internet zu fördern, braucht es gute Beispiele, viel Vermittlungsgeduld und eine wirkliche Befähigung zur kreativen Mediennutzung. Ein inhaltsloses Bekenntnis zu mehr Medienkompetenz reicht nicht aus.
Was ist für Sie informationelle Selbstbestimmung im Web 2.0?
Die Definition des Begriffs „personenbezogene Daten” ist etwas willkürlich. Nicht die Tatsache, dass eine Information einen gewissen personenbezogenen Wert hat, bringt das Übel in die Welt. Sondern erst die Reaktion darauf kann Ungerechtigkeit nach sich ziehen. Das „Üble“ an personenbezogenen Daten ist also nicht die Tatsache ihrer Öffentlichkeit, sondern nachfolgende Diskriminierung beziehungsweise Missbrauch. In einer transparenteren Gesellschaft werden wir nicht nur mit dem Wahren, Schönen, Guten konfrontiert, sondern auch mit Vorurteilen, Launen und Menschlichem, Allzumenschlichem.
Paulo Coelho twitterte vor kurzem „Every saint has a past, every sinner has a future“. Vielleicht braucht es auch nur eine größere Portion verantwortungsvoller Entspanntheit und gelebter Empathie sowie ein wenig mehr Mut zum Besseren. Vertrauen ist eines der größten Abenteuer, auf die wir uns einlassen können, aber die Ergebnisse lohnen das Risiko. Vielleicht sollte man gerade auch in diesem Sinne sagen „Freiheit statt Angst“.
Herr Best, vielen Dank für das Interview.
Zur Tagesordnung der 873. Sitzung des Deutschen Bundesrates vom 9. Juli 2010.
Zur Besprechung des Hamburger Entwurfs bei Telemedicus.
Jens Best ist IT-Berater und arbeitet als Senior Strategy Consultant, Redner und Autor in den Bereichen Digitaler Wandel, Social Media und eCommerce. Best berät Unternehmen, Institutionen und zivilgesellschaftliche Gruppen beim Einsatz des Internets im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext. Die Veränderungen in der Kommunikation, geschaffen durch die Möglichkeiten der digitalen Medien, sind für Jens Best Grundlage neuer Kollaborations- und Partizipationsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen Feldern. Er ist u.a. Mitglied des ikosom. Jens Best wurde 1972 in Frankfurt/Main geboren. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt seine Ankündigung, alle Häuser, die zum Start von Google „Street View“ wegen Widerspruchs der Betroffenen in Deutschland entfernt werden, mit Mitstreitern abzufotografieren und im Internet zu veröffentlichen.