Telemedicus

, von

Hintergrund: Streit über Bundestagskanal beigelegt

Die geplante deutschlandweite Ausstrahlung des sog. Bundestagskanal ist vorerst kein Thema mehr: In einem Gespräch mit Bundestagspräsident Norbert Lammert haben die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender eine intensivere Berichterstattung aus dem Bundestag zugesichert.
Lammert hatte in der Vergangenheit immer wieder beklagt, dass die öffentlich-rechtlichen Sender zu wenig Sendezeit auf die Übertragung des Parlamentsgeschehens verwandten. Gleichzeitig verlagere sich die parlamentarische Arbeit immer weiter in die zahlreichen Fernsehtalkshows von Illner, Will & Co. Um diese Missstände zu beheben, hatte er als mögliche Alternative einen deutschlandweit sendenden Bundestagskanal ins Gespräch gebracht.

Problem: Grundsatz der Staatsferne

Die Pläne des Bundestagspräsidenten waren allerdings nicht unumstritten (Telemedicus berichtete). Vor allem bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sorgte die Ankündigung für großes Unverständnis, habe man doch allein bei PHOENIX im vergangenen Jahr weit über 300 Stunden größtenteils live aus dem Deutschen Bundestag übertragen und damit alle Plenardebatten journalistisch begleitet. Aber auch innerhalb der politischen Parteien war man durchaus unterschiedlicher Meinung über die Sinnhaftigkeit eines eigenen Parlamentskanals.

Insbesondere Bedenken verfassungsrechtlicher Art wurden vorgebracht: Ein deutschlandweit sendender Bundestagskanal könnte mit dem sich aus der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) ergebenden Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks unvereinbar sein. Danach muss der Rundfunk frei von staatlicher Beherrschung und Einflussnahme sein um seiner Aufgabe der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung nachkommen zu können. Insbesondere darf der Staat nicht selber als Rundfunkveranstalter tätig sein. (vgl. BVerfGE 12, 205). Fraglich ist daher, ob der Kanal durch den Auftrag der Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments gedeckt sei. Zur Klärung dieser Fragen wurde ein entsprechender Antrag auf bundesweite Zulassung bei der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) erstmal auf Eis gelegt.

Gersdorf: „Wenn zwei dasselbe tun, ist es eben nicht dasselbe“

Zur Untermauerung seiner Pläne hatte sich der Bundestagspräsident u.a. auf ein Gutachten des Rostocker Rechtsprofessors Hubertus Gersdorf berufen. Die Legitimation des Bundestags, zur Veranstaltung eines Parlamentsfernsehen beruhe demzufolge nicht auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 1 RfStV, sondern auf der Befugnis des Bundestags zur Selbstdarstellung. Angesichts dessen bedürfe es nicht einmal einer rundfunkrechtlichen Zulassung.

Nicht bei jeder Form moderner staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, so das Gutachten, handele es sich um verbotenen Staatsrundfunk. Insbesondere wäre es verfehlt bei der Abgrenzungsfrage zwischen unzulässigem Staatsrundfunk und zulässiger Öffentlichkeitsarbeit rein begrifflich auf den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff abzustellen. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit erfülle regelmäßig die begrifflichen Voraussetzungen der Massenkommunikationsrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, ohne dass es sich hierbei automatisch um Rundfunk oder Presse handele. So erfülle beispielsweise auch die vom Bundestag herausgegebene Zeitschrift „Das Parlament“ sämtliche Voraussetzungen des Pressebegriffs, gleichwohl handele es sich dabei nicht um verbotene Staatspresse sondern um zulässige Öffentlichkeitsarbeit des Bundestags. Ebenso wenig hänge die Legitimation des Deutschen Bundestags zur Veranstaltung des Parlamentsfernsehens davon ab, in welchem Umfang öffentlich-rechtliche oder private Rundfunkveranstalter aus dem Bundestag berichteten.

Entscheidend sei daher allein, ob es sich bei dem Parlamentsfernsehen funktional um staatliche Öffentlichkeitsarbeit handele. Natürlich sei der Deutsche Bundestag keinesfalls zu einer gegenständlich allumfassenden Berichterstattung berechtigt: Die Sendeinhalte müssten stets „einen unmittelbaren Bezug zum Funktionskreis“ des Bundestags aufweisen. Solange aber gewisse Grundsätze eingehalten würden, handele es sich um erlaubte Öffentlichkeitsarbeit des Bundestags. So seien auch Interviews mit Abgeordneten aus der Lobby des Bundestags oder Gesprächsrunden mit Bundespolitkern zu bundespolitischen Themen Ausdruck parlamentarischer Selbstdarstellung. Zu wahren wäre dabei aber der Grundsatz der Chancengleichheit der Fraktionen. Selbst Elemente der Unterhaltung dürften enthalten sein, habe doch das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass Meinungsbildung und Unterhaltung keine Gegensätze seien.

Einigung zwischen Bundestagspräsident und öffentlich-rechtlichen Sendern

Unabhängig davon, ob man dieser weit gefassten Auslegung zustimmen möchte, kann das Gutachten zumindest vorerst zu den Akten gelegt werden: PHOENIX, das Erste und das ZDF haben dem Bundestagspräsidenten zugesichert, dass Live-Übertragungen von Parlamentsdebatten auch künftig einen wichtigen Platz in ihren Programmen haben werden. Donnerstags werde PHOENIX künftig von 9 Uhr bis 18 Uhr live aus dem Bundestag berichten, bei längeren Sitzungen auch bis 20 Uhr. Darüber hinausgehende Debatten werden später in einer Zusammenfassung gezeigt. PHOENIX werde darüber hinaus im Anschluss an Live-Übertragungen auf die Zusammenfassungen und zeitversetzten Übertragungen in seinem Programm hinweisen. Zudem wolle man die intensivierte Berichterstattung aus dem Bundestag umfassend bewerben.

Das Erste und das ZDF werden überdies über das bisherige Maß hinaus alternierend herausragende Bundestagssitzungen und Gedenkstunden übertragen. Phoenix ist zudem bereit über die mittwochs bislang schon live übertragene Befragung der Bundesregierung und die Aktuelle Stunde hinaus, auch eine zeitversetzte Zusammenfassung der Fragestunde zu senden. Voraussetzung hierfür sei, dass für die Fragen allgemein verständliche Formulierungen gefunden werden. Zudem sollen Namen und Funktion der Fragesteller genannt werden.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Der Bundestagspräsident ist zufrieden. Wie Focus-Online berichtete sprach er von einer „für beide Seiten überzeugenden Lösung“. Ein eigenes Parlamentsfernsehen sei zwar „in zahlreichen anderen Demokratien durchaus üblich“, die spezifische öffentlich-rechtliche Struktur des Rundfunks in Deutschland erlaube jedoch auch die jetzt gefundene, „konzeptionell wie journalistisch überzeugende Lösung“. Ob damit aber das eigentliche Problem gelöst ist, nämlich der Politikverdrossenheit der Bürger zu begegnen, darf zumindest bezweifelt werden. Ein sehr aufschlussreichen Artikel findet man zu dieser Frage im Online-Archiv der ZEIT: Norbert Lammert kritisiere zwar zu Recht die Dominanz der Talkshows für die Politikvermittlung:

Der Bundestagspräsident stellt die richtige Fragen, springt mit seinen Antworten aber zu kurz.(…) Viele Zuschauer (…) nehmen das Berliner Treiben als Verwaltung von Sachen wahr, das gelegentlich durch persönliche Fehden etwas aufgemotzt wird. (…) Aber seine Vorschläge wirken seltsam beschränkt aufs Quantitative. Selbst die Liveübertragung ausnahmslos aller Parlamentsdebatten würde am grundsätzlichen Befund nichts ändern. Auch dann nicht, wenn der Bundestag den im Internet ohnehin laufenden Web-TV-Bilderfluss noch als »Parlamentskanal« bundesweit in die digitale Kanalvielfalt einspeisen würde.

Zur Vorgeschichte bei Telemedicus.

, Telemedicus v. 10.07.2008, https://tlmd.in/a/883

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

In Kooperation mit

Kommunikation & Recht

Hosting

Domainfactory