Das OVG Münster hat vergangene Woche entschieden: Eine Hochschulbibliothek der Universität Münster darf weiterhin mit Videokameras überwacht werden – eine generelle, nicht anlassbezogene Speicherung der Bilder ist hingegen unzulässig. Das Gericht bestätigte damit das Urteil der Vorinstanz.
Der Rechtsstreit drehte sich konkret um vier Videokameras in der Bibliothek des Kommunalwissenschaftlichen Instituts. Diese Kameras filmten die Bibliothek und speicherten die Aufnahmen. Das Gericht erkannte zwar einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Bibliotheksnutzer, insbesondere ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Eine Videoüberwachung sei aber erforderlich um Diebstähle und Beschädigungen von Büchern zu verhindern. Hingegen würden die Rechte der Kläger durch eine generelle Speicherung der Aufnahmen in rechtswidriger Weise verletzt.
Bei den KlägerInnen handelt es sich um drei Studierende der Rechtswissenschaft an der Universität Münster. Mit einer von ihnen, Annelie Kaufmann, führte Telemedicus ein Interview. Darin erzählt sie wie es zu der Klage gekommen ist und erklärt welche Bedeutung das Urteil hat.
Wie seid ihr denn darauf gekommen gegen die Uni wegen (unzulässiger) Videoüberwachung zu klagen?
Die ersten Überwachungskameras sind Anfang 2004 zufällig einer AStA-Referentin aufgefallen. Der AStA hat sich daraufhin an unsere Hochschulgruppe, die Kritischen Juristinnen und Juristen, gewandt. Wir sind daraufhin gemeinsam der Sache nachgegangen und haben festgestellt, dass sich an über 20 Standorten der Universität Kameraanlagen befanden – teilweise waren sie nicht einmal beschildert.
Seit wann die Uni solche Überwachungstechniken einsetzt, wissen wir nicht, vermutlich seit Ende der Neunziger Jahre. Klar ist aber, dass damit in das Grundrecht der Studierenden auf Informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. Deshalb haben wir das Vorgehen der Uni öffentlich gemacht und uns schließlich gemeinsam mit unserem Anwalt Wilhelm Achelpöhler entschlossen, unsere Rechte auf dem Klageweg durchzusetzen. Damit waren wir nun weitgehend erfolgreich.
Habt ihr zunächst (außergerichtlich) versucht mit den Verantwortlichen, d.h. dem Institutsleiter zu reden um die Kameras zu beseitigen? Wie wurde auf euer Anliegen reagiert? Und welche Argumente wurden euch entgegen gehalten?
Natürlich haben wir uns zunächst an die Universität selbst gewandt. Wir stießen dort aber nicht gerade auf offene Ohren. Das sensible Thema Datenschutz wurde offenbar nicht sehr ernst genommen. Wir haben daraufhin die Datenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalens eingeschaltet, die ihrerseits die Uni mehrfach und nachdrücklich auf die datenschutzrechtliche Auskunftspflicht hinweisen musste. Auf diese Weise erhielten wir erst etwas genauere Informationen.
Die Universität argumentierte zunächst mit sogenannten „Angst-Räumen“ und behauptete, die Videoüberwachung diene dem Schutz der Studierenden. Die allerdings wussten auf Grund der unzureichenden Beschilderung gar nicht wie „sicher“ sie sich fühlen durften! Als wir mit Flyern und großen Kamerabildern auf die Überwachungspraxis aufmerksam machten, reagierten die meisten Studentinnen und Studenten auch ziemlich überrascht und nicht gerade begeistert. Wir konnten der Rektorin anschließend eine Liste mit Unterschriften gegen Videoüberwachung präsentieren.
Jetzt, vor Gericht, wurde von der Uni vertreten, die Überwachung sei zur Bekämpfung von Diebstahl und Vandalismus notwendig. Es wurde aber nicht überzeugend dargelegt, in welchem Ausmaß es überhaupt zu solchen Problemen kommt und ob Videoüberwachung diesbezüglich irgendwelche Erfolge zeigt.
Was habt ihr von der Klage erwartet?
Die Klage richtete sich konkret gegen drei Kameraanlagen. Zwei Kameraanlagen, in der Universitätsbibliothek und im Foyer des Schlosses, wurden von Seiten der Uni schon nach Einreichen der Klage abgehängt, um einem Urteil zu entgehen. Unsere Klage beschränkte sich dann auf das Kommunalwissenschaftliche Institut, das über vier Kameras verfügte. Damit wurden bewegungsabhängig – also sobald jemand den Raum betrat – Videos aufgezeichnet und die Daten für einen gewissen Zeitraum gespeichert. Unsere Klage war darauf gerichtet, diese Videoüberwachung vollständig zu untersagen, weil sie unserer Ansicht nach einen unzulässigen Eingriff in unser Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung darstellt.
Zudem gab es in diesem Bereich bisher keine Rechtsprechung. Wir wollten also auch einen Präzedenzfall schaffen.
Außerdem konnten wir das Thema so deutlich an die Öffentlichkeit bringen. Hier sprechen wir uns, unabhängig von der Entscheidung des Gerichts, grundsätzlich gegen jede Art der Überwachung aus, weil sie die persönliche Sicherheit der Einzelnen keineswegs erhöht, sondern vielmehr einschüchtert und zu konformem Verhalten zwingt.
Was wird sich durch das Urteil für die Uni, also insbesondere für das Kommunalwissenschaftliche Institut ändern?
Das Kommunalwissenschaftliche Institut hat nach eigener Aussage schon seit dem erstinstanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichtes keine Videodaten mehr gespeichert. Die Kameras übertragen die Bilder lediglich auf einen Monitor, der von der Bibliotheksaufsicht eingesehen werden kann. Damit ist die Videoüberwachung eigentlich nutzlos geworden – es würde ausreichen, dass die Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen anwesend sind und das Geschehen selbst beobachten, ohne „künstliche Augen“. Allerdings will das Institut offenbar weiter auf die abschreckende Wirkung der Kameraüberwachung setzen.
Zudem wurde von der Justitiarin der Universität vor Gericht angekündigt, man wolle direkt nach dem Urteil neue technische Verfahren erproben, um doch noch eine Speicherung durchzusetzen. Das ist mir allerdings völlig unverständlich, denn das Urteil des OVG ist nur so zu verstehen, dass jeder nicht anlassbezogenen Speicherung von Videodaten ein Riegel vorgeschoben wurde. Anlassbezogen bedeutet dabei, es muss sozusagen schon auf dem Bildschirm sichtbar sein, dass sich gerade jemand ein Buch unter das Hemd schieben will, dann dürften die zuständigen MitarbeiterInnen auf „Speichern“ drücken. So eine Vorrichtung gibt es zur Zeit aber gar nicht. Für uns ist also klar, dass eine gesetzliche Grundlage hier nur für die bloße Aufzeichnung, nicht für das Speichern von Videobildern besteht. Sollte die Leitung des Kommunalwissenschaftlichen Instituts das anders sehen, wäre das schon sehr verwunderlich.
Für die übrigen Räume der Uni bedeutet das, dass es nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist, Aufzeichnungen zu speichern.
Wurden eure Erwartungen enttäuscht? Seht ihr euch als Verlierer oder Gewinner?
Alles in allem dürfen wir uns schon als Gewinnerinnen und Gewinner betrachten. Unsere Auffassung, das Landesdatenschutzgesetz bezüglich der Videoüberwachung eng auszulegen, wurde von den Gerichten bestätigt. Die Überwachungspraxis der Uni wurde an die Öffentlichkeit gebracht und deutlich in die Schranken gewiesen. Die Univerwaltung musste im Zuge der Auseinandersetzungen über die Hälfte der Kameras entfernen und hat wohl auch eine stärkere Sensibilität für den Datenschutz entwickelt. Wir hätten es zwar lieber gesehen, wenn auch die bloße Aufzeichnung untersagt worden wäre, aber wir sehen das Urteil letztlich dennoch als Erfolg und die Grundrechte der Studierenden gestärkt.
Welche Bedeutung hat deiner Meinung nach das Urteil?
Das Urteil des OVG ist das erste, das sich in dieser Form mit der Videoüberwachung öffentlicher Gebäude nach dem Landesdatenschutzgesetz befasst hat. Es ist sehr wichtig, dass wir hier eine Rechtsprechung haben, die sich für eine enge und grundrechtsbezogene Auslegung ausspricht. Zwar sind die Gerichte daran nicht zwingend gebunden, aber dieses Urteil wird dennoch in Nordrhein-Westfalen starke Beachtung finden. Und ich kann mir auch vorstellen, dass andere Bundesländer dieses Modell aufmerksam beobachten. Für die Studierenden an der Uni Münster ist es aber zunächst mal wichtig, dass ihr Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung durchgesetzt wurde. Und wir freuen uns, dass wir zeigen konnten, Überwachung an der Uni wird nicht widerspruchslos hingenommen.
Vielen Dank für das Interview!
Hinweis: Die Autorin ist mit den Klägern persönlich bekannt und befreundet.
Nachtrag 2017: Auf Wunsch haben wir nachträglich die Namen der weiteren Kläger entfernt.