Die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. (GVU) will das Haftungsprivileg für Host-Provider auf den Prüfstand stellen lassen. Das berichtete sie gestern in einer Pressemitteilung. Der Vorstoß geschah im Nachgang zur Aktion gegen den Sharehoster Megaupload. Doch bietet es sich wirklich an, Host-Provider in Zukunft schärfer haften zu lassen?
Hausnummer 10 im TMG – Der beste Freund des Host-Providers
§ 10 TMG statuiert ein grundsätzliches Privileg für Host-Provider: Sie haften nicht, wenn „sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben“. Auch haften sie nicht, wenn „sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben“.
Warum ist das so? Webhoster stehen in einem Spannungsfeld verschiedener Interessen. Der Hoster selbst hat meist ein wirtschaftliches Interesse an seinen Diensten. Doch auch die Allgemeinheit hat ein Interesse an Hosting-Dienstleistungen und den Informationen, die dadurch verbreitet werden können. Auf der anderen Seite stehen Rechteinhaber und Betroffene, die wiederum ein Interesse daran haben, dass bestimmte Informationen nicht veröffentlicht werden.
Diese Interessen in Einklang zu bringen, ist nicht leicht: Dem Host-Provider ist es unmöglich, Inhalte massenhaft komplett zu überwachen und zu filtern. Ihm die volle Verantwortlichkeit aufzubürden, wäre wirtschaftlich untragbar und auch nicht im Interesse der Allgemeinheit. Hier hilft die Haftungsprivilegierung – eine Art ausgewogener Mittelweg.
GVU will Beweislastumkehr
Die GVU sagt nun: Unter den von Internetnutzern massenhaft gestreamten bzw. heruntergeladenen Inhalten gebe es zwar auch rechtmäßige Dateien. Das sei aber die Ausnahme. Dass der Filehoster ein Portal betreibe, bei dem mehrheitlich legale Inhalte abrufbar seien, solle er denn auch selber nachweisen.
Schwierig wird es nämlich in einem eventuellen Prozess: Dort müsste dem Host-Provider seine Kenntnis nachgewiesen werden – subjektive Kriterien nachzuweisen, ist aber alles andere als einfach. Insofern erscheint auch die Forderung der GVU nachvollziehbar, die Beweislast für File- und Streamhoster umzukehren.
Hier ein Haken, da ein Haken
Die Forderung der GVU hat bei genauem Hinsehen aber gleich mehrere Haken. Zunächst werden die Adressaten nicht sauber getrennt: Es solle das Privileg für „Host-Provider” überprüft werden. Die Ausführungen bezüglich der Beweislast werden aber auf „File- und Streamhoster” beschränkt. Soll hier nun das gesamte Konzept der Haftungsprivilegien gekippt werden oder eine „Lex Megaupload” geschaffen werden?
Desweiteren steht schon die Grundannahme der GVU auf wackeligen Beinen:
Prima facie kann davon ausgegangen werden, dass ein Filehoster auf das Hochladen von Raubkopien spekuliert, wenn er Uploader bezahlt.
Eine sehr gewagte These. Denn bricht man diese Aussage auf ihren Kerngehalt herunter, sagt sie aus: Jeder Host-Provider, der seinen Nutzern ein Anreizsystem schafft, bewegt sich im illegalen Bereich.
Das entspricht allerdings wohl kaum der Realität. Denn auch Youtube implementiert Werbeplätze in das Angebot. Davon profitieren wiederum die Nutzer, die viel oder beliebten Content abliefern. Auch in Foren kann es beispielsweise für wertvolle Beiträge Belohnungen unterschiedlicher Art geben. Ob Geld bezahlt wird oder andere geldwerte Vorteile gewährt werden, dürfte dabei letztlich wohl unerheblich sein. Denkt man die These der GVU konsequent zu Ende, müsste demnach eine Vielzahl von Host-Providern darlegen, dass sie zu einer „Ausnahme” gehören, wie es die GVU bezeichnet. Das klingt nach einem Generalverdacht gegenüber Webhostern und einer Umkehr des Regel-/Ausnahmeverhältnisses bei den Haftungsprivilegien.
Ausserdem fehlt dem Vorstoß ein Mehrwert. § 10 TMG sagt nämlich: Ein Hoster haftet, wenn er Kenntnis hat oder sobald er Kenntnis erlangt und untätig bleibt. Das dürfte bei einem Filehoster, der Geld für erfolgreiche rechtswidrige Dateien bezahlt, aber regelmäßig der Fall sein. § 10 TMG enthält deshalb schon jetzt einen ausreichenden Bereich, in dem zwielichtige Hoster in die Haftung genommen werden können.
Konsequent ging man gegen kino.to und Megaupload ja auch strafrechtlich vor. Hebelt ein Host-Provider die Privilegierung bewusst aus, kommt sie ihm freilich auch nicht zugute. Mit der favorisierten Beweislastumkehr werden aber bereits faktisch Prüfpflichten geschaffen, die eigentlich von § 10 TMG gerade nicht gewollt sind. Denn so müsste letztlich doch wieder jede Datei auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden, allein um nachzuweisen, dass man als Host-Provider „zu den Guten” gehört. Und nicht zu vergessen: Die Privilegierung des § 10 TMG gilt nicht bei Unterlassungsansprüchen – es verbleibt damit schon jetzt ein starkes Werkzeug zum Schutz vor eventuellen Rechtsverletzungen auch im zivilrechtlichen Bereich.
Zuguterletzt dürfte es auch politisch nicht ganz so einfach sein, die austarierten Regelungen zu ändern. Denn die jetzigen TMG-Paragraphen gehen auf die E-Commerce-Richtlinie zurück (RL 2000/31/EG). Schon deshalb ist fraglich, ob eine Änderung lediglich im nationalen Kontext überhaupt möglich ist.
Fazit
Die Pressemitteilung der GVU kommt offenbar zu einem taktisch gewählten Zeitpunkt. Die GVU denkt wohl kaum erst seit wenigen Tagen darüber nach, die Haftungsprivilegierung einzuschränken. Nun war für sie womöglich der perfekte Zeitpunkt, um mit ihrer Forderung auf den hohen Wellen der Megaupload-Aktion zu reiten.
Weil „Kimble” und Kumpanen teilweise äußerst dreist vorgingen, ist die Aktion gegen Megaupload durchaus auch auf Zustimmung gestoßen. Der Fall Megaupload hatte deshalb eigentlich nichts mit dem Haftungsprivileg zu tun. Bei Kenntnis der rechtswidrigen Inhalte haftet der Hoster so oder so, egal ob es ein generelles Haftungsprivileg für Webhoster gibt oder nicht.
Man hätte möglicherweise auch über ausgeglichenere Mittel nachdenken können. Wie wäre es beispielsweise, wenn GVU bzw. Rechteinhaber und Host-Provider (oder lediglich „File- und Streamhoster”?) sich auf ein Pendant zu den UGC Principles einigen würden? Das letzte Wort ist in dieser Sache noch lange nicht gesprochen – der letzte Vorschlag zu einem gesunden Interessenausgleich sicher auch noch nicht gemacht.
„Verantwortlichkeit für Inhalte im Internet“ auf Telemedicus.