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Interview: Papier zu Online-Durchsuchungen

Mit großer Spannung wird das Urteil des BVerfG zum NRW-Verfassungsschutz-Gesetz erwartet: Aus dem Tenor will man ablesen können, ob auch Bundesbehörden Online-Durchsuchungen vornehmen dürfen. Dazu äußerte sich der Präsident des Gerichts im Deutschlandfunk:

(…) hier [ist] zweifelsohne eine Konstellation gegeben, in der anhand eines konkreten Verfahrens Grundentscheidungen, Grundaussagen dieses Hauses erfolgen werden zum Schutz der Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer Systeme und vor allen Dingen auch zu den Schranken und zu den Einschränkbarkeiten dieses grundrechtlichen Schutzes. Und dass das eben für gerade anstehende künftige Gesetzesvorhaben eine Rolle spielen wird, das lässt sich auch nicht leugnen.

Viele rechnen mit einem umfassenden Grundsatzurteil: Geht der Gesetzgeber mit neuen Überwachungsmaßnahmen nicht generell zu weit? Werden die Richter weiteren Einschränkungen von Freiheitsrechten einen Riegel vorschieben? Solchen Hoffungen erteilt Papier eine Abfuhr:

Natürlich wird im Rahmen einer solchen Prüfung das gesamte normative Umfeld mit einfließen, aber ich kann als Verfassungsrechtler eine globale Aussage dergestalt, dass gewissermaßen das Maß insgesamt voll sei oder noch nicht voll sei, so nicht beantworten.

Gewaltenteilung: kein Gesetzentwurf aus Karlsruhe

Der Präsident betont in dem Interview die strikte Trennung der beiden Verfassungsorgane: Das Parlament sei „der erste Interpret der Verfassung“. Ihm allein obliege die politische Gestaltung. Die Abgeordneten entscheiden über die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen.

Das Bundesverfassungsgericht ist nicht der Gesetzgeber in Deutschland und will es im Übrigen auch nicht sein.

Die Richter prüfen die konkreten Normen ex post auf ihre Verfassungsmäßigkeit. Sie schreiben dem Gesetzgeber nicht vor, wie ein Gesetz auszusehen hat.

Alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Das Gesetz zur Online-Durchsuchung werde in Karlsruhe dahingehend geprüft, ob dem Gesetzgeber der Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse an Sicherheit und den Freiheitsrechten der Bürger gelungen ist. Maßstab ist dabei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung: Das Gesetz muss

geeignet sein, den Zweck zu erreichen;
– es muss erforderlich sein – das heißt, es darf kein milderes Mittel geben;
– und die Schwere des Eingriffs muss in einem angemessenen Verhältnis zum erstrebten Nutzen stehen.

Papier betont, dass die hohe Quote von gescheiterten Anti-Terrormaßnahmen (Luftsicherheitsgesetz, vorbeugende Telefonüberwachung, Lauschangriff etc.) nichts mit einer politischen Haltung des BVerfG zu tun hat. Auch wenn die innere Sicherheit betroffen ist, müssen die Grundrechtseingriffe dieser Prüfung stand halten. Vor allem die dritte Stufe stellt dabei eine Hürde dar – auch für die geplanten Online-Durchsuchungen.

Ein Fall für den EuGH: Vorratsdatenspeicherung

Der Gerichtspräsident äußerte sich auch zur Vorratsdatenspeicherung: Hier fehle dem BVerfG die Prüfungskompetenz. Ein entsprechender Beschluss des Bundestages würde eine Richtlinie umsetzen. Europäische Rechtsakte müssen sich aber am Grundrechtsschutz der EG messen lassen. Für die angedrohten massenhaften Verfassungsbeschwerden wäre das BVerfG also gar nicht zuständig. Sie zeigen aber das Ansehen, welches das Gericht in der Bevölkerung genießt:

Da bin ich eigentlich ganz glücklich darüber, dass das Bundesverfassungsgericht in den Augen der Öffentlichkeit eine so hohe Reputation besitzt als Hüter der Verfassung und insbesondere auch als Hüter der Grund- und Menschenrechte in Deutschland.

Zum Interview im Deutschlandfunk.

„Gespannte Erwartung: BVerfG verhandelt Online-Durchsuchung“ (Telemedicus)

, Telemedicus v. 02.11.2007, https://tlmd.in/a/483

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