Bedeutet „geistiges Eigentum“ zwangsläufig eine Einschränkung des freien Informationszugangs? Wie findet man einen gerechten Ausgleich zwischen Schutz und Freiheit und wie kann man das Urheberrecht langfristig auch im Netz durchsetzen?
Anlässlich seines Vortrags „Digitales Eigentum versus Informationszugang“ bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik haben wir Dr. Till Kreutzer befragt, welche Perspektiven er im deutschen Urheberrecht sieht.
Was geht vor: Geistiges Eigentum oder freier Zugang zu Informationen?
Das kann man so pauschal nicht sagen, beides hat seine Existenzberechtigung. Die Aufgabe liegt nicht darin, einem Vorrang zu geben, sondern beides in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.
Schafft das deutsche Urheberrecht diesen Ausgleich?
Davon ist es weit entfernt. Das deutsche Urheberrecht hat den Schutz der Rechteinhaber, insbesondere der Verwertungswirtschaft, im Fokus. Es wird zwar eine Art Ausgleich geschaffen, aber dieser geht nicht von der Prämisse aus, dass Informations-, Kunst- und Kommunikationsfreiheiten und das geistige Eigentum gleichgewichtet sind.
Hat das Urheberrecht den Bezug zur Realität verloren?
Ich meine ja. Wir folgen mit dem Urheberrecht einem überkommenen Prinzip, das in einer Informations- und Wissensgesellschaft hinterfragt werden muss. Seit diese Prinzipien erdacht wurden, hat sich allerhand geändert. Kommunikation ist so wichtig wie nie zuvor und auch die Leute, die kreativ schaffen, haben ganz andere Vorstellungen davon, was mit ihrem Werk geschehen soll.
Das urheberrechtliche Leitbild geht davon aus, dass der Urheber immer jemand ist, der alleine seine Werke aus seiner Persönlichkeit heraus schafft und dass er immer ein Interesse daran hat, die Kontrolle über sein Werk zu behalten. Wenn man das vergleicht mit der Kreativität der Massen, die in Open Source- und Open Content-Communities, im Web 2.0 und der Blogosphäre stattfindet, dann ist dieses extrem individuelle Leitbild der Person des Urhebers zu kurzgreifend. Natürlich findet auch das immer noch statt: Es werden nach wie vor Gemälde gemalt und Sinfonien komponiert. Aber das Urheberrecht kennt eben nur dieses eine Leitbild und das reicht heute nicht mehr.
Brauchen wir dann eigentlich noch ein „geistiges Eigentum“?
Das hängt davon ab, wie man „geistiges Eigentum“ versteht. Ein „Eigentum“ im engeren Sinne eines grundsätzlich uneingeschränkten Monopolrechts am Werk ist eher hinderlich. Zum Beispiel für kulturelle und technische Innovationen und die Entfaltung der Kreativität. „Geistiges Eigentum“ im Sinne eines Schutzrechtes an einem Werk wird es mit Sicherheit auch weiterhin geben. Das ist auch notwendig. Es muss aber angepasst werden an neue Zeiten.
Aber wie gewährleisten wir diese Schutzrechte, die notwendig sind?
Die Mechanismen, die es gibt, sind meines Erachtens keine schlechten. Sie werden nur falsch angewendet. Der Grundsatz ist heute: Das ausschließliche Recht über die Kontrolle des Werkes wird umfassend gewährleistet. Nur in Ausnahmefällen, wird dieses Kontrollrecht auf Vergütungsansprüche reduziert. Hier kann der Rechteinhaber die Nutzung seines Werkes nicht verhindern, soll aber dafür bezahlt werden. Das ist zum Beispiel bei der Privatkopie heute so.
Wenn das Internet sich in einigen Bereichen als unkontrollierbar erweist, können solche Vergütungsrechte – auch im Interesse der Urheber – wahrscheinlich mehr bewirken, als Verbotsrechte, die nicht durchsetzbar sind.
Läuft das zwangsläufig auf eine Kulturflatrate hinaus?
Das will ich nicht sagen. Aber die Kulturflatrate ist im Moment der einzige, einigermaßen auch wissenschaftlich durchdachte Ansatz, der gewährleistet, dass für Nutzungshandlungen im Netz auch Geld bezahlt wird.
Wenn das funktionieren würde, wäre das schon mehr als jetzt. Denn jetzt werden Werke genutzt – ob erlaubt oder nicht – und es wird nichts bezahlt.
Also kein Informationszugang um jeden Preis, aber ein Preis für Informationszugang?
Darauf läuft es hinaus. Ich denke, dass Leute auch Geld bekommen sollen, wenn sie etwas geschaffen haben und sich dazu entscheiden es nicht kostenlos freizugeben. In einigen Bereichen der Wirtschaft ist das auch absolut notwendig. Aber es muss eben funktional sein und es darf nicht auf Dogmen hinauslaufen, die heute sowieso nicht mehr funktionieren. Das herkömmliche Prinzip, jeden Nutzungsvorgang zu kontrollieren und einzeln für jede Nutzung Geld zu verlangen, wird in einer netzbasierten Welt auf Dauer nicht funktionieren.
Nehmen wir den Urhebern damit nicht die Entscheidungsfreiheit, ob und wie sie ihr Werk der Allgemeinheit zur Verfügung stellen wollen?
Welche Entscheidungsfreiheit? Im Moment gibt es auch keine Entscheidungsfreiheit. Es ist ein Irrglaube, dass es heute die Entscheidungsfreiheit gibt, ob man für sein Werk Geld bekommen möchte oder nicht. Es gibt Bereiche, die überhaupt keine Vergütung einbringen, weil sie unkontrollierbar sind. Die Vergütung über eine Kulturflatrate ist also vielmehr eine neue Option, die es heute noch gar nicht gibt.
Ist das eine Kapitulation des Staates, der die Kontrolle im Internet einfach aufgibt?
Das hat mit Kapitulation des Staates nichts zu tun. Der Staat ist gut beraten, Gesetze zu überdenken, die in dieser Form nichts bringen, die nicht befolgt und verstanden werden. Diese Gesetze bringen mehr Schaden als Nutzen.
Dr. Till Kreutzer ist Partner beim Büro für informationsrechtliche Expertise in Hamburg. Er ist durch zahlreiche Publikationen zum deutschen und internationalen Urheberrecht bekannt geworden und hat als Sachverständiger an einigen Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt. Außerdem ist er Redakteur beim prämierten Urheberrechtsportal irights.info und Mitglied beim „Institut für Rechtsfragen der freien und Open Source Software“ (ifrOSS). Seine Dissertation „Das Modell des deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen“ schrieb er bei Prof. Dr. Hoffmann-Riem an der Universität Hamburg. Sie erschien Ende 2008 im Nomos-Verlag.