Gute zweieinhalb Jahre ist es nun her: Eine Enquete-Kommission für Internet und digitale Gesellschaft sollte her, beschloss der Bundestag. Einstimmig. So einig sind sich die Parlamentarier eher selten. Am Montag beschloss nun die Enquete selbst: Ein eigener Ausschuss im Bundestag muss her. Einstimmig. „Internet und digitale Gesellschaft” soll er heissen – und die Arbeit der Enquete dauerhaft weiterführen. Telemedicus war bei der Sitzung dabei.
Was genau die Enquete-Kommission leisten soll, steht im Einsetzungsantrag:
Die Enquete-Kommission soll politische Handlungsempfehlungen erarbeiten, die der weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen der Informationsgesellschaft in Deutschland dienen.
Die Enquete-Kommission soll auf Basis ihrer Untersuchungsergebnisse den staatlichen Handlungsbedarf, national und international, benennen.
18 mal haben sich die 17 Abgeordneten und 17 Sachverständigen seit ihrer konstituierenden Sitzung im Mai 2010 nun öffentlich getroffen. Und viele weitere Male auch nicht öffentlich, in den Projektgruppen. Dort wird die eigentliche Arbeit geleistet. Herausgekommen sind dabei bisher massenweise Sitzungsberichte, Protokolle und sonstige Materialien – und auch wichtige Zwischenberichte und Handlungsempfehlungen. Doch wozu das ganze? Was kommt am Ende dabei heraus? Das steht im Einsetzungsbeschluss nicht so richtig drin. Allerdings findet sich dort folgender Passus:
Die Enquete-Kommission soll sich unverzüglich konstituieren und bis zur parlamentarischen Sommerpause 2012 ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegen, damit noch in der 17. Legislaturperiode erste Umsetzungsschritte erfolgen können.
Ein wenig ist sie also im Verzug, die Internet-Enquete. Ergebnisse und Handlungsempfehlungen für den Bundestag sollte sie ausarbeiten – „bis zur parlamentarischen Sommerpause 2012“. Das hat bisher allerdings nur vereinzelt funktioniert. Nur vier von zwölf Arbeitsgruppen hatten ihre Arbeit Anfang des Jahres beendet. Deswegen gab es Querelen, als einzelne Mitglieder schon früh einen eigenen Ausschuss verlangten. Einige befürchteten politische Motive, die Enquete frühzeitig abzulösen: In der Enquete unterliegen die Sachverständigen keiner Fraktionsdisziplin – in Ausschüssen schon. Dort könnte man die Arbeit dann ganz nach seinem politischen Gusto fortführen.
So kam es aber nicht. Die Enquete arbeitet mittlerweile über ihr ursprüngliches Mandat hinaus. Wie das? Mitte Juni beantragten die Fraktionen CDU/CSU und FDP die „Verlängerung der Arbeit der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft”“.
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ setzt ihre Arbeit über die parlamentarische Sommerpause 2012 hinaus fort, um den im Einsetzungsbeschluss (…) festgehaltenen Arbeitsauftrag erfüllen zu können.
Die Projektgruppen der Enquete-Kommission sollten ihre Beratungen zum Jahresende 2012 abschließen, so dass anschließend die Befassung im Deutschen Bundestag stattfinden kann.
Nur wenige Tage später beschloss der Bundestag: Es geht weiter! Erneut einstimmig. Nochmal Glück gehabt.
Denn es war knapp: Ende Juni begann die Sommerpause des 17. Deutschen Bundestages. Warum das Mandat von vorne herein offenbar knapp bemessen war, kann man nur mutmaßen. Fakt ist: Die Projektgruppen tagten auf den Fortführungsbeschluss hin auch in der Sommerpause. Und letzten Montag fand die erste öffentliche Sitzung nach der Sommerpause statt.
Der Vorsitzende der Enquete Axel Fischer wies gleich zu Beginn darauf hin: Die Internet-Enquete sei die schnellste und effektivste Enquete-Kommission, die jemals zusammen gearbeitet habe. Das musste sie wohl auch sein – sonst wäre es mit dem Mandat womöglich gänzlich schief gegangen. Letzten Endes dürfte jedenfalls auch der Bürger davon profitieren, wenn die Kommission zu Ende arbeitet – denn alle Ergebnisse, die bis Ende 2012 stehen, kann der Bundestag auch verwerten. Theoretisch.
Die Aufteilung scheint bis hierhin also klar: Die Enquete will schnell und effektiv Ergebnisse aus allen Projektgruppen präsentieren. Darauf aufbauend kommt dann unter Umständen ein Ausschuss ins Spiel. Allein, Schnelligkeit und Effektivität sind dehnbare Begriffe. Denn aus dem Zuschauerraum ließ sich reichlich Interessantes bestaunen: Wieviele Weihnachtskarten ein Abgeordneter bis zum Sitzungsende geschrieben hat? Nicht zuende gezählt. Über welches Thema stimmen wir gerade ab und soll ich mich jetzt melden? Einem Sachverständigen half nur der Blick nach links und rechts. Ablehnend abstimmen aber sich trotzdem schonmal für ein Sondervotum anmelden? Ein weiterer Sachverständiger macht’s möglich. Glücklicherweise gingen permanent Bedienstete herum, und fragten nach, ob man zu den belegten Brötchen noch etwas trinken möchte – so kippte wenigstens niemand vom Stuhl.
Da verwundert es auch nicht, dass einige Mitglieder auf Twitter regelmäßig posten, wieviele Seiten sie am Vorabend noch schnell gelesen haben, um überhaupt zu wissen, worüber man in den Sitzungen abstimmt. Bliebe das aus, man könnte die Glaubwürdigkeit der Anwesenden gänzlich in Zweifel ziehen. Aber schon das Sekretariat macht es den Mitgliedern nicht einfach: Alle zu besprechenden Texte sind vorher digital im Umlauf. Trotzdem liegt eine horrende Anzahl dieser Texte als Hardcopy vor dem Tagungssaal. Der Teil „Digitale Gesellschaft“ im Enquete-Namen würde sich an den Kopf fassen, wenn er könnte – zumal circa 90 % der Anwesenden während der Sitzung fleissig ihren Laptop, das Tablet oder ihr Smartphone bedienen. Inhalte unbekannt.
Als Außenstehender fragt man sich unweigerlich, ob die Enquete-Mitglieder wirklich an das glauben, was sie da tun. Und doch: Mindestens ein wichtiges Signal sendete die Enquete-Kommission am Montag auf den Weg. Sie beschloss, eine Empfehlung an den Bundestag zu richten. Der soll einen eigenen Ausschuss „Internet und digitale Gesellschaft” etablieren. Hintergrund:
Die Beratungen in der Enquete-Kommission in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass Netzpolitik ein Querschnittsthema ist und unterschiedlichste Lebensbereiche betrifft. Auch ist deutlich geworden, dass es sich bei der Digitalisierung um eine in alle Lebensbereiche eingreifende Entwicklung handelt, die noch lange nicht abgeschlossen ist.
Ein eigener Ausschuss kann die Arbeit der Enquete konsequent fortführen und auch eigene Impulse setzen. Den Vorschlag begrüßten daher alle Seiten mehr oder weniger deutlich (und übrigens auch einstimmig).
Besonderes Augenmerk: Online-Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger haben bei der Internet-Enquete einen hohen Stellenwert. Diese sollen im Ausschus konkret weiter genutzt und weiter ausgebaut werden. Ob sich die Politik das gefallen lässt, ist eine Frage. Ob das nicht ein weitreichender Vorschlag für mehr Transparenz in der Politik ist, eine andere. Der Bundestag solle ausserdem prüfen, „ob und in welcher Form eine effiziente wissenschaftliche Begleitung“ die Ausschussarbeit sicherstellen kann.
Selbst wenn die Sitzungsumstände teilweise kurios anmuteten: Die Enquete dürfte zu einem vollständigen Abschluss kommen. Und sie wird sich dafür einsetzen, dass das Thema dauerhaft im Bundestag etabliert wird. Ansatzweise sprichtwörtlich bleibt da nur festzuhalten: Es muss nicht unbedingt glänzen, kann aber trotzdem Spuren von Gold enthalten.
Bericht zur 18. Sitzung der Internet-Enquete auf bundestag.de.
Zeit Online zum ständigen Internetausschuss.
Telemedicus im Februar 2012 zum dauerhaften Internetausschuss.