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Graffiti-Doku Unlike U – ein Sieg für die Kunstfreiheit?

Die Graffiti-Dokumentation „Unlike U“ durfte eine Zeit lang nicht gezeigt werden. Das LG Berlin hatte im Juni letzten Jahres die Verbreitung verboten. Grund war, dass einige Szenen illegal von Grundstücken der Berliner Verkehrsbetriebe aus aufgenommen wurden. Das Berliner Kammergericht hob diese Entscheidung auf. Laut KG unterfalle der Graffitifilm sowohl der Presse- als auch der Meinungsfreiheit. Die Entscheidung des KG vom letzten Oktober liegt inzwischen im Volltext vor.

Die Vorgeschichte

Mittelpunkt des Streites ist der Film Unlike U – trainwriting in berlin. Darin wird die Berliner Sprayer-Szene beleuchtet. Im Vordergrund steht das trainwriting – das Besprühen von Zügen. Schon das Cover der DVD weist mit der Formulierung „Extrem kriminell. Extrem verboten“ auf die Wiedergabe von Straftaten hin. Im Film gibt es Sequenzen, die eindeutig in den Betriebsstätten der Berliner Verkehrbetriebe (BVG) gedreht wurden. Deshalb klagte die BVG vor dem LG Berlin auf Unterlassung der Verbreitung.

Das LG gab der Klage Recht. In der Pressemitteilung heißt es dazu:

„Die BVG habe die Herstellung dieser Aufnahmen ebenso wenig gestattet wie ihre Verwendung. Eine Berechtigung hierzu lasse sich weder aus dem Urheberrecht, der Kunstfreiheit oder der Pressefreiheit ableiten.“

Seine Begründung stützte das LG auf das BGH Urteil – Preußische Schlösser und Gärten und formuliert im Klartext:

„Aufnahmen können weiterhin verwendet werden, sofern sie an Standorten außerhalb des Eigentums der Klägerin entstanden sind.“

Die Regisseure des Filmes gingen in Berufung – begleitet von einem leisen Gemurmel in der juristischen Bloggerszene. Auch in den Graffiti-Foren im Internet mangelte es nicht an Kommentaren. Der Anwalt der Filmschaffenden sprach sogar von einer „steinzeitlichen Verhandlungsführung“ der Verkehrbetriebe. Seinen Höhepunkt fand das Ganze in einem offenen Brief der Unlike U-Macher an Klaus Wowereit.

Wie hat das Berliner Kammergericht das Problem bewertet?

Laut KG darf zunächst allein die BVG Bilder von ihren Bahnhöfen und Zügen kommerziell verwerten. Jedenfalls soweit diese von einem ihrer Grundstücke aus aufgenommen werden. Die Szenen, um die es geht, würden aber keine verwertbare Eisenbahnromantik darstellen, sondern zeigen „Personen, die in rechtswidriger Art und Weise gegen die Betriebsmittel vorgehen“. Die Argumentation von Preußische Schlösser und Gärten liesse sich also nicht ohne Weiteres übernehmen. Die BVG selbst verwertet absichtlich gerade keine Aufnahmen ihrer besprühten Bahnhöfe und Züge. Deshalb sei schon das Eigentum der BVG nicht beeinträchtigt.

Einschätzung des Filmes durch das KG

Spannender blieb die Frage nach der inhaltlichen Einordnung des Filmes selbst: Die Aufnahmen verstoßen zwar gegen das Hausrecht der BVG; heimliche Filmaufnahmen in nicht öffentlich zugänglichen Betriebsräumen sind allerdings nicht generell verboten. Insbesondere, wenn die Presse- und Meinungsfreiheit betroffen sind. Und genau das stellte das KG fest! Es entschied, dass die Filmemacher sich außerdem auf die Kunstfreiheit berufen können – im Gegensatz zur Vorinstanz. Bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen hätte diese berücksichtigt werden müssen. Hierzu zitiert das KG u.A. aus der Wallraff-Entscheidung, wonach auch die Verbreitung rechtswidrig erlangter Information in den Schutzbereich der Pressefreiheit fällt. Die Kontrollfunktion der Presse könne bei einem absoluten Verbreitungsverbot leiden. Das Landgericht nahm noch an, dass die Szenen nur dazu dienen würden, die Neugier der Zuschauer zu befriedigen. Gerade das sah das Kammergericht anders. Es erkannte darauf, dass der Film die Straftaten kritisch würdigen und mit der gebotenen Distanz betrachten würde. Der Film versuche die geschlossene Gesellschaft der trainwriter darzustellen. Eine verherrlichende Darstellung der Sprüherszene sei Unlike U eben nicht.

Welche Bedeutung kommt der Entscheidung zu?

Die Bedeutung des Filmes für die Unterrichtung der Öffentlichkeit überwiegt das Interesse der BVG. Das ist die Hauptaussage des Urteils. Dass der Allgemeinheit die Möglichkeit gegeben wird, sich durch die Sprayer-Doku eine Meinung zu bilden, hat eine höhere Bedeutung als der Rechtsbruch. In den Internet-Foren brach nach der Entscheidung Jubel aus: Unlike U wäre also nicht der letzte Graffitifilm aus Berlin gewesen. Dabei ist die Gefahr groß das Urteil zu verkennen. Denn es ist gerade der dokumentarische Charakter des Filmes, der zu diesem Urteil geführt hat. Filme, die nur das Bemalen von Zügen und die wildesten nächtlichen Graffitiaktionen zeigen, können leicht in den Verdacht geraten, diese Straftaten nur zu verherrlichen. „Unlike U“ tut dies nicht.

Der Kommentar der Produzenten war daher zum Teil lapidar: Es sei ein wichtiger Sieg für die Kunstfreiheit – der Zug der kommerziellen Vermarktung sei jedoch längst abgefahren. Auf YouTube ist es inzwischen wieder für jedermann möglich, den Film anzuschauen. Die BVG war für einen Kommentar zu dem Urteil nicht zu erreichen.

Das Urteil im Volltext bei telemedicus.info.

, Telemedicus v. 08.03.2013, https://tlmd.in/a/2542

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