TKG-Novelle: Länder fordern Zustimmungsvorbehalt bei Regelungen zur Netzneutralität
Am 2. März 2011 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes beschlossen. Darin enthalten sind auch Vorschriften zur Netzneutralität. Jedoch sollen wichtige Einzelheiten demzufolge durch Rechtsverordnungen geregelt werden, bei deren Verabschiedung die Länder nicht miteinbezogen werden sollen.
Nun haben die Rundfunkreferenten der Länder zu diesem Punkt Stellung bezogen. Wie sich in den letzten Wochen bereits abgezeichnet hat, sieht man dort durch die geplanten Regelungen zur Netzneutralität eine originäre Gesetzegbungsmaterie der Länder berührt: Die medienrechtliche Inhalteregulierung. In einem Antrag, der heute Nachmittag im Bunderatsausschuss für Kulturfragen beraten wird, wollen sich die Länder deutlich gegen die vom Bund vorgeschlagenen Regelungen stellen.
Ohne Festschreibung eines Zustimmungsvorbehalts der Länder zu den zur Ausgestaltung der Netzneutralität vorgesehenen Rechtsverordnungen solle die Länderkammer der TKG-Novelle nicht zustimmen, heißt es in dem Antrag.
Regelungen zur Netzneutralität im Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein neues Telekommunikationsgesetz (PDF) kennt nicht ausdrücklich den Begriff der „Netzneutralität”. Jedoch soll das Prinzip, das gemeinhin unter Netzneutralität verstanden wird, in § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 TKG-E als neues Regulierungsziel aufgenommen werden (vgl. Nolden, in: Juconomy-Newsletter Nr. 86, S. 8). Demnach soll die Bundesnetzagentur zukünftig die „Möglichkeit der Endnutzer, Informationen abzurufen und zu verbreiten oder Anwendungen und Dienste ihrer Wahl zu nutzen”, fördern. Ferner findet der Gedanke der Netzneutralität in § 20 Abs. 1 und Abs. 3 TKG-E Niederschlag. Dort ist nun insbesondere von Bedingungen die Rede, „die den Zugang zu und die Nutzung von Diensten und Anwendungen beschränken”.
Weiter ist in § 45n und § 45o TKG-E vorgesehen, die genauere Ausgestaltung des neuen Regulierungsziels „Netzneutralität” durch Rechtsverordnungen zu Transparenzverpflichtungen und Dienstqualitäten näher zu regeln. Verordnungsgeber soll jeweils das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) sein. Wobei der Gesetzentwurf des Bundeskabinetts die Zustimmung des Bundestages zu diesen Rechtsverordnungen zwingend vorsieht. Einer Zustimmung des Bundesrates hingegen bedarf es demnach jedoch an keiner Stelle. Somit sollen die Länder derzeit bei der Verabschiedung dieser Rechtsverordnungen nicht einbezogen werden.
Änderungsantrag der Länder
Vor diesem Hintergrund wird am heutigen Montag ab 12:30 Uhr in der Sitzung des Bundesratsausschusschusses für Kulturfragen unter Tagesordnungspunkt 5 ein Änderungsantrag der Länder zur geplanten TKG-Novelle behandelt. Darin fordern fünf Länder den Ausschuss auf, dem Bunderat zu empfehlen, Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung zu verlangen.
Mit Blick auf das Thema Netzneutralität sollen insbesondere § 45n und § 45o TKG-E geändert werden. Die Länder wollen in diesen Normen einen Zustimmungsvorbehalt des Bundesrates bei allen Rechtsverordnungen festschreiben, die die Netzneutralität betfreffen. Ansonsten, so heißt es weiter in dem Antrag, solle eine Zustimmung der Länderkammer zur TKG-Novelle nicht möglich sein.
Die bislang unveröffentlichte Antragsschrift, die Telemedicus vorliegt, weist formell als Antragssteller die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz sowie den Freistaat Thüringen aus. Wie uns allerdings einige Senatskanzleien mitgeteilt haben, handelt es sich bei dem Antrag um ein unter den Rundfunkreferenten der Länder abgestimmtes Papier. Aus Kreisen der Senatskanzleien hieß am vergangenen Freitag, dass insoweit alle Länder die dort formulierten Positionen teilten.
Als Begründung zur geforderten Änderung heißt es in dem Papier von Seiten der Länder:
Soweit unter anderem in § 45n TKG-E und § 45o TKG-E vorgesehen ist, die nähere Ausgestaltung des Regulierungsziels „Netzneutralität“ Rechtsverordnungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie oder der Bundesnetzagentur zu überlassen, die zwar der Zustimmung des Bundestages, nicht jedoch der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, kann der Bundesrat dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Regelungen des Bundes zur „Netzneutralität“ können stets auch den Rundfunk und Telemedien im Zuständigkeitsbereich der Länder betreffen. Daher hält der Bundesrat es für diesen Fall für zwingend erforderlich, die Regelungen so zu ändern, dass Rechtsverordnungen zur „Netzneutralität“ nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden können.
Antrag an den BR-Kulturausschuss v. 18.03.2011, BR-Drs. 129/11, S. 6 unten
Im Einzelnen beabsichtigen die Länder den Wortlaut der beiden Vorschriften wie folgt abzuändern:
§ 45n
Transparenz und Veröffentlichung von Informationen
(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Inneren, dem Bundesministerium der Justiz und dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates Rahmenvorschriften zur Förderung der Transparenz und Veröffentlichung von Informationen auf dem Telekommunikationsmarkt zu erlassen.
[…]
(6) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie kann die Ermächtigung nach Absatz 1 durch Rechtsverordnung an die Bundesnetzagentur übertragen. Eine Rechtsverordnung der Bundesnetzagentur bedarf des Einvernehmens mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dem Bundesministerium des Inneren, dem Bundesministerium der Justiz, dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
und dem Bundestag, dem Bundestag und dem Bundesrat.[…]
(Änderungsbegehren der Länder durch (Unter-)Streichungen gekennzeichnet.)
§ 45o
Dienstqualität und zusätzliche Dienstemerkmale zur Kostenkontrolle(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Inneren, dem Bundesministerium der Justiz, dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates Rahmenvorschriften für die Dienstqualität und für zusätzliche Dienstemerkmale, die der Kostenkontrolle dienen, zu erlassen.
[…]
(5) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie kann die Ermächtigung nach Absatz 1 durch Rechtsverordnung an die Bundesnetzagentur übertragen. Eine Rechtsverordnung der Bundesnetzagentur bedarf des Einvernehmens mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dem Bundesministerium des Inneren, dem Bundesministerium der Justiz, dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
und dem Bundestag, dem Bundestag und dem Bundesrat.(Änderungsbegehren der Länder durch (Unter-)Streichungen gekennzeichnet.)
Nur wo Netzneutralität draufsteht, ist auch Netzneutralität drin?
Des Weiteren sehen die Länder Probleme bei der im Gesetzentwurf gewählten Formulierung des neuen Regulierungsziels „Netzneutralität”. Denn wie eingangs bereits erwähnt taucht bei der Festschreibung dieses Ziels in § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 TKG-E nirgends ausdrücklich das Wort „Netzneutralität” auf. Vor diesem Hintergrund wollen die Länder den Bundesgesetzgeber bitten, „im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob mit den vorgesehenen Formulierungen dieses Regulierungsziel im Gesetzentwurf hinreichend deutlich beschrieben ist.“ (S. 2 des Antrags).
Die Begründung dazu fällt knapp aus, rekurriert aber auch erneut auf das Rundfunkrecht:
Transparenzvorschriften allein bieten keinen hinreichenden Schutz vor Diskriminierung. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Rundfunkverbreitung.
Antrag an den BR-Kulturausschuss v. 18.03.2011, BR-Drs. 129/11, S. 2
Jedoch dürfte sich hier letztlich wieder ein bekanntes Problem niederschlagen: Es fehlt bislang an einer abgrenzungsfähigen Definition des Begriffes der Netzneutralität, die auch allgemein anerkannt ist.
Die Claims werden abgesteckt
Augenscheinlich werden nun die legislativen Claims im Bereich der Netzneutralität abgesteckt. Dabei wollen die Länder ihren Teil vom Kuchen abhaben, indem sie das Thema Netzneutralität teilweise als Problem des Rundfunkrechts, also der Inhalte- und Plattformregulierung, und nicht alleinig als ein Problem der telekommunikationsrechtlichen Infrastrukturregulierung begreifen. Oder jedenfalls weitreichende Auswirkungen einer solchen Infrastrukturregulierung auf die Inhalteebene erkennen wollen.
Es waren nicht zuletzt die Landesmedienanstalten, die insbesondere mit einem Thesenpapier Ende Januar darauf hingewiesen haben, dass eine Einschränkung der Netzneutralität die rundfunkrechtliche Plattformregulierung auf den Plan rufen könnte. Und das Rundfunkrecht unterfällt – anders als das Telekommunikationsrecht – eben der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Auch in der Wissenschaft waren in jüngster Vergangenheit Ansätze zu sehen, die Probleme der Netzneutralität mit Hilfe altbewährter rundfunkrechtlicher Werkzeuge aus dem Bereich der Vielfaltssicherung lösen zu wollen.
Exkurs: Doppelregulierung – TKG vs. RStV
Unter diesen Prämissen wären neben telekommunikationsrechtlichen Regelungen zur Netzneutralität grundsätzlich auch noch weitere ergänzende Normen auf Länderebene, also etwa im Rundfunkstaatsvertrag, denkbar. Ein solches Konstrukt der Doppelregulierung ist bereits bei den Vorschriften zu finden, die den Zugang zu digitalen Rundfunkplattformen behandeln. Im TKG (§§ 48 ff.) und im RStV (§§ 52 ff.) hat jeweils an der einen Stelle der Bundes- und an der anderen der Landesgesetzgeber in diesem Bereich zugeschlagen. Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist hier allerdings bereits heutzutage unübersichtlich und letztlich auch äußerst umstritten. Das sollte man im Hinterkopf behalten. Denn just an dieser Stelle im Rundfunkrecht versuchen wie gesagt beispielsweise die Landesmedienanstalten auch die Netzneutralität aufzuhängen.
Wie geht es weiter?
Im weiteren Gesetzgebungsprozess ist bei der TKG-Novelle im Bundesrat der Wirtschaftsausschuss federführend. Dies wird – soweit zur Stunde ersichtlich – die nächste Station sein. Nach Aussage einer Senatskanzlei soll auch dort damit gerechnet werden können, dass die Position der Rundfunkreferenten allseits geteilt wird. Sollte sich diese Einschätzung bewahrheiten, hätte das zur Folge, dass auch der Wirtschaftsausschuss dem Bundesrat schließlich die beschriebenen Änderungen empfehlen würde. Im Endeffekt liefe also alles auf eine entsprechende Forderung der Länderkammer hinaus, einen Zustimmungsvorbehalt für den Bundesrat bei allen Rechtsverordnungen zur Netzneutralität festzuschreiben.
Telemedicus zum Thema Netzneutralität.
Update (29. März 2011, 12:30 Uhr):
Wie soeben die Staatskanzlei Hessen gegenüber Telemedicus mitteilte, wurde der Antrag in der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Kulturfragen erwartungsgemäß mit 16 zu 0 Stimmen angenommen.