Als Google seine Buchsuche an den Start brachte, dürfte das Unternehmen gewusst haben, dass es nicht einfach würde, den Dienst zu etablieren. Dass es aber so schwierig wird, das hat das Unternehmen sicherlich nicht erwartet.
Fünf Jahre nach dem Start von Google Books hat sich ein Streit von globalen Ausmaßen entwickelt. Allein im wichtigsten Gerichtsverfahren sind mehr als eine Million Aktenseiten beschrieben worden, bei Verfahrenskosten von mehr als 30 Millionen Euro. Auf der ganzen Welt äußern sich Autoren- und Verlegerverbände, selbst fremde Regierungsstellen. In dem Streit geht es um Grundsatzfragen, nicht nur rechtlicher Art: Am Schicksal von Google Books stellen sich die Weichen für die Entwicklung zur digitalen Wissensgesellschaft.
Das wichtigste Gerichtsverfahren wird vor dem Bezirksgericht New York geführt. Ursprünglich ging es in diesem Verfahren darum, ob Google die Rechte der amerikanischen Schriftsteller dadurch verletzt, dass es deren Bücher digitalisiert in Ausschnitten („snippets”) im Internet zugänglich macht. Das ist aber schon längst nur noch eine Nebenfrage. Es geht nun grundsätzlich um das Recht von Google, Bücher im Internet zugänglich zu machen – vor allem solche, die gar nicht von amerikanischen Schriftstellern geschrieben wurden.
Der class action-Vergleich wirkt faktisch als Lizenz
Die amerikanische authors guild, die in dem Verfahren Kläger ist, will sich mit Google einigen. Dazu haben die Authors Guild und Google einen umfangreichen Vergleichsvorschlag ausgearbeitet, das „Google Book Settlement”. Dieses erlaubt Google die Bücher zu verwenden. Weil es sich bei dem Verfahren um eine sogenannte class action handelt, bindet sein Ausgang nicht nur die amerikanischen Autoren, sondern all diejenigen, die zur klagenden class gehören. In diesem Fall sind das alle Personen, die Rechte an Büchern halten – weltweit. Auch deutsche Autoren und Verlage sind gebunden, solange sie nicht von ihrem Recht Gebrauch machen, aus dem Vergleich auszusteigen („opt out”).
Dass der Vergleich auch internationale Autoren bindet, ist eine Sache – dass er auch Autoren bindet, die gar nichts davon wissen, ist die andere. Der Vergleich wirkt nämlich auch für all diejenigen Bücher, bei denen die Urheber unbekannt oder unauffindbar sind, die sogenannten „verwaisten Werke”. Durch das Settlement erhält Google quasi ein Lizenzrecht an diesen Werken – ohne dass deren Rechteinhaber das wüssten oder wollten.
Das Settlement ist nicht einseitig vorteilhaft für Google. Das Unternehmen muss viel Geld investieren: Nicht nur in Vergütungen für Autoren und Verlage, die pro Buch zwischen 15 und 60 US-Dollar betragen, sondern auch in die Verfahrenskosten, in wissenschaftliche Forschungsprojekte und eine gemeinsame Abrechnungsstelle. Das alles tut Google, weil es mit Google Books Geld verdienen will – aber auch, weil es sich um einen alten Traum der Unternehmensgründer handelt. In einem Text in der New York Times beschreibt Google-Vorstand Sergey Brin die Motivation von Google:
„Because books are such an important part of the world’s collective knowledge and cultural heritage, Larry Page, the co-founder of Google, first proposed that we digitize all books a decade ago, when we were a fledgling startup. At the time, it was viewed as so ambitious and challenging a project that we were unable to attract anyone to work on it. But five years later, in 2004, Google Books (then called Google Print) was born, allowing users to search hundreds of thousands of books. Today, they number over 10 million and counting.”
Der Konflikt um das Settlement ist kompliziert. Einerseits tragen die europäischen Autoren und Verleger, die sich mehrheitlich gegen das Projekt gestellt haben, zu Recht vor, dass im Urheberrecht eigentlich nur einer die Lizenz vergeben kann – der Urheber. Durch die Breitenwirkung des Vergleichs im class action-Verfahren würde dieses Paradigma umgekehrt. Andererseits hat Google umfangreiche Zugeständnisse gemacht, nicht nur finanzieller Art. Im Wege eines Opt Out-Verfahrens kann jeder Autor sein Buch aus dem Google-Service entfernen lassen – wenn er nur davon weiß.
Verwaiste Werke als Wettbewerbsvorteil
Letztlich geht es, wie Brin in seinem Artikel auch andeutet, vor allem um die Milliarden verwaisten Werke, die Google in digitalisierter Form nutzen will. Diese Werke wären einerseits für die Wissensgemeinschaft faktisch verloren, wenn Google sie nicht digitalisieren und zugänglich machen würde. Kein anderes Projekt dieser Art hat auch nur ansatzweise so viel Mühe und Finanzkraft investiert, wie Google das getan hat. Andererseits ist fraglich, wieso ausgerechnet Google die verwaisten Werke verwalten sollte – hier wird der Vorwurf laut, Google bekäme durch das Settlement einen unlauteren Wettbewerbsvorteil. Hieraus erwidert Brin:
„If Google Books is successful, others will follow. And they will have an easier path: this agreement creates a books rights registry that will encourage rights holders to come forward and will provide a convenient way for other projects to obtain permissions. While new projects will not immediately have the same rights to orphan works, the agreement will be a beacon of compromise in case of a similar lawsuit, and it will serve as a precedent for orphan works legislation, which Google has always supported and will continue to support.”
Der Haken dabei: Um die selbe Wirkung zu erreichen, müsste ein Konkurrent ebenso lospreschen wie Google und sich dann ebenfalls in einem class action-Verfahren verklagen lassen – sicherlich keine übliche Unternehmensstrategie. Nichtsdestotrotz: Die verwaisten Werke sind an sich ein Problem des Gesetzgebers, das Google nicht lösen kann. Findet der Gesetzgeber eine Lösung, die die Nutzung auch für Konkurrenten von Google ermöglicht, dann ist Wettbewerb bei digitalen Buchkopien unproblematisch möglich.
„To Do”-Liste vom Justizministerium
Mittlerweile hat sich das amerikanische Justizministerium in das class action-Verfahren eingeschaltet. In einem umfangreichen „statement of interest” (PDF) erklärt es, dass der Vergleich nachgebessert werden muss – andernfalls bestünden „Bedenken”. Das Justizministerium schreibt nicht nur dem Gericht, sondern vor allem Google und der authors guild eine Art „To Do”-Liste, nach der der Vergleich geändert werden soll. Das Bezirksgericht New York hat daraufhin ein angesetztes „fairness hearing”, das das Verfahren faktisch abgeschlossen hätte, verschoben und den Parteien aufgegeben, den Vergleichsvorschlag nachzubessern – offenbar entsprechend den Vorschlägen des Justizministeriums.
Wie sich die Sache, insbesondere in Bezug auf die deutschen Urheber und Verlage, weiterentwickelt, ist derzeit noch unklar: Das Bezirksgericht New York hat den Parteien eine Frist bis zum 9. November gesetzt. Es ist möglich, dass Google und die Authors Guild sich dahingehend präzisieren werden, dass der Vergleich nur für amerikanische Bücher gilt. In diesem Fall wären die meisten deutschsprachigen Bücher aus dem Book Search-Index wieder zu löschen.
Vielen wird erst jetzt, wo das Settlement auf der Kippe steht, klar, was eigentlich auch noch droht: Dass Google die investierten Millionen abschreibt und sich aus dem Projekt zurückzieht. Das wäre schade – nicht nur für die Nutzer des Dienstes, denen ein glücklicher Klick in der Google-Suche unter Umständen stundenlange Recherchen erspart. Sondern auch für für all diejenigen, die die Rechte an vergriffenen Büchern halten. Denn ihnen entgeht ein eigentlich gutes Geschäft.
„A Library to Last Forever” – Sergey Brin in der New York Times.
FAQ des Börsenvereins des deutschen Buchhandels zum Settlement (PDF).
Immateriblog zu einer Tagung, die in Deutschland zum Thema statt fand.